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    Im Weltraum gibt es keine Gefühle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Im Weltraum gibt es keine Gefühle
    Von Florian Schulz

    Das Kinojahr 2011 ist auch ein Jahr des schwedischen Films. Nachdem bereits die Berlinale mit einer großen Bergman-Retrospektive aufwartete, konnte man sich auf diversen Filmfestivals immer wieder von der Schaffenskraft des schwedischen Gegenwartskinos überzeugen. So stand auch im Rahmen des Filmfests München junges Kino aus Schweden auf dem Programm. Mit gleich zwei Aufführungen wurde dabei Andreas Öhmans „Im Weltraum gibt es keine Gefühle" bedacht. Wieso diese Sonderbehandlung? Nun, einerseits honorierten die Veranstalter damit die Nominierung des Films für den diesjährigen Auslands-Oscar. Andererseits dürfte aber auch der Mut des erst 26-jährigen Filmemachers eine Rolle gespielt haben: Asperger-Drama trifft auf Feel-Good-Komödie. Eine gesunde Skepsis ist bei dieser Mixtur sicherlich angebracht – nicht jedoch in diesem Fall. Öhman hat einen der sensibelsten und gleichzeitig humorvollsten Filme des Sommers inszeniert.

    Simon (Bill Skarsgard) leidet am Asperger-Syndrom, einer Form der Autismus-Störung. Für den introvertierten 18-Jährigen sieht die Welt anders aus, soziale Kontakte sind für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Die einzige Bezugsperson ist sein Bruder Sam (Martin Wallström), bei dem er kurzerhand einzieht, nachdem er im elterlichen Heim immer mehr auf Unverständnis stößt. Doch Sams Beziehung zu seiner Freundin leidet immer stärker unter der neuen Verantwortung und geht schließlich zu Bruch. Für Sam bricht eine Welt zusammen – und damit auch die von Simon, der sich plötzlich mit einem ungeordneten Alltag konfrontiert sieht. Es gibt für ihn deshalb nur eine Lösung: eine neue Freundin für Sam muss her! Doch die bestmögliche Partnerin möchte sich auch mit mathematischem Scharfsinn partout nicht finden. Da stolpert Simon auf der Straße unverhofft in die chaotische Jennifer (Cecilia Forss)...

    Spätestens seit „Rain Man" darf sich das Kinopublikum aufgeklärt fühlen: Autismus ist heutzutage jedem ein Begriff, so pauschal dann auch die Vorstellungen darüber ausfallen. Auch Asperger ist eine Form des Autismus, die sich aber bei weitem nicht so eindeutig äußert. Im Kino fallen die Symptome der Autismus-Störung deshalb häufig mit den typischen Merkmalen von Außenseiterfiguren zusammen. So ist der Protagonist in Paul Thomas Andersons virtuoser Komödie „Punch-Drunk Love" beispielsweise von den kleinsten Alltäglichkeiten überfordert, David Fincher zeichnete Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg als sozial unverträglichen Sonderling und Fans der Erfolgs-Sitcom „The Big Bang Theory" dürften mit dem spleenigen Verhalten von Dr. Sheldon Cooper bestens vertraut sein. Schon an der Wahl dieser Beispiele lässt sich somit eine zentrale Problematik ablesen, denn wer denkt bei diesen Figuren an eine autistische Störung? Asperger-Patienten wird ihr Verhalten stattdessen oftmals als eigenverantwortlich zugerechnet. Stigmatisierungen lassen sich dadurch zwar vermeiden, damit fällt aber auch ihre entlastende Funktion weg.

    Simon etikettiert sich deshalb gleich selbst: „Ich habe Asperger!", lässt er seine Mitmenschen wissen, noch bevor sich diese über seine rücksichtslose Art echauffieren können. So beugt er jeglicher Unliebsamkeit vor, die ihn aus geregelten Bahnen reißen könnte. Sein Weg zur Arbeit ist minutiös durchgeplant, ebenso wie der übrige Tagesablauf. Simon liebt Kreise, da sie keine Ecken und Kanten haben und kann sein Essen auch nur genießen, wenn es kreisrund ausgestanzt ist. Er versteht keine Ironie und „normale" Gefühle sind ihm gänzlich unzugänglich. Diese besondere Weltwahrnehmung simuliert Öhmann durch grafische Elemente, die er immer wieder schablonenhaft über die Realszenen legt.

    Gemütszustände etwa liest sein Protagonist am parabelhaften Verlauf der Mundwinkel seiner Gegenüber ab. Dass der Schwede hierbei ausschließlich den Gegensatz von Vernunft und Gefühl thematisiert, ist nicht besonders einfallsreich. Die Unvereinbarkeit beider Pole setzt er dann aber doch immer wieder mit enorm viel Witz und Ironie in Szene - „Im Weltraum gibt es keine Gefühle" bezieht seinen Charme vor allem auch aus seiner überspitzten Metaphorik.Da wäre etwa eine alte Blechtonne, aus der sich Simon sein ganz persönliches Raumschiff zusammengebastelt hat. Immer wenn die gewohnte Routine aus dem Ruder läuft, taucht er in den selbsterschaffenen Orbit ab: einen Raum, in dem er vor Gefühlen sicher ist und den Öhman immer wieder für poetisch-philosophische Einsprengsel nutzt. Die andere Seite der Gleichung wird durch die Spontaneität Jennifers repräsentiert, die Simons wohlgeordnete Welt gehörig durcheinander wirbelt. Anders als die übrigen Personen in Simons Umfeld eignet sie sich die Wahrnehmungsweisen des 18-Jährigen nach und nach an und sprengt damit schließlich seine bewährten Kategorien. Eine Szene bringt diese Dynamik perfekt auf den Punkt: Simon möchte von Jennifer wissen, wie die Stimmung eines Menschen binnen Bruchteilen von euphorisch auf betrübt kippen könne. Man müsse die Stimmung an einem Kreis ablesen, erklärt sie daraufhin: Im Uhrzeigersinn nimmt die Euphorie stetig ab. Starte man in die andere Richtung, so folge der Trübsal direkt auf das Hochgefühl.

    Gewissermaßen reflektiert diese Metapher den ganzen Film. „Im Weltraum gibt es keine Gefühle" balanciert souverän zwischen nachdenklicheren Tönen und bisweilen anarchischer Komik. Dieses Spektrum wird auch von den Darstellern bestens bedient. Stellan-Skarsgård-Spross Bill Skarsgård changiert zwischen Melancholie und trockener Komik, während Cecilia Forss als Jennifer eine beschwingte Leichtfüßigkeit dagegensetzt, die nicht selten an Minnie Drivers Performance in „Good Will Hunting" erinnert. Martin Wallström steht dagegen als Simons Bruder Sam vor allem für die dramatischen Momente. Hin- und hergerissen zwischen Liebeskummer und ständiger Sorge um seinen Bruder lotet er die Untiefen des Beziehungsgeflechtes aus, das zwar nie sonderlich komplex ist, aber jederzeit zu Herzen geht.

    Mal überschwänglich witzig, mal melancholisch, mal poetisch und dabei immer charmant – während seinem Protagonisten das Austarieren von Gefühlen erst nach und nach gelingt, begeht Öhman die emotionale Gratwanderung mit seinem Kino-Debüt „Im Weltraum gibt es keine Gefühle" mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit.

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