Mit dem deutschen Pferdefilm „Ostwind" wollen die Produzenten von SamFilm offensichtlich eine vorrangig weibliche Teenager-Fangemeinde ansprechen und eine hiesige Marktlücke schließen. Zwecks Ausarbeitung wurden die Drehbuchautorinnen Lea Schmidbauer und Kristina Magdalena Henn angeheuert, die für SamFilm bereits das Skript zu „Groupies bleiben nicht zum Frühstück" geschrieben hatten. Ein besonderes Glück hatte das Studio mit der Regie-Besetzung: Die mittlerweile in den USA lebende deutsche Regisseurin Katja von Garnier konnte bereits 1993 mit ihrem Studienabschlussfilm „Abgeschminkt" einen Kinoerfolg verzeichnen. Außerdem ist von Garnier selbst eine leidenschaftliche Reiterin und eine Vertreterin der Philosophie der Natural Horsemanship, welcher in „Ostwind" eine besondere Bedeutung zukommt. Die jugendliche Hauptdarstellerin Hanna Binke hingegen musste vor dem Dreh des Films erst einmal Reitunterricht nehmen. Dieser Umstand kommt ihrer Figur jedoch zugute, da auch die von ihr gespielte Mika erst das Reiten lernen muss. Dazu kommen ein paar bekannte Gesichter wie Cornelia Froboess, Nina Kronjäger, Jürgen Vogel und Detlef Buck – und fertig ist der Hit? Zumindest qualitativ geht die Rechnung zu Teilen auf, auch wenn das Drehbuch bisweilen recht flach ausgefallen ist.
Als Mika (Hanna Binke) an der Versetzung in die achte Klasse scheitert, verbrennt sie aus Wut ihr Zeugnis und lässt es es aus dem Fenster des Klassenzimmers segeln. Das brennende Papier landet direkt auf dem Rücksitz des Wagens ihres Lehrers, der daraufhin abfackelt. Mikas Eltern (Nina Kronjäger und Jürgen Vogel) sind entsetzt und schicken die Tochter für die Sommerferien zum Lernen auf das Pferdegestüt ihrer strengen Großmutter (Cornelia Froboess). Das Stadtkind fremdelt mit dem Landleben und das strenge Regiment auf dem Hof gefällt der freiheitsliebenden Mika gar nicht. Außerdem hat sie keine Lust, auch im Sommer die Nase in ihre Schulbücher zu stecken. Dafür spürt Mika, dass sie eine natürliche Beziehung zu Pferden hat. Insbesondere der in seinem Stall eingesperrte Problemhengst Ostwind hat es dem Mädchen angetan. Das Pferd gilt als unbeherrschbar und ist bereits in Gefahr, an einen ungarischen Metzger verkauft zu werden. Doch Mika versteht das scheue Tier und versucht, es zu zähmen. Dabei entdeckt sie ihre Gabe: Sie kann sich genau in Pferde hineinversetzen...
Katja von Garnier gelingt es hervorragend, die sich allmählich entwickelnde Beziehung von Mika zu Ostwind greifbar zu machen. Grade in den Szenen, in denen kaum oder gar nicht gesprochen wird, demonstriert sie einfühlsam, wie genau ihre Protagonistin mit den Pferden kommuniziert. Mika ist eine sehr sensible Beobachterin, der kein flüchtiger Blick und keine feine Bewegung dieser Tiere entgeht. Hinzu kommt, dass sie in Ostwind so etwas wie eine verwandte Seele findet. So ist Mikas Kampf um die Anerkennung und Befreiung von Ostwind zugleich auch ein Kampf für ihre eigene Anerkennung und Selbstverwirklichung. Auch sie ist ein wildes Wesen, das sich nicht in enge Strukturen fügen mag. Doch wenn sie bei strahlender Sonne auf Ostwind über die grünen Wiesen Nordhessens galoppiert, scheinen die Reiterin und ihr Pferd in perfekter Harmonie und Freiheit miteinander zu verschmelzen. Von Garnier gelingt es, diese kitschtriefende Prämisse in nahezu magische Momente und betörend schöne Bildern umzumünzen. Allerdings wird die Kraft dieser Bilder auch immer wieder durch die viel zu aufdringlich-schwelgerische Musik verwässert. So findet gelegentlich eben der Kitsch in den Film zurück, der rein inszenatorisch noch vermieden wird.
Wie die Musik sorgt auch das Drehbuch dafür, dass das Sichtbare immer noch einmal überdeutlich unterstrichen, kommentiert und erklärt wird. So zeigt etwa die Szene, in der Mika entgegen aller Warnungen Ostwinds Stall betritt und dort später sogar friedlich einschläft, sehr klar, dass sie eine besondere Beziehung zu dem Pferd hat. Als das Mädchen kurz darauf Herrn Kaan (Tilo Prückner) besucht, hat dieser eine Skulptur mit einer neben einem Pferd schlafenden Person auf seinem Regal stehen. Dazu kommentiert der weise Herr Kaan, dass diese Szene genauso aussähe, wie sie und Ostwind in der betreffenden Nacht ausgesehen hätten. Außerdem entstamme die Darstellung einer alten Sage, die von einer Person handle, welche die Sprache der Pferde spreche. In solchen Szenen beschleicht einen immer wieder das ungute Gefühl, dass es die Drehbuchautorinnen für nötig halten, den Zuschauern alles ganz genau zu verdeutlichen. Ohnehin ist die Handlungsentwicklung hier mehr als vorhersehbar. Selbst eine Charakterdarstellerin wie Cornelia Froboess („Wenn die Conny mit dem Peter", „Die Sehnsucht der Veronika Voss") hat das ein ums andere Mal ihre Mühe, gegen einige der klischeehafteren Dialoge anzuspielen. Insgesamt verleihen die Regisseurin und ihre Darsteller dem Stoff aber trotz dieser Schwächen genug Zauber, um den Film zu einem lohnenswerten Vergnügen für Pferdefans zu machen.
Fazit: „Ostwind" ist ein Pferdefilm, der die Magie des Reitens in freier Natur in beeindruckenden Bildern einfängt. Auch der Cast ist toll, vor allen anderen Jungstar Hanna Binke in ihrer ersten Hauptrolle. Diese Stärken werden allerdings durch das überkonstruierte Skript und die aufdringliche Musik geschmälert.