Beim Schreiben über Horrorfilme lässt sich immer gut intellektualisieren und psychologisieren – aber im Fall von James Wans Grusel-Schocker „Conjuring – Die Heimsuchung“ beschreiben wir stattdessen einfach mal, was passiert ist: Wenn Filmkritiker sich in einer Pressevorführung einen Horrorfilm ansehen (oft um 10:00 Uhr morgens), dann schlürfen sie in aller Regel lieblos ihren Kaffee und starren gelangweilt Richtung Leinwand – sie haben schon alles gesehen, ernsthaft schockieren lassen sie sich schon lange nicht mehr. Aber beim Presse-Screening von „Conjuring“ in San Francisco war alles anders: Die Crème de la Crème des internationalen Filmjournalismus verwandelte sich plötzlich in einen Haufen quiekender Angsthasen! Anschließend wurden etliche Scherze darüber gemacht, dass man in der folgenden Nacht keinen Schlaf finden würde – zugleich war den Witzereißern klar, dass an ihren Gags mehr Wahres dran ist, als ihnen lieb sein konnte. Wenn ein Film so etwas schon mit ausgebufften Kritikern, unter ihnen nicht wenige Horror-Muffel, anstellt, dann sollte ihn ein sich gern gruselndes Publikum erst recht auf keinen Fall verpassen!
Zu Beginn der 1970er Jahre wird das Dämonologen-Ehepaar Ed (Patrick Wilson) und Lorraine Warren (Vera Farmiga) nach einer Gastvorlesung an einer Universität von der aufgewühlten Carolyn Perron (Lili Taylor) angesprochen. Die Ehefrau des Truckfahrers Roger Perron (Ron Livingston) und Mutter von fünf Töchtern ist mit ihrer Familie gerade erst in ein abgelegenes Landhaus auf Rhode Island eingezogen – und seitdem kommt es dort immer wieder zu unheimlichen Vorkommnissen. Die Warrens sagen etwas widerwillig zu, sich die Sache einmal anzuschauen. Aber während die Geisterjäger in neun von zehn Fällen ein undichtes Fenster oder ein verbogenes Abwasserrohr als Schuldigen identifizieren, wird diesmal schnell klar, dass sie es tatsächlich mit einem Dämonen zu tun haben – und der terrorisiert nicht nur die Perrons, sondern droht auch den Warrens und ihrer kleinen Tochter Judy (Sterling Jerins) richtig gefährlich zu werden…
Ed und Lorraine Warren waren tatsächlich weltberühmte Experten für parapsychologische Phänomene und schon der 1979er-Genreklassiker „Amityville Horror“ (2005 mit Ryan Reynolds neu verfilmt) basiert auf einem echten Fall des Paares – wie nun auch „Conjuring“, für den die entsprechende Akte der Warrens extra freigegeben wurde. Regisseur Wan („Saw“, „Insidious“), der aktuell am siebten Teil der „Fast and Furious“-Reihe arbeitet, verlässt sich von knatschenden Türen bis hin zu wehenden Bettlaken voll auf das Standardrepertoire des Gruselkinos – aber während sich ein modernes Publikum eigentlich nur noch erschrickt, weil der Ton im richtigen Moment voll aufgedreht wird (sogenannte Jump Scares), gehen die Schocks – ohne dass es sich rational erklären ließe – in „Conjuring“ einfach noch eine Ebene tiefer. Die reale, inzwischen stolze 86 Jahre alte Lorraine Warren hat uns nach der Vorführung jedenfalls noch einmal versichert, wie nah an der Realität die Geschehnisse des Films doch lägen. Selbst wenn man dieser Räuberpistole keinen Glauben schenkt, ist „Conjuring“ wahrhaft furchteinflößend. Zuschauern, die paranormalen Erscheinungen gegenüber weniger skeptisch eingestellt sind und das Leinwandgeschehen für bare Münze nehmen, sind wochenlange Alpträume garantiert.
Während sich James Wan bei den Schockeffekten auf Altbewährtes verlässt und bei ihrer Inszenierung einfach effektiver vorgeht als die meisten Konkurrenten, verfolgt er an anderer Stelle einen ganz eigenen Ansatz: Meistens sind die Psi-Experten in Haunted-House-Filmen lediglich skurrile Nebenfiguren, die für zwischenzeitliche Erheiterung sorgen. In „Conjuring“ stehen die Warrens jedoch dramaturgisch gleichberechtigt neben den Perrons – was nicht nur eine präzisere Figurenzeichnung, sondern auch eine Extraportion Grusel mit sich bringt: Das ist wie beim Fliegen – wenn der unbedarfte Nebenmann (= die Perrons) bei Luftlöchern Angst bekommt, braucht man sich da nicht weiter drum zu scheren, aber wenn sich auch die erfahrenen Stewardessen (= die Warrens) zitternd in ihren Sitz pressen, ist der Zeitpunkt gekommen, in Panik auszubrechen. Da macht es sich auch bezahlt, dass alle vier Elternrollen mit erfahrenen Charakterköpfen besetzt wurden, denn Vera Farmiga („Up in the Air“), Patrick Wilson („Little Children“), Ron Livingston („Band of Brothers“) und Lili Taylor („Public Enemies“) haben jeder für sich schauspielerisch mehr zu tun als die gesamte Besetzung in vergleichbaren Gruselfilmen. Die Darsteller steigern die unheimliche Wirkung des beängstigend überzeugenden übernatürlichen Geschehens mit ihren Klasseleistungen noch einmal – und so erscheint die durchaus gewagt anmutende Entscheidung von Warner Bros., schon vor dem Kinostart grünes Licht für eine Fortsetzung zu geben, viel eher als Zeichen von Weitsicht: Einen Flop dieses grandios-gruseligen Films können auch wir uns nicht vorstellen.
Fazit: Der gruseligste Film des Jahres.