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    Die Tribute von Panem 3 - Mockingjay Teil 1
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Tribute von Panem 3 - Mockingjay Teil 1
    Von Christoph Petersen

    Die ersten beiden Teile von „Die Tribute von Panem“ sind sich dramaturgisch sehr ähnlich: Erst hagelt es bissige Faschismus-Schelte, dann gibt’s bei den Hungerspielen ordentlich auf die Mütze. Auch in „Flammender Zorn“, dem abschließenden Band der Romantrilogie, ist das trotz Hungerspiel-Abstinenz nicht anders. Zunächst kommt die Satire, dann erst die Action (hier in Form eines Krieges). Aber statt bei der Verfilmung einfach der erprobten Blaupause der Vorgänger zu folgen, haben die Produzenten entschieden, die Geschichte des finalen Buches wie bei „Harry Potter“, „Twilight“ und demnächst bei „Die Bestimmung“ in zwei Filmen zu erzählen. Das dürfte angesichts der zu erwartenden Mehreinnahmen für extrem hohe Luftsprünge bei den Aktionären des Lionsgate-Studios gesorgt haben, denn es heißt offiziell zwar immer, der Stoff verlange nun einmal zwei Filme, aber machen wir uns nichts vor, Hollywood ist zuallererst ein gewinnorientiertes Geschäft. Damit stand Francis Lawrence also plötzlich vor der Aufgabe, aus der so gut wie actionfreien ersten Hälfte des dritten Romans ein Blockbuster-Event zu formen. Und der Regisseur hat das einzig Richtige getan: Er hat mit „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ einen Film abgeliefert, der zwar weltweit wieder mehr als eine Milliarde Dollar einspielen wird, aber dennoch kaum weiter von einem typischen Hollywood-Spektakel entfernt sein könnte.

    Nach den Geschehnissen am Ende von „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ ist Katniss (Jennifer Lawrence) zwar in Distrikt 13 bei den Rebellen in Sicherheit, aber doch nur noch ein Schatten ihrer selbst: Während sie sich selbst und den Widerständlern um Anführerin Alma Coin (Julianne Moore) schwere Vorwürfe macht, weil ihr Hungerspiele-Partner Peeta (Josh Hutcherson) nicht ebenfalls gerettet werden konnte, wird sie zusätzlich immer wieder von schrecklichen Albträumen geplagt. Dass Katniss psychisch völlig am Ende ist, durchkreuzt auch den Plan von Marketing-Guru Plutarch Heavensbee (Philipp Seymour Hoffman), mit ihr als Aushängeschild der Rebellion Propagandavideos gegen Präsident Snow (Donald Sutherland) zu drehen. Um den leidenschaftlichen Funken in Katniss wieder zu entfachen, schickt er sie in die Distrikte, wo sie sich vor Ort ansehen soll, was die Schergen des Kapitols dort für Grausamkeiten anrichten. Und tatsächlich: Als Katniss miterlebt, wie Snows Geschwader ein Krankenhaus voller Verletzter zerbombt, nur weil diese sie mit dem Spotttölpel-Gruß empfangen haben, kehrt ihre Wut heißer denn je zurück…

    In „Tödliche Spiele“ hat sie sich für ihre jüngere Schwester geopfert und sich in „Catching Fire“ gegen die Hungerspiele aufgelehnt. Und in „Mockingjay“? Da ist Katniss erst ein psychisches Wrack und dann ein von Plutarch Heavensbee fremdgesteuertes Propaganda-Werkzeug. Aber nicht nur die Protagonistin ist nicht mehr dieselbe, das ganze Franchise hat sich verändert: Die „Panem“-Reihe war schon immer düster, aber es schwang bei den Hungerspielen auch immer dieses aufregend-abenteuerliche Gefühl eines (wenn auch lebensgefährlichen) Pfadfinder-Camps mit. Dieses ist inzwischen allerdings der puren Verzweiflung gewichen: „Mockingjay“ ist ein (zumindest in Teil 1) heldenloser Anti-Kriegsfilm, in dem allenfalls die sich gegen das Kapitol erhebenden und von dessen Soldaten niedergemähten namenlosen Massen tatsächlich einen heroischen Akt vollführen (sieht man einmal von der etwas zu absurden Szene ab, in der Katniss mit einem einzigen Pfeil gleich zwei Jets vom Himmel holt). Und weil Teil 1 eben nur die erste Hälfte der Geschichte erzählt, braucht hier auch niemand auf  Erlösung zu hoffen: Die blutunterlaufenen Augen der erneut grandiosen Jennifer Lawrence - und das hätte man nach den ersten fünf Minuten kaum für möglich gehalten - drücken in der letzten Szene sogar eine noch tiefere Verzweiflung aus als in der ersten!

    Während in „Mockingjay Teil 2“ (Starttermin in Deutschland: 19. November 2015) der tatsächliche Krieg im Zentrum stehen wird, geht es in Teil 1 hauptsächlich um den über die Medien ausgetragenen Propaganda-Wettstreit (womit der Film in Zeiten von Arabischer Frühling und Krim-Krise aktueller kaum sein könnte). So diskutiert Präsident Snow einmal mit seiner Beraterin über die Frage, wie man die Aufständischen denn nun am besten offiziell nennen solle, das Wort „Rebellen“ impliziere schließlich eine gewisse politische Legitimation – anders als etwa „Kriminelle“ oder „Terroristen“. Und das bewegende Video mit Katniss vor dem zerbombten Krankenhaus erinnert auffällig an ein amerikanisches Propagandavideo (Stichwort: Brutkastenlüge), mit dem 1990 die US-Invasion in Kuwait gerechtfertigt wurde. Während man bei der Grundidee der Reihe, die im TV übertragenen Hungerspiele seien wie Opium fürs Volk und würden so den Frieden in Panem sichern, schon noch ein wenig Unglauben zur Seite schieben musste, bleibt „Mockingjay Teil 1“ in Sachen Propaganda-Taktiken für einen Fantasy-Blockbuster geradezu schmerzhaft nah an der Realität. Und so kommt der Film übrigens auch fast ganz ohne Action aus: Es ist den Machern hoch anzurechnen, dass sie voll auf ihre Geschichte und ihre starke Protagonistin vertrauen, anstatt sich zusätzliches Spektakel einfach aus den Fingern zu saugen. In Teil 2 wird ohnehin noch genug in die Luft fliegen.

    Anders als in den ersten zwei Filmen ist Jennifer Lawrence in „Mockingjay Teil 1“ der alleinige Star. Während sie praktisch in jeder Sequenz zu sehen ist, absolviert neben ihr kaum ein Darsteller mehr als eine Handvoll Szenen (selbst jemand wie Jena Malone als Johanna Mason ist aufgrund der Zweiteilung nur für einen Sekundenbruchteil zu erhaschen). Trotzdem gibt es eine Reihe erwähnenswerter Auftritte: Josh Hutcherson als Peeta Mellark ist diesmal zwar fast ausschließlich in Fernsehansprachen zu sehen, in denen er die Aufrührer im Auftrag der Propaganda-Maschinerie des Kapitols zum Niederlegen ihrer Waffen aufruft. Aber es ist beeindruckend, wie er von einem TV-Auftritt zum nächsten psychisch und physisch immer mehr verfällt. Eine noch subtilere Wandlung macht Julianne Moore als Rebellen-Anführerin Alma Coin durch: Sind die ersten Ansprachen an ihre Leute noch durch und durch sachlich (oder besser: verdammt öde), scheint sie im Verlauf des Films Gefallen an der Macht zu finden, die ihr die Propaganda-Spots einbringen: Bei ihren letzten Auftritten lässt sich schließlich vom Stil her kaum noch ein Unterschied zu den pathetischen Reden von Präsident Snow ausmachen. Und dann gibt es da natürlich noch den verstorbenen Oscar-Preisträger Philipp Seymour Hoffman, der als Chef-Propagandist der Rebellen zwar mit seinen Vorschlägen die Story vorantreibt, aber ehrlicherweise ein wenig blass bleibt: Plutarchs Kommentare zu Katniss‘ katastrophal scheiternden Schauspielversuchen hätten ruhig noch ein wenig trocken-sarkastischer ausfallen dürfen.

    Fazit: Mit „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ soll die mit den ersten beiden Filmen kreierte Spannung bis zum großen Finale hochgehalten werden. Aber zum Glück für das noch ein weiteres Jahr auf die Folter gespannte Publikums meistert Regisseur Francis Lawrence diese Herausforderung auf ganz Hollywood-untypische Weise: Mit wenig Krawall und viel Intelligenz legt er den bisher besten Teil der Reihe vor.

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