In Großbritannien kennt ihn jedes Kind. In Deutschland ist die nach einem Londoner Bahnhof benannte Kinderbuchfigur Paddington Bär trotz einer Puppen- und einer Zeichentrickserie neben der ursprünglichen Buchreihe weit weniger berühmt. Auch um die mit 55 Millionen Dollar für europäische Verhältnisse ziemlich teure Produktion trotzdem auch hierzulande an ein großes Publikum zu bringen, spricht „Fack jü Göhte“-Star Elyas M’Barek den tollpatschigen Bären mit dem rotem Hut und dem dunkelblauen Dufflecoat in der deutschen Fassung. Doch das ist deutlich mehr als ein Marketing-Schachzug. M’Bareks sanft-verschmitzte Stimme passt hervorragend zu dem am Anfang etwas naiv durch das moderne London stolpernden Bären aus dem „finstersten Peru“. Dies hat großen Anteil daran, dass „Paddington“ von Regisseur Paul King und Erfolgsproduzent David Heyman so hervorragend funktioniert, obwohl in der deutschen Übersetzung zwangsläufig einige der englischen Wortwitze verloren gegangen sind. Doch Humor gibt es auch so reichlich in dieser gute Laune verbreitenden Komödie, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht.
Nachdem sie vor Jahrzehnten von einem Forscher von der modernen Welt erfahren haben, träumen die im Dschungel von Peru lebenden Bären Pastuzo (Stimme: Michael Gambon) und Lucy (Stimme: Imelda Staunton) von einer Reise nach London. Doch mittlerweile sind sie alt geworden und erziehen ihren kleinen Neffen (Stimme: Ben Whishaw / Elyas M’Barek), dem sie das Sprechen und alles, was sie über die Welt der Menschen zu wissen glauben, beigebracht haben. Als ein Erdbeben ihre Heimat zerstört, schickt Lucy den kleinen, nach Orangenmarmelade süchtigen Bären auf die weite Reise in die englische Metropole, wo er ein neues Heim finden soll. Doch die moderne Großstadt hat nichts mehr gemein mit dem alten London aus den Büchern. Ein einsamer Bär am Bahnhof, der ein neues Zuhause sucht, wird hier nicht so schnell mitgenommen. Erst die Familie Brown erklärt sich sehr zum Verdruss von Mr. Brown (Hugh Bonneville) bereit, den pelzigen Gesellen wenigstens für eine Nacht zu beherbergen. Da sie seinen Bären-Namen nicht aussprechen können, taufen sie ihn kurzerhand nach dem Fundort Paddington und obwohl er gleich reichlich Chaos anrichtet, wächst er vor allem Mrs. Brown (Sally Hawkins) und den Kindern Jonathan (Samuel Joslin) und Judy (Madeleine Harris) ans Herz. Doch Unheil droht: Die fiese Museumsdirektorin und Tierpräparatorin Millicent (Nicole Kidman) hat erfahren, dass Paddington in London ist und sie will schon lange ein Exemplar seiner seltenen Bärenrasse für ihre Sammlung ausstopfen…
In einem Comic-Universum würde man von einer sogenannten „origin story“ sprechen: In „Paddington“ geht es um die Ursprünge und Anfänge der Titelfigur, die hier gleichsam neu eingeführt wird. Auf diese Weise kann der Film im Erfolgsfall ein Franchise etablieren und als Auftakt einer ganzen Reihe fungieren. Doch was nach einer durchkalkulierten Pflichtübung klingen mag, wurde selten mit so viel Witz, Charme und Selbstironie umgesetzt wie hier. Zu Beginn sehen wir einen scheinbar ziemlich alten „Dokumentarfilm“ im 4:3-Format und mit etwas wackliger Kameraführung – über die Expedition eines Wissenschaftlers, der sich mit ihm besonders intelligent erscheinenden Bären anfreundet. Er erzählt ihnen viel von unserer Welt, ohne genau zu wissen, was sie verstehen. Viele Jahrzehnte später haben die zwei Bären mit Hilfe der Bücher und Schallplatten, die der Forscher ihnen überlassen hat, das Sprechen erlernt und geben ihr Wissen an ihren Neffen weiter – aber in der Zwischenzeit hat sich vieles ziemlich stark verändert. So entsteht ein Teil der Komik aus dem Aufeinanderprallen von Paddingtons naiver Vorstellung von London nach dem Zweiten Weltkrieg, als man Kriegsflüchtlingen bedingungslos half, und der Gegenwart, in der jeder stur geradeaus seinen Weg geht. Im weiteren Verlauf der Handlung werden dann alle weiteren wichtigen Attribute der Hauptfigur auf charmante Weise eingeführt: Der Bär erhält seinen Menschen-Namen, seinen ikonischen roten Hut und natürlich auch den dunkelblauen Dufflecoat.
Der knuffige Protagonist ist der unangefochtene Star in „Paddington“. Wie auch in den Büchern ist sein Benehmen im Prinzip tadellos, trotzdem gerät er immer wieder in die Bredouille und fabriziert haarsträubende Unfälle (sein berühmter Ausspruch: „Things are always happening to me. I’m that sort of bear!“), was hier in einigen köstlichen Slapstick-Sequenzen zelebriert wird. So zerlegt Paddington direkt nach dem Einzug bei den Browns das Badezimmer und überschwemmt das Haus – eine irrwitzige Gag-Parade inklusive einer Badewannen-Wildwasserfahrt über eine Treppe. Dazu gibt es eine gehörige Portion Wortwitz, der allerdings in der deutschen Fassung bisweilen nur zu erahnen ist. Die größte Rolle spielt aber ohnehin der zwischenmenschliche (und zwischenbärige) Humor: Die Figuren sind mit viel Liebe ausgestaltet, neben Paddington vor allem die Familie Brown, bei der jeder seinen eigenen Tick hat. Vor allem „Downton Abbey“-Star Hugh Bonneville ist als verstockter Risikoanalyst Mr. Brown, der nach und nach aufblüht, voll in seinem Element und beweist nebenbei, dass der abgenutzte Mann-in-Frauenklamotten-Gag auch anno 2014 noch funktionieren kann. Dabei hilft ihm eine Spur Selbstironie, die auch die Filmemacher immer wieder an den Tag legen. Wenn zu Beginn bei einer Taxifahrt die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Londons abgeklappert werden, kommentiert Mr. Brown die ungewöhnliche Route voller Umwege prompt mit Verwunderung und bekommt vom Chauffeur (Matt Lucas in einem amüsanten Cameo) die Antwort: Er ist doch neu hier, da muss ich ihm die Stadt zeigen.
„Paddington“ macht nicht nur viel Spaß, sondern sieht auch richtig gut aus. Dabei stand ein 3D-Einsatz hier laut Aussage des hinter so unterschiedlichen Werken wie dem siebenfachen Oscargewinner „Gravity“ und der „Harry Potter“-Reihe steckenden Erfolgsproduzenten David Heyman nie zur Debatte. Regisseur Paul King verriet in Interviews, dass er sich dem auch komplett verweigert hätte, weil es nicht zum klassischen Look gepasst hätte, den er erreichen wollte. Und diese Entscheidung gegen 3D erweist sich als goldrichtig: „Paddington“ ist auch optisch zeitlose Unterhaltung und trotzdem auf dem neuesten Stand der Technik. Der computeranimierte Bär Paddington wurde unter dem gelungenen Einsatz einer Puppe in den Film integriert und fügt sich von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen selbst in den rasanten Actionszenen hervorragend in seine Umgebung ein. Die gelungene Mischung zwischen technischem Know-how, viel Humor und noch mehr Herz lässt dann auch den einzigen größeren Schwachpunkt in den Hintergrund treten: Nicole Kidmans Antagonistin ist eine etwas zu einfallslose Kopie der „101 Dalmatiner“-Schurkin Cruella de Vil und wird von der Australierin nur in einigen wenigen Momenten richtig boshaft-überzogen gespielt, was als der überzeugendste Ansatz erscheint. Sie ist aber sowieso nur Beiwerk in einer Geschichte, in der es vornehmlich darum geht, jemanden für das zu akzeptieren, was er ist.
Fazit: Amüsantes, herzerwärmendes Kino für Jung und Alt – genau der richtige Film für die Weihnachtsfeiertage.