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    Mr. Morgan's Last Love
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mr. Morgan's Last Love
    Von Carsten Baumgardt

    Die Geschichte eines einsamen Witwers, der sich von der Welt verlassen fühlt, aber aus der Freundschaft zu einer jungen Frau frischen Lebensmut zieht – in den falschen Händen hätte die Tragikomödie „Mr. Morgan’s Last Love“ spielendleicht als tränenködernde Kitschbombe enden können. Aber „Bella Martha“-Regisseurin Sandra Nettelbeck zeigt mit ihrem vierten Spielfilm, wie es richtig geht – sie lässt die naheliegenden Klischees bewusst links liegen und berührt ihr Publikum tief, ohne dabei je in Kitschverdacht zu geraten. So begeistert ihre intelligente Variation des Ein-Amerikaner-findet-auf-einem-anderen-Kontinent-zu-sich-selbst-Motivs mit cleveren Dialogen und herausragenden Darstellern.

    Seit seine Frau Joan (Jane Alexander) vor drei Jahren einem Krebsleiden erlag, ist der Amerikaner Matthew Morgan (Michael Caine) vom Leben ermüdet. Obwohl er sich einsam fühlt, will der ehemalige College-Professor seine jahrelange Heimat Paris aber nicht verlassen, um in die USA zu seinen erwachsenen Kindern Miles (Justin Kirk) und Karen (Gillian Anderson) zurückzukehren. Erst als Matthew die Zufallsbekanntschaft der jungen Tanzlehrerin Pauline (Clémence Poésy) macht, erwacht in ihm wieder ein Interesse an seiner Umgebung und er blüht in Gegenwart der hübschen Französin auf. Pauline, die ihre Eltern früh durch einen Unfall verlor und sich nach einer Familie sehnt, sieht in dem Mittsiebziger eine Art Vaterfigur und schätzt die Gesellschaft des eloquenten Amerikaners. Bei langen Spaziergängen und Diskussionen entwickelt sich eine echte Freundschaft, die aber bald einen abrupten Bruch erlebt, als Matthew vergeblich versucht, sich umzubringen. Sein Sohn und seine Tochter rücken aus Amerika an und begegnen Pauline mit offener Arroganz und demonstrativem Misstrauen…

    Regisseurin und Autorin Sandra Nettelbeck („Helen“) hat bei ihrer Verfilmung des französischen Bestsellers „Die letzte Liebe des Monsieur Armand“ von Francoise Dorner eine gravierende Änderung vorgenommen: Der Protagonist ist bei ihr Amerikaner statt Franzose. Nettelbeck wollte auf Englisch drehen, wofür dieser Kniff nötig wurde. Dem charmant-betörenden Geist des Buches hat diese Anpassung aber nicht geschadet, ganz im Gegenteil: Nettelbeck, die in den USA gelebt und Film studiert hat, fühlt sich in der englischen Sprache zu Hause – und das merkt man ihren lebensnah-klugen Dialogen auch sofort an.

    Nach der ersten Begegnung zwischen Matthew und Pauline schlägt Nettelbeck in ihrer Tragikomödie zunächst einem verträumt-märchenhaften Ton an, wie man ihn aus dem französischen Kino durchaus gewohnt ist. Deshalb sind es gerade die folgenden Brüche, mit denen der Film überrascht und sich wohltuend aus der Masse abhebt: Nach Matthews halbherzigem Selbstmordversuch wird aus dem launigen Wohlfühlfilm ein vielschichtiges Charakterdrama, bei dem vor allem die zahlreichen Risse im Lebenslauf der Figuren faszinieren. Vorzeige-Grandseigneur Matthew, der zuvor allenfalls durch seine liebenswerte Klugscheißerei negativ auffiel, entpuppt sich nach und nach als unfähiger Vater, dessen Kinder aus guten Gründen schlecht auf ihn zu sprechen sind. Pauline versucht hingegen in ihrer eigenwilligen Harmoniesucht, die Beziehung der Morgans wieder zu kitten, ohne über Details im Bilde zu sein.

    Immer, wenn die Handlung auf Klischees zusteuert (und das kommt oft vor), greift Nettelbeck nicht zur 1x1-des-Drehbuchschreibens-Lösung, sondern setzt statt auf Kitsch und Pathos lieber auf Lebensnähe und Ambivalenz. Dieser spannenden Charakterentwicklung setzt Nettelbeck ein gemächliches Erzähltempo entgegen, das sich dank der wunderschönen fotografierten Bilder des Films aber als hinzunehmender Malus entpuppt. Dabei verzichtet Kameramann Michael Bertl („Wintertochter“) zwar nicht ganz auf die Touristen-Panoramen des Postkarten-Paris (der Eifelturm und Sacre Coeur tauchen im Hintergrund immer mal wieder auf), konzentriert sich aber vor allem auf den täglichen Trubel der Metropole, wobei Bertl immer wieder das Besondere im Alltäglichen entdeckt und in malerischen Kompositionen einfängt. Nur die immer wieder eingestreuten Zwiesprachen von Matthew mit seiner (für den Zuschauer sichtbaren) verstorbenen Frau Joan sind zu viel des Guten und markieren das einzige Abdriften in arg konventionelle Fahrwasser – an dieser Stelle wäre weniger mal wieder mehr gewesen.

    Bei aller Finesse der doppelbödigen Geschichte sind es am Ende aber die Schauspieler, die diese mit Leben füllen. Der zweifache Oscar-Preisträger Michael Caine (für „Hannah und ihre Schwestern“ und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“) glänzt mit Charme und Kante. Der Brite, der ohne Mühe einen Amerikaner mimt, bildet mit „Harry Potter“-Darstellerin Clémence Poésy („Brügge sehen … und sterben?“) ein ungewöhnliches und perfekt harmonierendes Leinwandpaar: Trotz des großen Altersunterschiedes ist ihre Verbindung glaubhaft, auch weil Poésy ihrem übergroßen Leinwand-Gegenüber würdigen Charme und große Verve entgegenbringt. Und auch in den Nebenrollen ist „Mr. Morgan’s Last Love“ stark besetzt: Justin Kirk („Weeds“) findet als Sohn Miles die richtige Balance zwischen lässiger Arroganz, Härte und Herz. Der Auftritt von „Akte X“-Ikone Gillian Anderson („Leben und Lieben in L.A.“) ist zwar nur kurz, hat es aber in sich: Als Karen marodiert sie wie ein Hurrikan durch ihre Szenen, selbst wenn diese im Vergleich zu Miles trotz ihres Zynismus doch noch mehr Verständnis für ihren ruppigen, altersstarren Vater aufbringt.  

    Fazit: „Mr. Morgans Last Love“ ist eine vielleicht etwas altmodische, aber durch und durch sympathische Tragikomödie für ein erwachsenes Publikum, mit der Sandra Nettelbeck ihr Publikum rührt, ohne je ins Rührselige abzugleiten.

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