Die Briten sind nicht unbedingt für kompromissloses Kino bekannt, die Zeit der „Hammer-Studios" ist längst vorbei. Hin und wieder lohnt jedoch ein Blick auf die Insel. Nicht nur das realistische Gangster-Kino hat mit Mike Hodges' „Jack rechnet ab", Michael Tuchners „Villain" oder John Mackenzies „Rififi am Karfreitag" hochklassigen Zuwachs bekommen, auch der Horrorfilm wäre ohne Filme wie „Wicker Man" oder Clive Barkers „Hellraiser" um einige Klassiker ärmer. Mit Neil Marshall („The Descent") oder James Watkins („Eden Lake") schickt sich derweil eine neue Generation britischer Horrorfilmer an, die Gunst des Publikums zu erobern. Mit „Kill List" könnte dies auch Ben Wheatley gelingen. Bisher zeichnete sich der Brite vor allem durch seine Tätigkeit fürs Fernsehen aus. In seinem ersten Kinobeitrag versucht er sich nun gleich an einem originellen Genre-Crossover: Sein Gangster-Horror bricht mutig mit Konventionen.
Für den Ex-Soldaten Jay (Neil Maskell) läuft es nicht besonders gut. Die letzten finanziellen Reserven sind aufgebraucht, gemeinsam mit seiner Frau Shel (Myanna Buring) sitzt er auf unbezahlten Rechnungen und einem großen Berg an Schulden. Auch die immense Verantwortung gegenüber seinem Sohn Sam (Harry Simpson) macht die Lage nicht gerade besser. Ein lukratives Job-Angebot von seinem Freund Gal (Michael Smiley) kommt da gerade recht. Die Sache hat jedoch einen Haken, denn Jay und Gal sollen für einen mysteriösen Klienten (Struan Rodger) kurzerhand drei Auftragsmorde begehen. Trotzdem willigt Jay ein. Schon bald merken die beiden, dass es sich um keine gewöhnliche Todesliste handelt...
Bevor das ordinäre Verbrechen schließlich dem Horror Platz macht, verunsichert Wheatley sein Publikum eins ums andere Mal. Bereits die Exposition wartet mit subtiler Anspannung auf, denn sowohl Jays Familienleben als auch seine Vergangenheit scheinen das eine oder andere dunkle Geheimnis zu bergen: Was auch immer der ehemalige Soldat während seiner Einsätze gesehen haben mag, vergessen ist es nicht! So kommt es dann auch immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen mit Ehefrau Shel - da wird schon einmal lautstark geschrien oder geflucht. Wheatley unterstreicht diese permanente Unrast durch den Einsatz von Jump-Cuts und andere inszenatorische Tricks, ohne dabei deren Zweckdienlichkeit nur einmal aus den Augen zu verlieren. Auch der atonale Score im Stile des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki unterstreicht das disharmonische Miteinander perfekt. Dabei hält Wheatley seinen Film komplett humorlos. Wo andere Genre-Vertreter oft noch mit einem Quäntchen schwarzen Humors aufwarten, um eine Distanz zum Geschehen zu ermöglichen, dominiert in „Kill List" der pure Ernst.
Weiter bekommt Jay mit seinem Killer-Kollegen Gal zwar einen gesprächigen Partner an die Seite gestellt, der mörderische Road-Trip nimmt dabei aber niemals Anleihen beim Buddy-Movie. Michael Smiley kann seiner Figur des Gal zwar immer wieder Facetten abgewinnen, letztlich konzentriert sich die Handlung aber auf Jay und dessen Reise ins Herz der Finsternis. Je weiter der gefrustete Familienvater in die Domäne des Horrors vordringt, desto entfesselter ist sein Gemüt. Oft scheint es, als würde er den Mord-Trip regelrecht genießen. Jay ist damit vor allen Dingen eine tragische Figur, die kaum Sympathien für sich beanspruchen kann. Neil Maskell verkörpert das ambivalente Leiden des Killers jedoch mit einer solchen Leinwandpräsenz, dass sein Schicksal sofort interessiert. Das funktioniert selbst noch in den äußerst brutalen Momenten, in denen Jay sein zweites Opfer beispielsweise mit einem Hammer traktiert, als wolle er Albert Dupontel und seinen beherzten Einsatz mit dem Feuerlöscher in „Irreversible" in den Schatten stellen.
„Kill List" wartet bereits relativ früh mit solchen Gewaltspitzen auf, was eine weitere Steigerung kaum erwarten lässt. Das treibt die Anspannung erst einmal ins Unermessliche, immerhin steht der eigentliche Twist zum Okkulten hin noch aus. Welches Kaliber wird Wheatley erst auffahren, wenn die Handlung gänzlich ins Horrorhafte kippt? Leider zeigt sich der Regisseur in diesem Moment selbst etwas orientierungslos. Der Schlussakt wartet mit unkoordinierter Action und wiederholten Schusswechseln auf, die physische Brutalität ist wie weggeblasen. Auch die Wandlung zum gänzlich Fantastischen bleibt aus, der großartigen Atmosphäre entzieht der Regisseur damit den Boden. Spätestens im Finale geht dann zusätzlich die Übersicht über die verschiedenen Handlungsfäden verloren und das Geschehen wirkt bisweilen reichlich willkürlich. Auch die Schlusspointe ändert an diesem Eindruck kaum mehr etwas, ist sie doch nicht wirklich originell.
Fazit: „Kill List" ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits lässt Ben Wheatley unbedingten Stilwillen erkennen und es gelingt ihm ganz vorzüglich, eine schneidende Atmosphäre aufzubauen. Erzählerisch kommt er mit seinem Konstrukt aber ab und an ins Straucheln. Ein hundsgemeines Kleinod von einem Thriller bleibt Wheatley Zweitling aber dennoch.