Sequels, Remakes, Reboots, Spin-offs, Franchises – schon diesen neudeutschen Begriffen haftet etwas Geschäftsmäßiges an. In Hollywood soll das wirtschaftliche Risiko durch die ständige Wiederholung des Gewohnten und Erfolgreichen minimiert werden. Aber das ist an sich nichts wirklich Neues, diese Strategie bringt schon seit Jahrzehnten jede Menge Fließbandprodukte hervor. Doch gibt es in diesem System eben auch subtile Abweichungen, wunderliche Einzelwerke und durchaus spannende Nebenströmungen. So gehört zu den interessanteren Recycling-Tendenzen in der Traumfabrik die Rückbesinnung auf Märchenstoffe, die auf unterschiedlichste Weisen transformiert werden. So wurde „Rotkäppchen“ zum Genre-Mischmasch mit einer Prise Werwolf-Hokuspokus („Red Riding Hood“), „Hänsel und Gretel“ zur brutal-spaßigen Action-Breitseite („Hänsel und Gretel: Hexenjäger“) sowie „Schneewittchen“ einmal zum Schlachtengemälde in gelacktem Fantasy-Look („Snow White & the Huntsman“) und ein anderes Mal im bisher klar originellsten Versuch zur satirischen Slapstick-Komödie („Spieglein, Spieglein“). Nun ist die schlafende Schöne im Wald an der Reihe – doch mehr noch als eine Bearbeitung der berühmten Überlieferung des Stoffes durch Charles Perrault ist das 3D-Spektakel „Maleficent – Die dunkle Fee“ eine Realfilmadaption von Disneys eigenem Zeichentrickklassiker „Dornröschen und der Prinz“ aus dem Jahr 1959. Das ergibt in Robert Strombergs Regiedebüt eine nicht sehr runde, aber durchaus faszinierende Mischung aus bildgewaltiger Fantasy (die teilweise so düster ausfiel, dass die deutsche Kinofassung für eine FSK-Freigabe ab sechs Jahre um etwa 40 Sekunden gekürzt werden musste), niedlichem Feen-Schabernack und existenziellem Drama.
Es waren einmal zwei Reiche: Im Reich der Menschen herrscht ein König, dort gibt es Krieg, Streit und Machtstreben; ganz anders geht es im friedlichen Feenreich zu, wo die verschiedensten Fabelwesen in perfekter Harmonie zusammenleben. Als sich eines Tages der Menschenjunge Stefan (Michael Higgins) in die Wälder und Moore der anderen Welt verirrt, freundet er sich mit der Fee Maleficent (Isobelle Molloy) an, die so etwas wie der gute Geist des Reiches ist. Die beiden sehen sich bald regelmäßig und es keimt zwischen ihnen eine Romanze auf, bis Stefan schließlich von Ehrgeiz und Unruhe getrieben in die Menschenwelt zurückkehrt. Deren König Henry (Kenneth Cranham) wiederum versucht, die Nachbarwelt zu erobern, scheitert aber an den magischen Kräften Maleficents (nun: Angelina Jolie). Er verspricht daraufhin demjenigen den Thron und seine Tochter, der die mächtige Fee besiegen kann. Von der Aussicht auf Macht und Ruhm gelockt, begibt sich Stefan (nun: Sharlto Copley) erneut in das Land der Feen, er täuscht Maleficent das Wiedererblühen der alten Liebe vor und raubt ihr im Schlaf ihre mächtigen Flügel. Als sich ihr Gelegenheit bietet, übt die nun verbitterte Fee Rache: Sie verflucht Aurora, die Tochter des mittlerweile zum König gekrönten Stefan. Am Tag nach ihrem 16. Geburtstag soll sie in einen niemals endenden Schlaf fallen. Als sie das bezaubernde Mädchen (Elle Fanning) kurz vor dem Schicksalstag näher kennenlernt, kommen der verbitterten Fee Zweifel an ihrem Fluch. Aber ein so starker Zauber lässt sich nicht einfach zurücknehmen…
„Maleficent“ beeindruckt zu Beginn vor allem mit seinen Schauwerten, das Feenreich wird durch prächtige Panoramen, rasante Kameraflüge von Oscar-Preisträger Dean Semler („Der mit dem Wolf tanzt“) und stimmungsvolle Einzelheiten (von den individuell ausgestalteten Märchenwesen aller Größen und Formen bis zu den Blumen und Bäumen des Waldes) zur Geltung gebracht. So richtig erwacht der Film aber erst mit dem Auftreten von Elle Fannings Aurora aus dem erzählerischen Dornröschenschlaf. Mit dem jungen Star aus „Super 8“ und „Ginger & Rosa“ kommt Leben in das bis dahin doch manchmal recht steril anmutende Geschehen – ihr Staunen über die Wunder des Feenreichs, ihre Ausgelassenheit bei einer Schlammschlacht mit einigen der magischen Wesen sind wie ein frischer Luftzug durch einen zwischendurch allzu schematisch verlaufenden Film. Schließlich lockt Aurora sogar die in Trauer und Rachegedanken gefangene Maleficent aus der Reserve und wenn sie die mächtige Fee nach ihren verlorenen Flügeln fragt, dann wird die melancholische Antwort nicht nur zur willkommenen Gelegenheit für Oscar-Preisträgerin Angelina Jolie die ganze Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens zu zeigen, sondern auch zu einem bittersüßen Höhepunkt des stimmungsvollen existenziellen Dramas, das auch in „Maleficent“ steckt. Die böse Fee Malefiz (das Wort bedeutet nicht zufällig „bösartig“) aus der Zeichentrickversion zur ambivalenten Hauptfigur der Neuinterpretation zu machen, ist eine spannende Idee und Jolie vereint geschickt die ikonischen Aspekte der Rolle (von Hörnern und Stehkragen bis zum durch markante Wangenknochen dominierten blassen Gesicht) mit einer differenzierten Darstellung widerstreitender Gefühle zwischen Rachedurst und tief verschütteter Herzensgüte.
Während sich in Maleficents willkürlichem Umgang mit ihrem Getreuen Diaval (Sam Riley), den sie je nach Bedarf in Tiere verwandelt (wenn er etwa zum Drachen oder Wolf wird, ist das technisch beeindruckend umgesetzt), immerhin noch die komplexe Persönlichkeit der Titelfigur widerspiegelt, bleiben die als humorvolle Zwischenspiele gedachten Auftritte des Feentrios Knotgrass (Imelda Staunton), Flittle (Lesley Manville) und Thistlewit (Juno Temple) weitgehend Fremdkörper in der sonst recht ernsten Erzählung. Das würde wiederum weniger stark ins Gewicht fallen, wenn die überdrehten Kabbeleien der drei Tanten, die sich um die Erziehung Auroras kümmern, öfter wirklich komisch wären, aber meist beschränken sie sich auf ein recht hysterisches Gezeter und Gezerre. Hier gelingt es Debütregisseur Robert Stromberg auch nicht sehr gut, die unterschiedlichen Aspekte des Films unter einen Hut zu bringen. Auch eines der Schlüsselelemente des „Dornröschen“-Stoffes geht bei ihm etwas unter: Aus der poetischen Idee des im ewigen Schlaf Aus-der-Zeit-Fallens wird bei ihm etwas, das sich anfühlt wie eine Art Schein-Koma. Die Stärken des Filmemachers, der für sein Produktionsdesign von „Avatar“ und „Alice im Wunderland“ jeweils einen Oscar gewann und danach unter anderem an den wunderbaren Kulissen von „Die fantastische Welt von Oz“ arbeitete, liegen eindeutig im visuellen Bereich. Für den erzählerischen Zusammenhalt des Films ist dagegen die Leistung des Komponisten James Newton Howard („Die Tribute von Panem“, „Signs“) höher anzusiedeln. Seine mitreißend-stimmungsvolle Musik, die an seinen Soundtrack zu P.J. Hogans „Peter Pan“ erinnert, spannt Bögen und überbrückt Gräben.
Fazit: Hollywoods Märchenfilmwelle macht es möglich: Aus der bösen Fee im Animationsklassiker „Dornröschen“ wird die Hauptfigur eines faszinierend uneinheitlichen 3D-Fantasy-Spektakels, bei dem neben dem Designteam vor allem die Schauspielerinnen Akzente setzen.