23 Frauen hat der ungarische Serienmörder Béla Kiss, der Anfang des 20. Jahrhunderts sein Unwesen trieb, auf dem Gewissen. Die Leichen seiner Opfer lagerte er in mit Alkohol gefüllten Fässern ein – gefasst wurde er jedoch nie. Bis heute ranken sich wilde Spekulationen um das Schicksal des sadistischen Killers, der 1916 vom Militär eingezogen wurde und danach nie wieder zu Hof und Haushälterin zurückkehrte. Im Krieg gefallen ist Kiss offenbar nicht: Mehrere Zeugen wollen den flüchtigen Schwerverbrecher an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt gesehen haben. Der deutsche Filmemacher Lucien Förstner hat dazu seine ganz eigene Theorie parat: Geht es nach ihm, weilen Kiss und seine nicht minder blutrünstigen Nachfahren noch immer unter den Lebenden und lauern in einem abgelegenen Waldhotel auf ahnungslose Opfer. Mit seinem Debütfilm „Bela Kiss: Prologue" wagt der Regisseur einen wilden Ritt quer durch das Horror-Genre und seine Spielarten, verhebt sich aber an der Mammutaufgabe, historisches Found-Footage-Material mit Folter-Einlagen und Versatzstücken aus Slasherfilmen und Hinterwäldlerhorror zu einem stimmigen Gesamtergebnis zu verweben. Dass „Bela Kiss: Prologue" dennoch einige starke Momente hat, liegt in erster Linie an einem charismatischen Killer und der überzeugenden Filmmusik.
Knapp 100 Jahre nach dem Verschwinden von Bela Kiss (Rudolf Martin) suchen die fünf flüchtigen Bankräuber Nikolai (Fabian Stumm), Julia (Kristina Klebe), Felix (Ben Bela Böhm), Sophie (Janina Elkin) und Peter (Angus McGruther) Unterschlupf in einem abgelegenen Hotel im Wald. Was zunächst wie ein erfreulich anonymes Stundenhotel wirkt, in dem man problemlos unter den Namen „Böser Wolf" und „Rotkäppchen" einchecken kann, entpuppt sich schnell als Ort des Grauens: Dass Vegetarier im Hotelrestaurant in die Röhre gucken, weil ausschließlich Fleisch auf der Karte steht, ist noch eins der kleineren Übel, denn gleich in der ersten Nacht beobachtet die schlaflose Julia einen brutalen Mord - allerdings schenken weder ihr Freund, noch die undurchsichtige Hotelleiterin Miss Jakubec (Julia Horvath) ihrer Geschichte Glauben. Als Felix verschwindet und die Hausherrin am nächsten Morgen blutige Wäsche in die Reinigung gibt, erhärtet sich der Verdacht, dass Miss Jakubec mit einem brutalen Killer (Jörg Koslowsky), der offenbar im Hotel sein Unwesen treibt, unter einer Decke stecken könnte...
Eiskalte Serientäter wie der echte „Zodiac"-Killer, der heute vor allem aus David Finchers gleichnamigem Meisterwerk bekannt ist, charismatische Psychopathen wie Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer" oder TV-Mörder wie „Dexter" faszinieren den Zuschauer seit Jahrzehnten. Lucien Förstner weiß um diese Faszination und nutzt den Namen Béla Kiss und dessen sagenumwobene Geschichte, die schon Antonin Artaud inspirierte, als reißerischen Aufhänger für einen wilden Genremix. Die Anbindung der Filmhandlung an das tatsächliche historische Geschehen ist dabei überaus oberflächlich und letztlich sogar überflüssig. Nach einem Einstieg im Found-Footage-Stil, in dem Förstner die grausigen Leichenfunde von 1916 in vergilbten Bildern nachzeichnet, tobt sich der Regisseur und Drehbuchautor ein wenig im Hinterwäldlergenre à la „Wrong Turn" aus: Fünf gutaussehende Nachwuchskriminelle verfahren sich im Wald, nach kurzem Halt springt dann auf einmal der Wagen nicht mehr an, und plötzlich taucht eine düstere Gestalt vorm Beifahrerfenster auf: Das ist der erste von etlichen abgegriffenen Schockmomenten, die immer genau dann kommen, wenn man sie erwartet.
Auch der in vergleichbaren Filmen schon bis zum Überdruss verwendete Schauplatz eines abgelegenen Hotels fällt nicht gerade aus dem Rahmen und weckt offensichtliche Erinnerungen an Stanley Kubricks Stephen-King-Verfilmung „Shining" – nicht zufällig einer der Lieblingshorrorfilme Förstners. Ein kurzer, halbherziger Gruselmoment unter der Dusche kann als müde Hommage an Suspense-Meister Alfred Hitchcock („Psycho") gewertet werden, aber auch als billiges Abkupfern. Mit dem Tod des ersten Bankräubers wechselt Förstner dann nahtlos zum Slasherfilm und nach dem altbewährten Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip muss einer nach dem anderen ins Gras beißen, wobei das Wie auch nicht gerade vor Originalität strotzt. Geradezu hanebüchen gestaltet sich dann der Schlussakt, den Förstner plötzlich in übernatürliche Sphären entgleiten lässt und dabei ohne Rücksicht auf Verluste im Revier von „Blade" und ähnlichen Vampir-Schockern wildert. Da kann auch die düstere Filmmusik von Tim Nowack wenig retten.
Die größte Stärke von „Bela Kiss: Prologue" ist die Figur des charismatischen Killers, der auf den Spuren der ungarischen Serienmörderlegende wandelt und deren grausamen Taten nacheifert: Der von Jörg Koslowsky mit kühler Nonchalance versehene, blutrünstige Glatzkopf malträtiert seine Opfer brutal mit einem Schlachtermesser und lässt diese dann fachmännisch an einem Fleischerhaken ausbluten, um den wertvollen Lebenssaft weiterzuverwenden. Trotz der mystisch-morbiden Grundausrichtung des Films darf hin und wieder auch gelacht werden: Bester Running Gag ist die Geste des Killers beim Anblick seiner todgeweihten Opfer: Amüsiert legt der Schlächter den Kopf zur Seite, um im nächsten Augenblick wortlos drauflos zu metzeln. Der fast gleichgültig wirkende Tötungsakt stellt ungeübte Mägen immer wieder auf eine harte Belastungsprobe und sorgt für einige gelungene Gore-Momente in einem Film, dessen zuweilen etwas ermüdende Laufzeit von 106 Minuten sich problemlos kürzen ließe.
Fazit: Lucien Förstners Debütfilm „Bela Kiss: Prologue" hat einige starke Momente – dennoch überwiegt am Ende die Enttäuschung. Zu ziellos werden verschiedenste Subgenres des Horrorfilms abgearbeitet, zu deutlich sind die populären Vorbilder und deren Überlegenheit.