Früher galt mal die Regel, dass ein vom Verleih im Giftschrank zwischengelagerter und erst mit jahrelanger Verspätung in die Kinos gebrachter Film selten Gutes verheißt! Aber inzwischen scheint das genaue Gegenteil der Fall zu sein: Nach Drew Goddards grandioser Horror-Satire „The Cabin In The Woods“, die aufgrund von finanziellen Turbulenzen beim produzierenden Studio MGM nach Abschluss der Dreharbeiten erst einmal im Nirwana verschwand, entpuppt sich nun auch Adam Wingards Slasher „You’re Next“ als echtes Highlight des Genres, obwohl zwischen den ersten, vom Publikum begeistert aufgenommenen Festivalaufführungen und dem Kinostart auch in diesem Fall wieder zwei ganze Jahre ins Land zogen. Nach dem Kauf des „Twilight“-Studios Summit Entertainment hatte der inzwischen zum Major Player aufgestiegene Genre-Verleih Lionsgate eben erst einmal andere Prioritäten, als einen unabhängig produzierten und ziemlich brutalen Horror-Schocker in die Lichtspielhäuser zu bringen. Aber statt des früheren „Was lange währt, hätte man besser gleich bleiben lassen!“ gilt inzwischen offenbar auch in Hollywood das Sprichwort: Was lange währt, wird endlich gut!
Zum Auftakt werden in einem „Scream“-artigen Prolog ein älterer wohlhabender Mann und seine junge Geliebte in einem abgelegenen Landhaus von maskierten Angreifern brutal ermordet. An einer Glastür hinterlassen die Mörder in Blut geschrieben die Warnung: „You’re Next“. Schnitt. Das ebenfalls extrem wohlhabende Ehepaar Paul (Rob Moran) und Aubrey (Barbara Crampton) hat zur Feier seines Hochzeitstags seine vier Kinder samt Partner auf seine Landresidenz eingeladen - es ist das erst Mal seit langer Zeit, dass die ganze Familie wieder vereint ist. Doch dann schlägt gleich beim ersten gemeinsamen Abendessen ein Armbrustbolzen durch das Fenster und zertrümmert dem Filmemacher Tariq (Ti West) den Schädel. Statt mit alten Geschwisterzwistigkeiten muss sich der Familienclan plötzlich mit den Tiermasken-Killern aus dem Prolog herumschlagen. Aber es gibt unter den potenziellen Opfern jemanden, der sich unerwarteterweise sehr wohl darauf versteht, in einer solchen Situation mit aller Gewalt und Finesse zurückzuschlagen…
Nach dem typischen Slasher-Prolog entpuppt sich „You’re Next“ zunächst als Home-Invasion-Terror à la „The Strangers“ gekreuzt mit einer zynischen Familien-Satire im Stile von „Das Fest“, bevor Regisseur Adam Wingard („22 Ways To Die“) und sein Stammautor Simon Barrett („V/H/S“) das blutige Treiben zunehmend mit immer mehr dunkelschwarzem Humor anreichern und schließlich sogar ein herrlich-überdrehtes Splatter-Finale (inklusive zweckentfremdetem Mixer!) nachlegen. Eine solche Kraut-und-Rüben-Dramaturgie kann für einen Film leicht das Scheitern bedeuten – aber Wingard beherrscht alle diese verschiedenen Tonarten mit einer solchen Sicherheit, dass ihm schlussendlich sogar das seltene Kunststück gelingt, sein Publikum gleichermaßen zu verängstigen und zu belustigen. Während sich die allermeisten Horror-Comedys am Ende vielleicht als lustig, aber so gut wie nie als furchterregend erweisen, sagt Wingard mit „You’re Next“ der alten Weisheit „Man kann nicht alles haben“ den Kampf an - und trägt im Duell mit dem Kalenderspruch einen klaren Sieg davon!
Während sich „You’re Next“ dank der gelungenen Mischung aus Horror und Humor auch für Genre-Anfänger als vergnügliche Mutprobe entpuppt, gibt es für Slasher-Experten eine Menge Insider-Gags und clevere Anspielungen. So spielen nicht nur seine Regie-Buddies Joe Swanberg („V/H/S“) und Ti West („The Innkeepers“) in seinem Film mit, auch wie Wingard immer wieder die Erwartungen des Publikums unterläuft (Klaviersaite!), erweist sich gerade für bewanderte Kenner des Genres als besonders lohnend. Aber ob bibbernder Einsteiger oder alter Horror-Hase - am Ende machen doch alle dieselbe Entdeckung: Sharni Vinson als Erin. Ohne jetzt zu viel zu verraten: Die Körperbeherrschung, die sie schon als Darstellerin in dem Tanzfilm „Step Up 3D“ an den Tag gelegt hat, setzt sie nun als Hauptattraktion von „You’re Next“ auf eine mindestens ebenso beeindruckende und vor allem sehr überraschende Weise ein!
Fazit: Adam Wingard spielt in „You’re Next“ virtuos auf der Klaviatur des Slasher-Genres von blankem Terror bis schwarzhumorigem Splatter – und trifft dabei jeden Ton!