Bereits nach „Jackass: Nummer zwei“ stellte sich die Frage, wie zum Teufel die schambefreiten Jackass-Jungs die im Film präsentierten Schmerzhaft-Stunts noch übertreffen wollen. Und tatsächlich: In „Jackass 3D“ gab es keine noch extremeren Aktionen, dafür aber einen der sinnvollsten Einsätze der 3D-Technik überhaupt (und zwar ausgerechnet in einem ansonsten völlig sinnfreien Film). Doch damit war das Ende der Fahnenstange dann auch wirklich erreicht. Statt nun mit aller Gewalt noch einen draufzusetzen (oder noch schlimmer: sich nur zu wiederholen), haben Regisseur Jeff Tremaine, Ober-Jackass Johnny Knoxville und Show-Entwickler Spike Jonze (ja, der von „Being John Malkovich“) das Extremstunt-Franchise völlig neu erfunden: In „Jackass: Bad Grandpa“ reihen sie nicht länger nur einen Anarcho-Spaß an den anderen - stattdessen erweist sich das Spin-off als überraschende Mischung aus einer Versteckte-Kamera-Satire und einem Indie-Drama in der Tradition von „Little Miss Sunshine“ (inklusive desselben Finales). Wir hätten es vorher auch nicht geglaubt, aber der zunächst abstrus anmutende Mix geht tatsächlich auf: „Jackass: Bad Grandpa“ ist der erste Film der Reihe, der nicht nur mit grobem Unfug wie in Cola-Automaten eingeklemmten Penissen unterhält, sondern neben den Lachmuskeln auch das Herz des Publikums erreicht.
Der achtjährige Billy (Jackson Nicoll) hat nicht gerade das beste Los gezogen. Zu allem Überfluss stinken die Brüste seiner Mutter schrecklich, seitdem sie so viel Crack raucht - deshalb muss sie nun auch für längere Zeit ins Gefängnis. Billys Opa Irving Zisman (Johnny Knoxville in grandiosem Senioren-Make-up) soll den Jungen nun quer durchs Land fahren und bei seinem nicht minder abgefuckten Vater abliefern. Allerdings hat der frisch verwitwete Rentner eigentlich ganz andere Pläne, nämlich seine neugewonnene Freiheit auszukosten und mit möglichst vielen möglichst jungen und möglichst schwarzen Frauen zu schlafen. Nachdem ein erster Versuch, Billy einfach per Post zu seinem Vater zu schicken, leider fehlgeschlagen ist, bleibt Irving aber endgültig nichts anderes übrig, als sich selbst hinters Steuer zu setzen. Es folgt ein Road Trip mit Billy auf dem Beifahrersitz und der toten Oma im Kofferraum, in dessen Verlauf die arglosen Besucher von Bingo-Hallen und Strip-Clubs die geballte Schamlosigkeit des Irving Zisman zu fürchten lernen, während der sexistische alte Mann langsam eine fürsorgliche Beziehung zu seinem Enkel aufbaut…
Wer erinnert sich noch an Frank Oz‘ zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen „Bowfingers große Nummer“? In der Showbiz-Komödie dreht der abgehalfterte Regisseur Robert K. Bowfinger (Steve Martin) einen Horrorfilm mit dem angesagten Hollywoodstar Kit Ramsey (Eddie Murphy), ohne dass der auch nur ahnt, dass er darin mitspielt. Stattdessen wird der unbedarfte Schauspieler immer wieder auf der Straße von skurrilen Figuren (=Bowfingers Darstellern) überrumpelt und glaubt sich bald von Außerirdischen verfolgt. Nach einem ähnlichen Konzept ist nun auch „Jackass: Bad Grandpa“ entstanden: Während die Protagonisten natürlich Bescheid wissen, sind alle Nebenfiguren und Statisten Opfer von heimlich platzierten Kameras. Wobei das auch in der ARD-Show „Verstehen Sie Spaß?“ gerne verwendete Wort „Opfer“ in diesem Fall nicht wirklich zutrifft. Es geht nämlich nie darum, die zufällig Beteiligten vorzuführen, vielmehr präsentiert Regisseur Jeff Tremaine sie in einem geradezu liebevollen Licht. Das beste Beispiel dafür ist eine Sequenz, in der Irving den kleinen Billy bei dessen Vater abgibt und der lautstark zum Ausdruck bringt, dass er sich sowieso nur um den monatlichen Unterhaltsscheck schert. Angesiedelt ist die Szene ausgerechnet in einer Kneipe, in der gerade ein Treffen der (nicht eingeweihten) Bikers Against Child Abuse stattfindet. Wie sich die harten Kerle um den Jungen kümmern und sich für ihn einsetzen, ist einfach toll und berührend.
All das heißt aber natürlich nicht, dass Johnny Knoxville auf seinen typischen Anarcho-Humor verzichten würde (auch wenn er in Sachen Stunts deutlich kürzer tritt): So kippt er als Irving bei der Beerdigung seiner Frau den Sarg um, lässt sich volltrunken in einem Einkaufswagen von Billy bei einem Imbiss-Drive-In vorfahren oder kapert mit seinen bis zu den Knien herunterhängenden Fake-Hoden eine männliche Striptease-Show. Aber obwohl das brüllend komisch ist, stiehlt ihm Newcomer Jackson Nicoll mit seiner teilnahmslos-vorlauten Art immer wieder die Show: Wenn der Achtjährige auf der Straße aus dem Nichts einen Fremden anspricht und ihm voller Überzeugung eröffnet, dass er nun sein neuer Daddy sei, weiß der arme Mann gar nicht, wie ihm geschieht. Der absolute Höhepunkt bleibt aber Billys Teilnahme an einer echten Kleine-Mädchen-Misswahl, selbst wenn deren Pointe von „Little Miss Sunshine“ geklaut wurde: Es ist eben noch einmal etwas ganz anderes zu sehen, wie solch ein klassischer Filmmoment wohl im wahren Leben ablaufen würde.
Fazit: „Bad Grandpa“ ist ein schamlos-unterhaltsamer „Jackass“-Film mit einem großen Herzen! Wer hätte einen solchen Mix jemals für möglich gehalten?