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    Grand Budapest Hotel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Grand Budapest Hotel
    Von Carsten Baumgardt

    Wenn der eigene Inszenierungsstil zur Marke wird. Wenn du als Regisseur für ein moderat budgetiertes Projekt mehr Stars verpflichten kannst als Woody Allen. Wenn du mit zwei aufeinanderfolgenden Werken die Filmfestspiele von Cannes und Berlin eröffnen darfst: Dann heißt du Wes Anderson und hast es endgültig geschafft in der Welt des Kinos! Im Februar 2014 ist der Texaner auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere und sorgt zum Auftakt der 64. Berlinale mit seiner schwarzhumorigen Komödien-Groteske „Grand Budapest Hotel“ für einen standesgemäßen Paukenschlag. Ein Film, der noch skurriler wäre als dieser, ist kaum denkbar, eine größere Stardichte auch nicht: Bis in winzige Nebenrollen hat Anderson den Nachfolger seines „Moonrise Kingdom“ mit bekannten Namen vollgestellt und das bereitet ihm sichtbar Spaß -  genau wie seinem Hauptdarsteller Ralph Fiennes, der es tatsächlich schafft, die illustre Kollegenschar in den Schatten zu stellen. Die größte Attraktion der liebevollen Farce sind jedoch die atemberaubenden Dekors und die kunstvollen Wortgirlanden in den Dialogen. Dabei ist „Grand Budapest Hotel“ kein Gag-Feuerwerk mit krachenden Pointen im Minutentakt (und auch nicht so komisch wie „Moonrise Kingdom“), sondern ein staunenswerter, amüsanter, super-schräger und origineller Film für stille Genießer.

    1985: Ein namenloser Schriftsteller (Tom Wilkinson) erzählt die Geschichte einer hartnäckigen Schreibblockade, die ihn 1968 (jetzt: Jude Law) heimgesucht und zu einem Aufenthalt in das Grand Budapest Hotel im Bergdorf Nebelsbad in der osteuropäischen Alpen-Republik Zubrowka getrieben hat. In der bezaubernden Ruine lernt er den Besitzer der Herberge, Zéro Moustafa (F. Murray Abraham), kennen. Der erzählt dem Autor beim Dinner von den kuriosen Umständen, die ihn vom einfachen Angestellten zum Eigentümer des prunkvollsten Hotels der 30er Jahre werden ließen: Zéro (jetzt: Tony Revolori) zieht 1932 als neuer Lobby-Boy die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten, des allmächtigen Concierges Gustave H. (Ralph Fiennes), auf sich. Der strenge Platzhirsch mag den Jungen und nimmt ihn unter seine Fittiche. Als die mit 84 Jahren verstorbene Madame D. (Tilda Swinton) Gustave, mit dem sie ein sexuelles Verhältnis unterhielt, ein fünf Millionen Klubecks teures expressionistisches Gemälde vererbt, laufen die Erben der Familie D. Sturm – allen voran der durchtriebene Dmitri (Adrien Brody). Gustave befürchtet das Bild zu verlieren und so stiehlt er es bei der Testamentseröffnung im nahen Lutz kurzerhand. Das wiederum hetzt ihm den Polizisten Henckels (Edward Norton) und seine Männer auf die Fersen...

    Mathieu Amalric, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Bill Murray, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Léa Sedoux, Owen Wilson, Florian Lukas, Karl Markovics und Bob Balaban – dieses prominente Dutzend kommt zu den in der Inhaltsangabe bereits erwähnten Stars noch hinzu. Eine solche Cameo-Orgie hat bisher kaum einem Film wirklich gutgetan, bei Anderson wird das Schaulaufen hingegen zum integralen Bestandteil seiner extravaganten Inszenierung. Jede einzelne Einstellung dieser 100 Minuten geballter Skurrilität ist wie ein kunstvolles Gemälde ausgestattet und die Stars mit ihren liebevoll gestalteten Kostümen und Frisuren gehören gleichsam mit zum Dekor – so erschafft sich Anderson vielleicht noch konsequenter als sonst sein ganz eigenes Universum. Die Erzählung mag von der Prosa des 1942 verstorbenen österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig („Die Schachnovelle“) inspiriert sein, „Grand Budapest Hotel“ ist dennoch durch und durch das Werk von Wes Anderson. So spricht aus der prunkvollen Kulisse des titelgebenden Etablissements (gegen das Grand Budapest sieht das Overlook Hotel aus Stanley Kubricks „Shining“ aus wie eine triste Jugendherberge) wie des ganzen Films dann auch oft mehr die Anmut eines mit viel Phantasie kreierten Paralleluniversums als das Echo einer historisch dingfest zu machenden Vergangenheit.

    Im ungezwungenen Umgang mit gegenwärtigen und vergangenen Welten, die für eigene erzählerische Zwecke nach Herzenslust in die Zeitlosigkeit überführt werden, ist Anderson hier ganz nah bei seinem erklärten Vorbild Ernst Lubitsch („Rendezvous nach Ladenschluss“), dazu kommt noch ein Schuss Kino-Nostalgie, wenn er die alpine Bergwelt des fiktiven Zubrowka (gedreht wurde zu großen Teilen im ostdeutschen Görlitz, während die Innenaufnahmen in Babelsberg entstanden) mit dem grotesk auf einem Gipfel platzierten Hotel mit Hilfe von antiquierten Matte Paintings in Szene setzt. Diese gemalten Kulissen haben enormen Charme ebenso wie die mit Zeichnungen und Modellen gespickte, dennoch halsbrecherische Skiverfolgungsjagd im späteren Verlauf, die James Bonds rasende Fahrt im 007-Winterklassiker „In tödlicher Mission“ zum gemütlichen Pistenausflug degradiert. Andersons Ideenreichtum als überbordend zu bezeichnen, wäre eine schamlose Untertreibung, das zeigt sich auch im von ihm selbst verfassten Drehbuch: Er gliedert seine Erzählung in einer eleganten Struktur in fünf verschiedene Kapitel auf drei Zeitebenen, von denen jede ein anderes Bildformat zugeordnet bekommt (in den Seitenverhältnissen 1.33:1, 1.85:1 und 2.35:1). Und es ist sicher kein Zufall, dass Anderson mit seinem Sinn und seiner Vorliebe für den besonderen Chic des Altmodischen nur kurz im Jahre 1985 Halt macht, um anschließend die 1968er-Episode als Sprungbrett in die 1932 angesiedelte Haupthandlung zu nutzen.

    „Grand Budapest Hotel“ ist wie die meisten Werke von Wes Anderson von „Die Royal Tenenbaums“ über „Die Tiefseetaucher“ bis zu „Der fantastische Mr. Fox“ ein durchaus selbstgenügsamer Ausstattungsfilm, aber er ist zugleich auch eine Krimi-Groteske zwischen Weltkriegsabenteuer, Spionage-Thriller und Flüchtlingsdrama. Im Mittelpunkt steht dabei die turbulente Odyssee des Helden und Mordverdächtigen Gustave (seine Unschuld am Ableben von Madame D. steht für den Zuschauer jedoch schnell außer Frage) und der Kampf des umtriebigen Concierges um sein „Recht am Bild“. Der ist nicht nur die zentrale Figur in dieser Scharade, sondern neben dem jungen Zéro auch die einzige personelle Konstante – alle anderen sind in dem bunten Reigen mehr oder weniger nur Zaungäste für wenige Szenen. Etwas mehr „Beständigkeit“ hätte dem Film ganz gutgetan, aber der zweifach oscarnominierte Wes-Anderson-Debütant Ralph Fiennes (für „Schindlers Liste“ und „Der englische Patient“) hat mit den wechselnden Partnern überhaupt kein Problem und spielt den charismatischen Hotelangestellten mit unbändiger Verve: charmant, ein wenig verschlagen, machtbewusst und doch von loyaler Würde. Er reiht eine fein gedrechselte Wortkette an die andere – bis es ihm manchmal selbst zu viel wird und er seine eigene Eloquenz in einem rüden „Fuck it!“ erstickt: Wer vermisst da schon Johnny Depp („Fluch der Karibik“-Reihe), der ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen war, aber wieder ausstieg?

    Fazit: Wes Andersons schwarze Komödie „Grand Budapest Hotel“ ist nicht nur ein gewohnt skurriler Gaunerfilm, sondern ein visuelles Kunstwerk, dessen Schönheit und unfassbarer Einfallsreichtum staunen lässt.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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