Die „home invasion" gehört zu den fiesesten Subgenres des Thrillers: die feindliche Übernahme des intimsten Rückzugsorts des bürgerlichen Individuums scheint so effektiv an Urängsten zu rühren wie die Beschwörung des Monsters in der Dunkelheit oder die Wiederkehr der Toten. Die Filmemacher, die sich diesem Thema widmen, bieten ihren geschundenen Protagonisten selten einen Ausweg an, von Michael Hanekes „Funny Games" bis zu „The Strangers" läuft es stets zielstrebig auf die totale Katastrophe zu. Natürlich hatte Dito Tsintsadze („Lost Killers", „Schussangst") solche Vorbilder im Kopf, als er seine neueste Arbeit plakativ „Invasion" taufte. Dabei gelingt ihm insgesamt ein recht geschicktes Spiel mit Erwartungen und Konventionen, er entwickelt mit großer Ambivalenz, Geduld und einer leichten Prise Humor eine bedrohliche Atmosphäre. Einzig im Finale wird der Regisseur das Opfer seines eigenwilligen Handlungsaufbaus.
Der Endfünfziger Josef (Burghart Klaußner) hat nach dem tragischen Tod seines einzigen Kindes kürzlich auch noch seine geliebte Frau verloren. Er lebt nun alleine in einem großen Anwesen auf dem Land. Doch eines Tages sprechen ihn am Friedhof zwei Fremde an: Nina (Heike Trinker), die sich als die Cousine von Josefs verstorbener Frau vorstellt, und ihr Sohn Simon (David Imper). Den Abend verbringt man mit Drinks vor dem Kamin und wenige Tage später steht Simon wieder vor der Tür, um Josef zum Essen einzuladen. Nach und nach machen sich nicht nur Nina und Simon in Josefs Haus breit, sondern auch noch Simons Frau Milena (Anna F.), deren Sohn Marco (Jasper Barwasser) und Ninas langjähriger Liebhaber Konstantin (Merab Ninidze), der beginnt, seine seltsamen Geschäfte von Josefs Villa aus abzuwickeln.
Die Schlinge, die sich anscheinend um Josefs Hals legt, zieht Tsintsadze mit aufreibender Langsamkeit zu. Nicht, dass dabei die Handlung nicht voranschreiten würde, im Gegenteil. Immer wieder richtet der Regisseur das seltsame Charaktervieleck des Films mit minimalen Verschiebungen neu aus und stetig befeuert er die Ahnung zukünftigen Unheils. So zeigt sich, wenn Josef und er gemeinsam den schon lange nicht mehr befüllten Swimmingpool schrubben, zum ersten Mal die Aggression, die in dem linkischen, mitunter im Umgang mit den anderen etwas unbeholfenen Kendo-Kämpfer Simon steckt. Im Vergleich zu Burghart Klaußner („Das weiße Band"), der seinem Josef eine große natürlich wirkende Ruhe irgendwo zwischen Gelassenheit und tiefster Depression verleiht, wirkt David Imper dabei geradezu hölzern. So bekommt die Figur keine echte Charaktertiefe, alles bleibt spröde Oberfläche. Denn auch das hat sich Tsintsadze bei Haneke und anderen abgeschaut: Die Nicht-Erklärung, Nicht-Psychologisierung des Geschehens macht dieses umso unerträglicher.
Sehr klug füttert der Regisseur allmählich die Befürchtungen des Publikums, die alleine der Titel bereits geweckt hat. Tsintsadze verortet die Handlung räumlich nicht eindeutig, und er baut immer wieder Ellipsen ein – auf ein unsicheres „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – es ist schwer, etwas zu finden" etwa folgt ein Schnitt - und schon hat Josef eine weitere Bitte erfüllt: Simon und Milena ziehen bei ihm ein. Eine fast unmerklich fortschreitende Desorientierung hat der Regisseur mit all dem im Sinn, einen großen Rest des Unerklärlichen, Unausgesprochenen behält er sich vor. So schafft er einen Kosmos, in dem vieles möglich scheint. Und oft ergeben sich daraus erstaunlich komische Situationen. So steht auf einmal wieder eine neue Person in der Tür, die Josef nie zuvor gesehen hat, oder die schon Herausgeworfenen überraschen ihn plötzlich wie selbstverständlich mit einer riesigen Weihnachtsparty.
Lange, sehr lange, funktioniert das alles ausgesprochen gut. Aber irgendwann erreicht die Handlung einen Punkt, an dem Josefs Passivität und gar Komplizenschaft nicht mehr so recht glaubwürdig erscheinen. Alles ist zwar irgendwie aus dem Geschehen abzuleiten und bleibt insofern nachvollziehbar, aber die Geister des Vagen, Lückenhaften, die Tsintsadze rief, wird er nicht mehr los. Und im Finale geht er dann endgültig zu weit, da braucht er plötzlich eine handfeste Erklärung und sei es auch nur eine behauptete. Aber die gerät ihm angesichts des Vorangegangenen nicht allzu überzeugend, dazu fehlt schlicht die nötige inhaltliche Vorbereitung.
Fazit: Präzise und sorgfältig entwickelt Regisseur Tsintsadze in „Invasion" einen Konflikt, der lange nur in Andeutungen stattfindet, was eine unterschwellige Spannung entstehen lässt. Tsintsadzes Mut zur Lücke lässt das Ende aber allzu konstruiert wirken.