Die Action-Choreografien aus „Die Unglaublichen“ sind auch heute noch über jeden Zweifel erhaben und die Pointen zünden immer noch genauso zuverlässig wie vor 14 Jahren, weil sich der Regisseur und Autor Brad Bird bei seinen Gags ganz allgemein auf das Konzept von Superhelden bezieht und mit konkreten Popkulturanspielungen (die in der Regel schnell aus der Mode kommen) sehr, sehr sparsam umgeht. Lediglich einige Hintergrundanimationen (etwa die sichtbar flächigen Laubböden im Dschungel) entsprechen heute nicht mehr dem modernen Stand der Technik. Und gerade weil der Pixar-Hit so viel besser gealtert ist als die allermeisten CGI-Animationsfilme, ergibt es absolut Sinn, dass die Fortsetzung „Die Unglaublichen 2“ nun trotz der langen Pause in nahezu jeder Hinsicht vollkommen nahtlos an das Original anknüpft. Nach seinen Abstechern zum Realfilm mit „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ und „A World Beyond“ macht Animations-Genie Brad Bird („Der Gigant aus dem All“, „Ratatouille“) also genau da weiter, wo er 2004 aufgehört hat – und vieles macht er sogar noch einen Tick besser als damals.
Nachdem die Helden-Familie Parr in „Die Unglaublichen“ den durchgeknallten Superfan Buddy Pine alias Syndrome ausgeschaltet hat, taucht plötzlich der Underminer (Stimme im Original: John Ratzenberger) wieder auf und raubt mit seinem riesigen Maulwurf-Mobil eine Bank aus. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd geht so viel zu Bruch, dass das Superhelden-Schutzprogramm für Bob Parr alias Mr. Incredible (Craig T. Nelson), Helen Parr alias Elastigirl (Holly Hunter) und ihre drei Kinder für beendet erklärt wird. Weil zudem ihr Haus in die Luft geflogen ist, ziehen die Parrs notgedrungen in ein Motel, bis sie von Winston (Bob Odenkirk) und Evelyn Deavor (Catherine Keener) ein verlockendes Angebot erhalten: Die schwerreichen Unternehmer-Geschwister wollen eine Kampagne für die Legalisierung von Superhelden finanzieren – und Elastigirl soll mit Heldentaten für die nötige Publicity sorgen. Für Bob heißt das allerdings, dass er sich im neuen Luxus-Zuhause alleine um die Kinder kümmern muss…
„Die Unglaublichen“ hat mit den modernen Superheldenentwicklungen im MCU und DCEU wenig am Hut – stattdessen sind die Filme vielmehr eine Hommage an die Goldene Ära der amerikanischen Comichefte, die etwa von den 1930ern bis Anfang der 1960er andauerte. Noch stärker als der erste Film, in dem dieser Bezug vor allem für ein wenig nostalgisches Zeitkolorit hier und da genutzt wurde, wird diese verklärte Zeit der weißen Gartenzäune in „Die Unglaublichen 2“ nun auch thematisch viel stärker beackert: Neben den offensichtlichen Parallelen zur McCarthy-Ära (mit Superhelden statt Kommunisten) spielt Brad Bird auch ganz zentral mit dem damaligen Familien-Rollenbild, wenn Elastigirl immer wieder den Tag rettet, während sich Mr. Incredible nach seinen Zeiten als starker Mann zurücksehnt. Im Kern ist „Die Unglaublichen 2“ eigentlich eine liebenswürdige Familienkomödie aus der Handlungszeit, in der man damals wohl am ehesten Doris Day und Rock Hudson in den Hauptrollen besetzt hätte.
Aber keine Angst: Brad Bird jagt nicht in erster Linie irgendeiner politischen Agenda hinterher, stattdessen liefern die charmanten Haushalts-Katastrophen von Mr. Incredible, der die Mathe-Hausaufgaben seines Sohnes Dashiell (Huck Milner), den Liebeskummer seiner Tochter Violet (Sarah Vowell) und die unkontrollierbaren Superkräfte seines Babys Jack-Jack (Eli Fucile) vollkommen übernächtigt unter einen Hut bringen muss, großartige Gags im Sekundentakt. Dabei erweist sich – wenig überraschend – vor alle Jack-Jack als zuverlässiger Szenendieb: Nachdem es bisher vor allem darum ging, wer jetzt auf ihn aufpassen muss (und deshalb nicht mit die Welt retten darf), hat sich Brad Bird dieses Mal ein solch absurdes Sammelsurium an Superkräften für Jack-Jack überlegt, dass quasi jede Szene mit ihm zum animierten Slapstick-Meisterstück gerät. Lachkrämpfe sind vorprogrammiert – und Jack-Jack ist eindeutig der größte Gewinn des zweiten Teils!
Eine kleine Enttäuschung ist hingegen der Bösewicht. Die Idee der Gedankenkontrolle über Bildschirme ist zwar nicht neu, passt aber hervorragend zum „Twilight Zone“- und „Dr. Mabuse“-Vibe des Films und sorgt zudem für einige ziemlich coole und abwechslungsreich choreographierte Superhelden-gegen-Superhelden-Actionsequenzen. Allerdings ist der (geheime) Bösewicht nicht nur sehr leicht zu durchschauen, auch die Idee, dass er betont gelangweilt wirkt, als würde er konsequent über den Dingen stehen, geht in diesem Fall eher nach hinten los. So verpufft etwa auch seine offensichtlich auf die Origin Story von Batman anspielende Motivation ohne emotionalen Punch.
Dass „Die Unglaublichen“ die meisten Comic-Blockbuster seiner Zeit in Sachen Action-Choreografien locker in die Tasche steckt, ließ sich damals natürlich noch damit erklären, dass im Animationskino bereits alles möglich war, aber im Live-Action-Film eben noch nicht. Inzwischen herrscht da dank des technischen Fortschritts allerdings weitgehend Waffengleichheit – und trotzdem zeigt Brad Bird seinen Blockbuster-Kollegen auch 2018 wieder, was eine Harke ist: Denn wenn man etwa die unendlich einfallsreich choreografierte Verfolgungsjagd von Elastigirl au f ihrem Elastibike der vergleichbaren Sequenz mit Batman auf seinem Bat Pod in „The Dark Knight Rises“ gegenüberstellt, dann gibt es da – rein inszenatorisch - einen ziemlich eindeutigen Punktsieger (und der hat keine spitzen Ohren). Dazu kommt ein mit Superhelden und ihren verschiedensten Kräften nur so vollgestopftes Finale, in dem sich inszenatorische Finesse und kreative Drehbucheinfälle ebenfalls perfekt ergänzen.
Fazit: Trotz eines schwächeren Bösewichts insgesamt sogar noch besser als der ohnehin schon starke erste Teil von 2004.
PS: Bei Marvel-Filmen weiß inzwischen jedes Kind, dass man beim Abspann sitzen bleibt, weil da bestimmt noch was kommt. Bei „Die Unglaublichen 2“ gibt es hingegen weder eine Mid- noch eine Post-Credit-Sequenz – und trotzdem sind in unserer Vorstellung des Films fast alle bis ganz zum Ende sitzengeblieben. Und der Grund dafür trägt einen Namen: Michael Giacchino! Der oscarprämierte Komponist (für „Oben“) übertrifft seinen ohnehin schon verspielt-genialen Score zum ersten Teil sogar noch und liefert eine Filmmusik, die jedes James-Bond-Abenteuer vor Neid erblassen lässt. Ein fantastischer, einfach nur gute Laune verbreitender Ohrenschmaus, von dem man einfach nicht genug bekommen kann – also bleibt man sitzen, um auch noch die letzte Note zu hören, wobei während des Abspanns auch nicht nur einfach die verschiedenen musikalischen Motive des Films noch einmal wiederholt werden, zusätzlich gibt es nämlich auch noch von klassischen TV-Serien inspirierte Themensongs für alle Helden. Also unbedingt sitzenbleiben (oder zumindest Klappe halten und ganz leise rausschleichen).