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    Beasts of the Southern Wild
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Beasts of the Southern Wild
    Von Robert Cherkowski

    Was sind das eigentlich immer für Geschichtenerzähler, die ihrem Publikum die Kindheit als verlorenes Paradies, als in goldenes Licht getauchten Erinnerungsbilderbogen verkaufen wollen? Kindheit, das bedeutet weit mehr. Kindheit kann lustvoll zelebrierten Aberglauben bedeuten, samt all der Hirngespinste, die lebhaft phantasierende Jungen und Mädchen erst nach und nach als Fiktion entlarven können. Neben Terrence Malick, der den Prozess des Werdens und Größerwerdens in „The Tree of Life" mit berauschender Perfektion auf den Punkt brachte, befassten sich unter anderem auch Terry Gilliam in seiner Hinterland-Phantasmagorie „Tideland" und Spike Jonze in seinem tieftraurigen Kindheitsrequiem „Wo die wilden Kerle wohnen" mit besonders aufreibenden Aspekten dieses alltäglichen Mysteriums „Kindheit". Mit seinem Langfilm-Debüt „Beasts of the Southern Wild" gesellt sich der amerikanische Regisseur Benh Zeitlin zu dieser Riege der großen Namen und liefert eine düstere Kindergeschichte voller Monster, Katastrophen und finsterer Märchen ab – ein Film, wie man ihn so noch nicht gesehen hat. Dass dieses Werk trotz unzähliger erzählerischer und inszenatorischer Wagnisse letztendlich doch so rund und schlüssig wirkt, ist eine schlichtweg grandiose Leistung.

    Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) ist noch keine zehn Jahre alt und doch schon eine wettergegerbte und abgehärtete Tochter der Wildnis. Aufgewachsen in den unwirtlichen Sümpfen der amerikanischen Südstaaten, lebt sie bei ihrem von Fusel und Höllenhitze verrückt gewordenen Vater Wink (Dwight Henry), der mit der Hilfe einiger Aussteiger im Hinterland ums Überleben kämpft. Zwischen hungrigen Alligatoren und Krabbenfang lässt Hushpuppy ihrer Phantasie freien Lauf und erträumt sich eine Welt, in der sie mit ihrer abwesenden (mutmaßlich verstorbenen) Mutter spricht und in der die Ankunft von vier apokalyptischen Wildschweinen bevorsteht. Als ein Hochwasser den Landstrich verwüstet, muss die heruntergekommene Aussteiger-Zweckgemeinschaft eng auf einem Floß zusammenrücken - gemeinsam gilt es, Hunger und Krankheit zu trotzen. Damit fängt das Abenteuer allerdings erst an...

    „Beasts of the Southern Wild"-Heldin Hushpuppy erweist sich als schillernde Figur, die einer Astrid Lindgren garantiert gefallen hätte. Wie eine Mischung aus Huckleberry Finn und Ronja Räubertochter übersteht das Mädchen wilde und teilweise albtraumhafte „Abenteuer" auf einem Fluss, wie er dreckiger und verseuchter kaum ausschauen könnte. Darin würde wohl nicht einmal der König der wilden Kerle baden – für Hushpuppy jedoch stellt das alles kein Problem dar. Die erst achtjährige Darstellerin Quvenzhané Wallis macht aus Hushpuppy eine begeisternde kindliche Heldin, die niemals nur süß oder sympathisch rüberkommt, sondern stets auch den wilden Urwuchs des Hinterlandes verkörpert. Eine noch größere Leistung vollbringt Dwight Henry als schattiger Vater, der in Sekundenschnelle vom wahnsinnigen Hillbilly-Despoten zum liebenswerten und völlig überforderten Daddy und wieder zurück taumelt und seine Tochter (und mit ihr das Publikum) in eine permanente Lauerstellung versetzt.

    Nie ist vorhersehbar, in welche Richtung der labile Wink gleich wieder umschwenken wird. Und strenggenommen ist auch der Film selbst nicht ganz zurechnungsfähig – da wandelt er sich mal eben vom Hinterwäldler-Drama à la „Winter's Bone" zu einem schrägen Märchen, wie es sich selbst Hayao Miyazaki nicht schöner hätte ausdenken können. Der Vergleich zum japanischen Animationspapst bietet sich in mehrfacher Hinsicht an: Die Wildschweinmonster aus Hushpuppys Fantasien sehen aus, als wären sie direkt aus „Prinzessin Mononoke" entflohen und auch sonst folgt Regisseur Benh Zeitlin einer flexiblen Logik des Phantastischen, ganz ohne Gut-Böse-Dramaturgie oder aufgesetzte Moral.

    Auch bei der visuellen Gestaltung hält „Beasts of the Southern Wild" das Niveau. Agil, aber ohne selbstzweckhafte Kapriolen gleitet Ben Richardsons Kamera durch die in dreckig-rostiges Sepia-Braun getauchte Szenerie. Sie befindet sich dabei stets auf Augenhöhe von Hushpuppy – so schauen wir gleichsam aus der kindlichen Perspektive der wackeren Heldin auf eine ebenso hässliche wie verzauberte Welt aus Elend und Geheimnissen. Dass dieser harte Tobak dabei nie zur deprimierenden Erfahrung wird, sondern mitreißt und bewegt, ist neben der aufregenden Geschichte und dem flotten Erzähltempo auch dem skurril-erhabenen Soundtrack aus Bluegrass und Bläser-Arrangements zu verdanken. „Beasts of the Southern Wild" begeistert als in jeder Hinsicht wagemutiger Genre-, Stimmungs- und Ideen-Mix – Zeitlins Film ist ein wahrer Triumph!

    Fazit: Armut, Sümpfe, Fluten, Dürre und schließlich das Reich der puren Fantasie – Zeitlins fantastischer Coming-of-Age-Film „Beasts of the Southern Wild" ist ein wundervoller Abenteuertrip, von dem man kaum noch zurückkehren möchte.

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