Nach Alec Baldwin („Jagd auf Roter Oktober“), Harrison Ford („Die Stunde der Patrioten“, „Das Kartell“) und Ben Affleck („Der Anschlag“) ist „Star Trek“-Captain Chris Pine nun der vierte Hollywoodstar, der Tom Clancys CIA-Analysten Jack Ryan auf der Kinoleinwand verkörpert. Dabei ist Kenneth Branaghs Spionage-Thriller „Jack Ryan: Shadow Recruit“ allerdings der erste Film des Franchise, der nicht auf einer konkreten Vorlage des 2013 verstorbenen Bestsellerautors basiert. Stattdessen haben die Produzenten ein vielversprechendes Skript, in dem es ebenfalls um einen Geheimdienst-Analysten geht, auf den schon etablierten Agenten ummünzen lassen und erzählen in ihrem Reboot nun von dessen Anfängen. Mit Chris Pine wurde dafür ein hervorragender Jack Ryan gefunden, den wir sehr gerne auch in möglichen Fortsetzungen wieder in der Rolle sehen würden. Aber die dünne Story von „Shadow Recruit“ wird dem für dieses Genre überraschend differenziert ausgestalteten Protagonisten leider nicht gerecht.
Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 entscheidet sich der in Großbritannien Wirtschaft studierende Amerikaner Jack Ryan (Chris Pine), seine halbfertige Abschlussarbeit liegenzulassen und sich stattdessen zum Dienst bei den Marines zu verpflichten. Nachdem er in einem Hubschrauber über Afghanistan abgeschossen wurde, kämpft Ryan mithilfe der Ärztin Cathy Muller (Keira Knightley) monatelang darum, wieder laufen zu können. In dieser Zeit wird er auch von dem CIA-Agenten Thomas Harper (Kevin Costner) als Undercover-Analyst angeworben. Ryan soll sein Studium abschließen und anschließend einen Job an der Wall Street annehmen, um verdächtige Geldströme ausfindig machen zu können. Zehn Jahre später stößt der inzwischen mit der nicht in seine Agententätigkeit eingeweihten Cathy in New York lebende Ryan dann tatsächlich auf mysteriöse versteckte Konten, die dem Konzern des mächtigen russischen Oligarchen Viktor Cherevin (Kenneth Branagh) gehören. Also reist Ryan nach Moskau, um sich die Sache genauer anzusehen. Aber kaum ist er in seinem Hotelzimmer angekommen, entwickelt sich die Routine-Überprüfung zu einem Kampf auf Leben und Tod…
Jack Ryan ist nicht James Bond. Und er ist auch nicht Jason Bourne. Statt auf Martinis oder Muskelkraft setzt er lieber auf seine analytischen Fähigkeiten, um herausfordernde Situationen zu meistern. So beginnt „Shadow Recruit“ auch nicht mit einer explosiven Eröffnungsszene à la „GoldenEye“, in der 007 mal kurz eine sowjetische Waffenfabrik in die Luft jagt. Stattdessen hält Ryan ein kleines Nickerchen auf einer Parkbank – mit einem Mathebuch als Kissen. Obwohl Chris Pine („Das gibt Ärger“) aussieht wie ein Hollywood-Held und auch die dazugehörigen Bauchmuskeln besitzt, legt der Captain-Kirk-Darsteller in „Shadow Recruit“ erstaunliche Jedermann-Qualitäten an den Tag. Und auch die Art der Bedrohung passt perfekt zum Protagonisten – statt einer Superwaffe aus dem All sind es hier „lediglich“ virtuelle Finanzströme, die die Welt aus den Angeln zu heben drohen. Nur wenn Ryan später an Bord eines Flugzeugs stakkatoartig Anweisungen durch die Kabine schreit, um in Sekundenschnelle dieses Facebook-Profil mit jenem Instagram-Archiv und jener IP-Adresse abzugleichen, übertreiben es die Autoren dann doch – weltbester Analyst hin oder her.
Für die vergleichsweise rar gesäten Actionszenen (ein Auf-Leben-und-Tod-Hotelzimmer-Zweikampf, zwei Verfolgungsjagden und einen „Ocean’s Eleven“-artigen Einstieg in ein hochgesichertes Bürogebäude) hat Kenneth Branagh einen guten Kompromiss zwischen Charaktertreue und dem Hunger nach Spektakulärem gefunden: Jack Ryan besitzt zwar eine Ausbildung als Marine, hat diese Fähigkeiten jedoch seit zehn Jahren weder eingesetzt noch trainiert. Deshalb ist es glaubhaft, dass er selbst gegen einen körperlich überlegenen Kontrahenten im Zweikampf eine Chance hat, diesen aber eben nicht im Bourne-Stil mit einem einzigen Schlag ausschalten kann. Und was ebenfalls sehr zur Intensität der Kämpfe beiträgt: „Shadow Recruit“ ist der erste Mainstream-Actionfilm seit langem, in dem der Held tatsächlich darunter leidet, dass er einem anderen Menschen das Leben nehmen musste – selbst wenn dieser ein Bad Guy war. Auch einige Zeit nach seinem ersten Feldeinsatz zittern Ryan immer noch die Hände und Harper eröffnet ihm, dass er über dieses Erlebnis nie hinwegkommen wird, sondern im besten Fall irgendwann lernt, es zu verdrängen.
Leider ist die Handlung bei weitem nicht so smart wie der Protagonist oder so intensiv wie der Aus-dem-Nichts-Zweikampf im Hotelzimmer. Der Wettlauf gegen die Hochfinanz-Verschwörung kulminiert darin, dass Jack Ryan einen bestimmten Stick in eine bestimmte Steckdose stecken muss, womit der Film womöglich näher an der Realität liegt als viele andere Kino-Missionen, aber zum Nägelkauen animiert das nicht gerade. Außerdem steckt „Shadow Recruit“ voller kleiner Schlampigkeiten und willkürlich anmutender Details (der Sicherheitschef erhält im Auto eine Nachricht, dass sich jemand in sein System hackt, aber statt einfach einen seiner Kollegen vor Ort anzurufen, rast er lieber persönlich durch halb Moskau), die das Vergnügen in diesem Fall besonders schmälern, weil „Jack Ryan“ eben ganz bewusst nicht so übertrieben angelegt ist wie etwa die James-Bond-Filme, bei denen man so etwas einfach durchwinkt. Und von den kratergroßen, auch für Finanzlaien unübersehbaren Löchern im Masterplan des vermeintlichen Bösewicht-Genies haben wir da noch gar nicht angefangen.
Fazit: Starker Protagonist + maue Story = durchschnittlicher Thriller mit kleinem Bonus für den guten Hauptdarsteller und seine soliden Partner.