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    Killing Them Softly
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Killing Them Softly
    Von Carsten Baumgardt

    „America is not a country. America is a business." Diese zwei kleinen bilanzierenden Sätze der Hauptfigur Cogan fräsen sich wie schmerzende Brandzeichen auf die Seele des Zuschauers von Andrew Dominiks meisterhaftem Gangster-Drama „Killing Them Softly". Schonungsloser und bitterer kann ein Fazit über das Befinden einer Nation nicht ausfallen, treffendere und wirkungsvollere Schlusssätze gab es zugleich selten. Im Gewand einer Gaunergeschichte zeichnet der Australier Dominik („Chopper", „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford") ein denkbar zynisches und düsteres Bild von einem Land, das so gern als strahlender Weltenheld wahrgenommen werden will. Der amerikanische Traum ist hier längst zum wirtschaftsdarwinistischen Überlebenskampf pervertiert, bei dem nur die Stärkeren überleben und die Schwachen einfach weggedrückt werden. „Killing Them Softly" ist ein brillanter, ein mutiger Film und weit mehr als nur ein Genrebeitrag: ein pessimistischer Kommentar zur Weltenlage in der Ära des Spätkapitalismus.

    Die beiden Kleinganoven Frankie (Scoot McNairy) und sein heroinabhängiger Freund Russell (Ben Mendelsohn) bekommen vom Geschäftsmann Johnny Amato (Vincent Curatola) ein lukratives Angebot: Sie sollen in ihrer Heimat New Orleans ein illegales Pokerturnier überfallen und das Preisgeld klauen – 30.000 Dollar sind drin. Die Untergrund-Zockerei wird veranstaltet von Markie Trattman (Ray Liotta), der dort vor Jahren selbst einen Raub inszenierte und das Geld einsackte. Diesen Umstand will Amato für sich nutzen – alle Welt werde glauben, dass Trattman erneut zu gierig sei. Frankie und Russell schaffen es tatsächlich, den Auftrag nicht zu verpatzen. Auf die naheliegende Idee, dass sie damit womöglich ihr eigenes Todesurteil unterschrieben haben, sind sie allerdings nicht gekommen. Aber als ein Mafia-Mittelsmann (Richard Jenkins) den eiskalten Auftragskiller Cogan (Brad Pitt) ins Spiel bringt und der auch seinen Killer-Kollegen New York Mickey (James Gandolfini) nach Louisiana bestellt, spitzt sich die Lage zu...

    Die Handlung von „Killing Them Softly" setzt 2008 zur Zeit des US-Wahlkampfs zwischen Barack Obama und John McCain ein. Die Phrasen, mit denen die beiden Präsidentschaftskandidaten um die Gunst der Wähler buhlen, sind über die gesamte Filmdauer präsent – ihre aus Radios und Fernsehern dringenden Botschaften werden zum murmelnden Subtext von Dominiks Erzählung, in der die Gangsterstory letztlich vor allem die metaphorische Tarnung für eine beißende Systemkritik ist. Und so bleibt hier kein Zweifel: Obamas warm und ehrlich klingende Wahlkampfworte vom Wechsel sind nichts als hohle Versprechungen ohne Haltbarkeitsanspruch, während das von den Republikanern propagierte Credo vom Staat, der auf keinen Fall reglementierend oder regulierend in den „freien Markt" eingreift, nur bedeutet, dass man die Bürger sich selbst überlässt und dass die kleinen Leute, die Macht- und Besitzlosen, gnadenlos auf der Strecke bleiben: Es geht immer nur um Geld. Das gilt natürlich erst recht in der kriminellen Parallelwelt der Protagonisten, die von einem Kreislauf von Macht und Moneten bestimmt wird und in der es für Moral und Menschlichkeit keinen Platz gibt.

    Abseits all der direkten und indirekten Kritik am System Amerika und am Kapitalismus ist „Killing Them Softly" ein überragend aussehender Thriller mit einer gewissen Dialoglastigkeit. Es wird nicht viel geschossen und geprügelt, aber wenn, dann kennt Andrew Dominik kein Halten mehr. In einigen schmerzhaften Szenen explodiert die Gewalt regelrecht, sie erscheint als der bittere Kulminationspunkt einer allgegenwärtigen gesellschaftlichen Verrohung. Von diesen Ausbrüchen abgesehen wirkt der Film fast so wie eine Gangstervariante des Meisterwerks „Glengarry Glen Ross", hier wie dort reden sich die Figuren um Kopf und Kragen, hier wie dort lässt sich zwischen den Zeilen eine klarsichtig-analytische Systemkritik ablesen. Die zynischen Dialoge von Andrew Dominik, der auch das Drehbuch für diese Verfilmung eines Romans von George V. Higgins verfasste, sind schlicht brillant und erinnern an den Ton der Werke Elmore Leonards („Schnappt Shorty", „Jackie Brown").

    Die erste Schnittfassung von „Killing Them Softly" soll rund 40 Minuten länger gewesen sein, als die 106-minütige Kinoversion. Das ist dem Film deutlich anzumerken: Da erscheint kurz mal Sam Shepard („Safe House") auf der Leinwand und taucht anschließend nur noch als drohender Schatten in Gesprächen auf. Die Erzählung wirkt nie wie aus einem Guss, sondern fragmentarisch, fiebrig und zerschossen. Aber was auf den ersten Blick für leichte Irritation sorgen mag, entwickelt sich zu einer weiteren Stärke des Films. Dominik widmet sein Augenmerk immer wieder auch den scheinbaren Nebensächlichkeiten, verliert das Wesentliche aber nie aus den Augen – atmosphärisch dicht leuchtet er den kriminellen Mikrokosmos aus. Entsprechend ist auch der Look von „Killing Them Softly" alles andere als glamourös, sondern dreckig. Aber trotzdem sieht der Film phantastisch aus – jedes Bild scheint wie aus Stein gemeißelt, so präzise arbeitet Kameramann Greig Fraser („Let Me In", „Bright Star"). Nur an einer Stelle übertreibt es der Regisseur mit der Ästhetisierung der Gewalt und macht aus dem frühen Ableben einer wichtigen Nebenfigur eine voyeuristische Einlage mit extrem-stilisierter Zeitlupe.

    Nicht nur die Dialoge und die Bildgestaltung sind überragend, auch die Schauspieler. Scoot McNairy („Monsters") als Frankie und sein nichtsnutziger, stinkender Partner Russell, der von Ben Mendelsohn („The Dark Knight Rises") als völlig durchgeknallt angelegt wird, stehen im Zentrum des Films und sind ihren Aufgaben mehr als gewachsen. Dazu kommen einige charismatische Starauftritte: Brad Pitt („Sieben", „Fight Club"), der Superstar mit der wahrscheinlich besten Nase für die richtigen Rollen, wird in „Killing Them Softly" als ikonischer Hitman von nahezu übermenschlicher Souveränität eingeführt, aber in erster Linie ist er Geschäftsmann, ein Handlungsreisender und ein Troubleshooter in Sachen Tod. Die Art und Weise wiederum, wie James Gandolfini („Die Sopranos") als New Yorker Topkiller vergangener Tage vorgeführt wird, gibt dem Film sogar eine humorige Note. Denn anstatt sich seinem Job zu widmen, versinkt Mickey in Alkohol, Drogen und Sex, was ihm die Arbeit deutlich erschwert. Und dann ist da noch B-Movie-Meister Ray Liotta, dessen Glanzzeiten mit Martin Scorseses Überwerk „GoodFellas" mehr als zwei Dekaden zurückliegen: Auch das Wiedersehen mit dem Charakterkopf, der hier als Punchingball des Mobs zu sehen ist, macht viel Spaß.

    Fazit: „Killing Them Softly" ist das neue „Drive". Wie Nicolas Winding Refns grandioser B-Thriller im Jahr zuvor, ist Andrew Dominiks wuchtig-wütende Abrechnung mit Amerika beim Festival in Cannes 2012 eine Ausnahmeerscheinung – Genrekino in höchster künstlerischer Vollendung. Das politisch bissige Crime-Meisterwerk ist böser Gangster-Thriller und schallende Gesellschaftskritik zugleich.

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