Im Berlinale-Wettbewerb 2015 porträtierte „Der Untergang“-Regisseur Oliver Hirschbiegel den einzelgängerischen Widerstandskämpfer „Elser“ und sein gescheitertes Attentat gegen Hitler, ein Jahr später erzählt der schweizerisch-spanische Regisseur Vincent Perez („In deiner Haut“) nun exemplarisch vom Aufbegehren der deutschen Mittelschicht gegen das nationalsozialistische Regime. Sein Geschichtsdrama „Jeder stirbt für sich allein“ ist bereits die fünfte Verfilmung von Hans Falladas 1946 geschriebenem Kriegsroman, der als erstes wichtiges literarisches Lebenszeichen eines nicht-emigrierten deutschen Schriftstellers nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt. Doch auch der spannende Stoff und die guten Hauptdarsteller können den hölzern und weitgehend emotionslos inszenierten Film nicht über das untere Mittelmaß hinaustragen, zumal Perez mit seinem kollektiven Freispruch der wohlmeinenden „normalen“ Bevölkerung letztlich zu wenig differenziert.
Berlin, 1940: Der Werkmeister Otto Quangel (Brendan Gleeson) und seine Frau Anna (Emma Thompson) sind am Boden zerstört, als sie erfahren, dass ihr einziger Sohn Hans (Louis Hofmann) im Krieg an der Front gefallen ist. Anna macht ihren regimetreuen Mann für den Tod ihres Kindes (mit)verantwortlich, während Otto innerlich trauert. Er beschließt, etwas gegen die Naziherrschaft zu unternehmen und kleine Nadelstiche zu setzen: Quangel beschreibt Postkarten mit Anti-Hitler-Botschaften, die zum stillen Widerstand aufrufen und Pressefreiheit fordern – in dem Wissen, dass er getötet wird, sollte er gefasst werden. Als Anna herausfindet, was ihr Mann treibt, schließt sie sich ihm an. Auf Seiten der Nazis ermittelt unterdessen der ehrgeizige Kommissar Escherich (Daniel Brühl): Die Schlinge um den Hals der Quangels, die ihre Karten in ganz Berlin verteilen, zieht sich immer enger zu.
In Wahrheit heißen die Quangels aus Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ Otto und Elise Hampel: Der 1947 verstorbene Autor erfuhr durch Einsicht in Gestapo-Akten von deren Taten, änderte für seinen gefeierten 700-Seiten-Roman, den er in einem vierwöchigen Schaffensrausch herunterschrieb, allerdings die Namen der Beteiligten und fiktionalisierte große Teile der Handlung. Vincent Perez wiederum bleibt äußerlich recht nah an Falladas Vorlage, kommt dabei aber bei weitem nicht an die bewegende Menschlichkeit des Buches heran. Dafür wirkt vieles im Film einfach zu schematisch und einseitig. Daran ändert auch das sichtliche Bemühen um Authentizität wenig: Gedreht wurde wieder einmal im sächsischen „Kriegsdrehort“ Görlitz, außerdem hat man den Großteil der Nebenfiguren mit deutschen Schauspielern besetzt (die allerdings in der Originalfassung der deutsch-französisch-britischen Koproduktion eher schlecht als recht Englisch sprechen müssen). Für die Hauptrollen setzen die Produzenten dagegen auf internationale Stars wie Brendan Gleeson („Am Sonntag bist du tot“), Emma Thompson („Wiedersehen in Howards End“), Daniel Brühl („Rush“) und Mikael Persbrandt („In einer besseren Welt“). Was dabei im Einzelfall an Lokalkolorit verloren gehen mag, wird durch schauspielerische Klasse wettgemacht.
Im Zentrum stehen die beiden Gegenspieler Quangel und Escherich: Brendan Gleeson spielt den vom Linientreuen zum Widerständler werdenden Handwerker als ruhigen und besonnenen Ehrenmann, der keine großen Emotionen zeigt. In winzigen Nuancen lässt er erahnen, wie es im Inneren der Figur wirklich aussieht. Daniel Brühls Kommissar wiederum hebt sich als intelligenter und ambitionierter Karriere-Beamter von den tumben Befehlsbrüllern ab, die im Nazi-Apparat die Mehrheit stellen. Wie er versucht, seinen persönlichen Ehrgeiz und sein moralisches Empfinden miteinander zu versöhnen, ist einer der wenigen zumindest ansatzweise über das rein Thesenhafte hinausgehenden Konflikte im Film. Viel zu einfach machen es sich die Filmemacher dagegen mit ihrem vermeintlichen Querschnitt der Gesellschaft im Berliner Mietshaus der Quangels. Dort scheint es kaum echte Nazis zu geben, es entsteht ein etwas simpel erscheinendes Bild der Mittelschicht, die scheinbar kollektiv mit Hitler über Kreuz lag, sich aber nicht traute, aktiv Widerstand zu leisten. Bei einer Einzelfigur wie dem privat mit den Quangels sympathisierenden, aber aus Angst, selbst belangt zu werden, hart urteilenden Richter Fromm (Joachim Bißmeier) hat das noch dramatisches, sogar tragisches Potenzial – verallgemeinert wirkt es beschönigend, wenn nicht entschuldigend.
Fazit: Vincent Perez gelingt es mit seinem spröden und wenig differenzierten Weltkriegsdrama „Jeder stirbt für sich allein“ trotz durchaus ansprechender schauspielerischer Leistungen nicht, emotional zu seinem Publikum durchzudringen.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.