Mein Konto
    Foxcatcher
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Foxcatcher
    Von Carsten Baumgardt

    In herausragenden Sportler-Filmen wird gekämpft bis zum Umfallen. Wenn die Kontrahenten ganz wörtlich im Clinch liegen und Blut, Schweiß und Tränen fließen, dann wird der Ring in Werken wie „Wie ein wilder Stier“, „Rocky“ oder „The Wrestler“ zur Bühne eines existenziellen Dramas. Diese Zuspitzung ist im sportlichen Zweikampf gleichsam schon angelegt, das ist nun auch in den intensiven Ringkämpfen in Bennett Millers „Foxcatcher“ zu spüren. Der sportfilmerfahrene Regisseur („Die Kunst zu gewinnen - Moneyball“) kombiniert die Mattenduelle in seinem Ringer-Melodram allerdings ganz klassisch mit einer persönlichen Tragödie, die sich außerhalb der Wettkampfstätte abspielt: Ringen und Leben gehen hier alles andere als eine harmonische Verbindung ein. So läuft Millers an wahre Begebenheiten angelehnte Geschichte in quälender Langsamkeit auf eine rätselhafte Katastrophe zu. „Foxcatcher“ muss man als Betrachter förmlich durchleiden, aber zugleich ist das alles so brillant gespielt und von so großer atmosphärischer Dichte, dass man sich fasziniert von seinem furchtbaren Sog mit in den Abgrund reißen lässt.

    1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles holte sich Freistil-Ringer Mark Schultz (Channing Tatum) in der Gewichtsklasse bis 82 Kilogramm die Goldmedaille, sein älterer Bruder Dave (Mark Ruffalo) triumphierte (bis 74 Kilogramm) dort ebenfalls. Doch die weiteren Lebenswege der beiden ungleichen Gold-Brüder entwickeln sich unterschiedlich. Während Junggeselle Mark auf der Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft ist, lebt Dave in gefestigten Familienverhältnissen mit Frau Nancy (Sienna Miller) sowie den beiden Kindern Alexander (Jackson Frazer) und Danielle (Samara Lee). Drei Jahre nach seinem Olympiasieg bekommt Mark schließlich ein ungewöhnliches Angebot, das er nicht ablehnen kann: Der exzentrische Multi-Millionär und Sportförderer John E. du Pont (Steve Carell) lockt den Amateursportler mit viel Geld und idealen Trainingsbedingungen. Schultz zieht auf du Ponts Riesenanwesen, um sich dort auf die in zwei Monaten beginnende Weltmeisterschaft im französischen Clermont-Ferrand vorzubereiten. Seinen ebenfalls von du Pont umworbenen Bruder Dave kann Mark jedoch nicht dazu bewegen, dem „Team Foxcatcher“ beizutreten…

    In den 2000er Jahren kam es in Mode, dass milliardenschwere Geschäftsleute wie Roman Abramowitsch (Chelsea London) oder Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan (Manchester City) Hunderte von Millionen in ihr Hobby Fußball steckten und sich ganze Clubs kauften, um dort die Geschicke zu bestimmen. In den USA hat diese Marotte der finanzkräftigen Teambesitzer in den großen Profisportligen wie Football, Baseball, Basketball und Eishockey schon jahrzehntelange Tradition. Eine gewisse Ausnahmestellung besaß dagegen der einer französisch-amerikanischen Industriellenfamilie entstammende Multi-Millionär John E. du Pont, denn der liebte ganz besonders die Randsportart Ringen, die er in seiner Jugendzeit selbst betrieben hatte. Er baute das „Team Foxcatcher“ auf, um an den Erfolgen seiner talentierten Schüler teilhaben zu können und wollte nicht nur als Mäzen, sondern auch als Trainer, Mentor und väterlicher Freund öffentlich wahrgenommen werden. Um diese Illusion zu erhalten, engagierte er eine ganze Entourage aus persönlichen Assistenten, Dokumentarfilmern und anderen Handlangern. Regisseur Bennett Miller („Capote“) erzählt in seinem Film „Foxcatcher“ nun mit großer Sorgfalt und wachsender Wucht davon, wie du Ponts Geltungsbedürfnis auf zwei gegensätzliche Brüder und Sportlerpersönlichkeiten prallt.

    „Foxcatcher“ ist Sportfilm, Dreiecksdrama und ganz großes Schauspielkino in einem. Dabei wechselt der Fokus immer wieder zwischen den Protagonisten (weshalb auf dem US-Plakat auch alle drei Hauptdarsteller zu sehen sind und nicht nur Poster-Boy Channing Tatum wie in Deutschland). Steve Carell („The Office“, „Ganz weit hinten“) hat als exzentrischer Millionär mit auffälliger Nase vielleicht die dankbarste Aufgabe, aber das hält den bisher hauptsächlich für Komödien bekannten Star nicht davon ab, alle Erwartungen zu übertreffen und als Charakterdarsteller zu glänzen. Nach und nach offenbart er die komplizierte Persönlichkeit du Ponts in ihrer ganzen Ambivalenz und mit all ihren Komplexen. Der unter chronischer Selbstüberschätzung leidende Sport-Sponsor will unbedingt als große Persönlichkeit und wahrer Patriot wahrgenommen werden, wobei er nicht sehen will, dass große Teile der vermeintlichen Bewunderung und Anerkennung in Wirklichkeit ganz schnöde mit Geld erkauft sind. An diesem Punkt wird auch die innere Zerrissenheit von Channing Tatums Mark Schultz sehr gut deutlich: Wie ist die optimale sportliche Vorbereitung gewährleistet und ab welchem Punkt verkauft er sich vollends an den besitzergreifenden du Pont?

    Channing Tatum („22 Jump Street“, „Magic Mike“) ist die schauspielerische Überraschung des Films und zeigt als tumber, einfach gestrickter und fast teilnahmslos wirkender Ringer, der nach Orientierung sucht und zunächst nur bei seinem Bruder Dave Verständnis und Zuflucht findet, seine bisher beste Karriereleistung. Er muss sich weder hinter dem wandlungsfähigen Carell noch hinter Mark Ruffalo („Zodiac“, „The Avengers“), dem Dritten im Bunde, verstecken. Um dessen Mitwirkung gab es wiederum ein wenig Aufregung, denn in der amerikanischen Ringer-Szene regte sich aktiver Widerstand gegen den Darsteller. Während er rein mimisch außer Zweifel steht (und auch hier alle Register zieht), hat man Ruffalo tatsächlich nicht unbedingt als allererstes für eine Besetzung als Top-Sportler auf der Rechnung. Doch er trainierte so hart, dass die Skeptiker aus dem Ringer-Lager bei einem Treffen von seinen neuerworbenen Künsten auf der Matte überzeugt waren. Durch die Beteiligung echter Ringer wiederum wirkt „Foxcatcher“ in seinen Sportszenen so authentisch – der muffige Geruch von schweißdurchtränkten Sporthallen weht förmlich durch den gesamten Film, Ringen ist schließlich nicht gerade eine sexy Hochglanzsportart. Die zunächst für 2020 vom IOC geplante Olympia-Verbannung wurde schließlich erst nach hartem Ringen hinter den Kulissen doch noch rückgängig gemacht.

    So echt und unverfälscht die nüchtern-biedere Atmosphäre der Ringkämpfe wirkt, so groß sind auf der anderen Seite die Freiheiten, die sich Regisseur Miller sowie seine Drehbuchautoren E. Max Frye („Gefährliche Freundin“) und Dan Futterman („Capote“) beim Umgang mit dem aus dem Leben von John E. du Pont, Mark und Dave Schultz gegriffenen Stoff nehmen. Sie setzen auf eine starke dramatische Verdichtung und so liegt die gesamte Handlungszeit des Films mit Ausnahme des zeitlich nicht zu verortenden Schlusses in den Jahren 1987 und 1988, als Mark Schultz bei der Weltmeisterschaft und an den Olympischen Spielen teilgenommen hat. Seine Ära im „Team Foxcatcher“ begann in der Realität jedoch erst 1989, als er seine Karriere als aktiver Kader-Ringer der US-Nationalmannschaft bereits beendet hatte. Letztlich haben sich die Filmemacher schlicht für eine Intensivierung durch die Raffung der Ereignisse entschieden – und sind damit erfolgreich. Wichtiger ist ohnehin, dass „Foxcatcher“ auch eine Fabel über das Amerika der späten 80er Jahre und über die extremen Unterschiede zwischen Arm und Reich ist. An denen reibt sich Miller moralisch und zeichnet die Psychogramme dreier Figuren, zwischen denen sich eine nicht zu stoppende zerstörerische Dynamik entwickelt. Es entsteht ein Sog latenter Beunruhigung und dennoch bricht zum unheimlichen Ende plötzlich und ohne wirkliche Erklärung die Katastrophe herein.

    Fazit: Bennett Miller seziert in seinem verstörend-hypnotischen Sport-Drama eine Tragödie und führt uns auf die dunkle Seite des amerikanischen Traums.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top