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    Die große Versuchung – Lügen, bis der Arzt kommt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die große Versuchung – Lügen, bis der Arzt kommt
    Von Thomas Vorwerk

    Der Kanadier Don McKellar ist im Filmgeschäft in den verschiedensten Funktionen aktiv. Er ist Schauspieler und trat in Nebenrollen u. a. schon in den Filmen von David Cronenberg („eXistenZ“) und Atom Egoyan („Exotica“) auf. Er schreibt aber auch Drehbücher („Die Stadt der Blinden“) und führt zudem auch selbst Regie. Seine dritte Regiearbeit „Die große Versuchung - Lügen, bis der Arzt kommt“ unterscheidet sich dabei aber von seinen vorherigen Filmen. Erstmals spielt er nicht selbst die Hauptrolle und erstmals schrieb er nicht selbst das Drehbuch. Stattdessen geht McKellar ganz in der Umsetzung des Remakes eines anderen kanadischen, damals aber im Original in französischer Sprache gedrehten Werks auf. Seine sympathisch-bodenständige Komödie ist die Neuverfilmung des 2003 veröffentlichten „Die große Verführung“, die offensichtlich ein größeres Publikum als das Original ansprechen soll, was schon dadurch verdeutlicht wird, dass der Schauplatz Kanada im Remake austauschbar ist.

    Murray (Brendan Gleeson) erinnert sich noch gut an seine Kindheit, als sein Vater und die anderen Bewohner eines abgeschiedenen neufundländischen Hafenortes frühmorgens stolzen Schrittes auf Fischtour gingen, und damit ihren Lebensunterhalt bestritten. Ein gutes halbes Jahrhundert später stehen sie nur noch in regelmäßigen Abständen Schlange beim Postamt und der winzigen Bank, um ihre Sozialhilfeschecks abzuholen und einzulösen. Die beschämende Situation verschärft sich noch weiter: Selbst der Bürgermeister zieht eines Jobs wegen in einen Nachbarort, und sein Nachfolger Murray, dessen bester Freund Simon (Gordon Pinsent) und die anderen Bewohner versteigen sich in die fixe Idee, Standort einer Petroleum-Verarbeitungs-Fabrik zu werden, auch wenn dafür die Mindestanforderungen fehlen: eine 150 Personen umfassende Anwohnerschaft, das nötige Bestechungsgeld und vor allem der ortsansässige Arzt. Durch bemerkenswerte Zufälle kommt es aber dazu, dass der auf Schönheitsoperationen spezialisierte Dr. Paul Lewis (Taylor Kitsch) aus der Großstadt sich genötigt sieht, die lokale Arztpraxis für einen Monat zu übernehmen. Um ihn zu halten, macht sich die gesamte Ortschaft daran, dem jungen Doktor weiszumachen, dass Tickle Head der Ort ist, in dem er das „totale Glück“ gefunden hat.

    „The Grand Seduction“ heißt die Komödie, wobei sich man bei der deutschen Übersetzung beim Remake für „Versuchung“ entschieden hat, wo das Original noch „Verführung“ hieß. Dabei beinhaltet diese titelgebende „Seduction“ auch sexuelle Aspekte, denn Murray versäumt es nicht, die vermutlich einzige alleinstehende, junge und gutaussehende Frau des Ortes, die das Postamt führende Kathleen (Liane Balaban), zu bitten, beizeiten vielleicht ein wenig mit dem Arzt zu flirten (damit er sich „begehrt“ fühlt). Doch Kathleen zeigt sich dem glücklich verlobten Großstadtbewohner gegenüber eher betont abweisend, und die restlichen Inselbewohner müssen sich umso mehr Mühe geben, den Doc für seinen neuen Wohnort einzunehmen. Und so wird jede Information über den jungen Arzt dazu benutzt, ihm zu gefallen. Dr. Lewis ist ein passionierter Cricket-Spieler, also schneidert man aus Bettwäsche weiße Uniformen und inszeniert mit wenig Regelverständnis das „letzte Spiel der Saison“ auf einem malerischen Felsen, was Dr. Lewis schon während seiner Anreise verzücken soll. Auf der Insel angekommen, werden Pauls Telefongespräche abgehört, um jeden Wunsch (und jede mögliche Beschwerde) zu erfahren, und fortan wird beispielsweise ein Dorfbewohner dafür abgestellt, Pauls Begeisterung für Jazz mit ihm zu teilen. Und weil Paul nie einen richtigen Vater hatte, wird Murray selbst zum Vaterersatz und geht mit ihm angeln. Man sorgt sogar dafür, dass Paul noch anfänglichem Scheitern auch mal selbst einen großen Fisch an Bord zieht.

    Den Regeln einer Komödie entsprechend, geht beim großen Masterplan natürlich dauernd etwas schief, so dass das große Kartenhaus aus Lügen jederzeit zusammenstürzen könnte. An seinem ersten Arbeitstag wird Paul von Patienten (mit teilweise mittelalterlich anmutenden Wehwehchen) geradezu erschlagen, als er sich davon beim Telefonat mit seiner Verlobten wenig angetan zeigt, sorgt eine nächtliche Sitzung des Ortsrates dafür, dass schon der zweite Tag in Pauls Praxis entspannt bis gelangweilt ausfällt. Doch Paul fügt sich recht gutgläubig in sein mitunter abenteuerliches Glück, selbst als man im örtlichen Gasthaus ausgerechnet seine asiatische Leibspeise als „Special“ anbietet oder er zum mindestens dritten Mal an einem Pier an jeweils derselben Stelle einen Geldschein findet, hinterfragt er das Ganze nicht. Erst, als die kleine Gemeinde parallel den Arzt und den Chef der Ölfirma, der den potenziellen Standort für seine nächste Fabrik begutachtet, hinters Licht führen muss, droht der Schwindel aufzufliegen. Das Ergebnis ist erfrischend, auch weil das liebenswert-kauzige Ensemble, in dem sich Hauptdarsteller Brendan Gleeson angenehm zurücknimmt, durchweg überzeugt. Unterstützt wird es von einer putzig-verspielten Ausstattung und von vielen kleinen netten Story-Ideen, wodurch die Figuren trotz mancher Klischees wirklich zum Leben erweckt werden. So kann der Konflikt zwischen den gegensätzlichen Lebensstilen noch faszinieren, obwohl das Szenario „Stadtmaus trifft Landmaus“ bereits in unzähligen Komödien Thema war.

    Fazit: „Ein kleiner Hafen, aber ein großes Herz.“ Dieses Filmzitat fasst diese Komödie alten Schlages gut zusammen.

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