Regisseure versuchen oft, die Emotionen und Wünschen des Zuschauers mit ihren Werken zu steuern. In „Houston“ gelingt dies einmal auf gekonnte Weise: Da sieht sich man sich in die Situation versetzt, einem strauchelnder Headhunter bei einem äußerst schäbigen Erpressungsmanöver Erfolg zu wünschen. So tief dringen Regisseur Bastian Günther und Schauspieler Ulrich Tukur in ihrem Genrehybrid aus Wirtschafts-Thriller und Charakterstudie in die Psyche ihrer Hauptfigur ein, dass sich der Betrachter höchst unbehaglich in einer labyrinthischen Seele wieder findet. Neben der Identifikation mit dem Anti-Helden bleibt für eine Attacke gegen den globalen Kapitalismus allerdings kein Raum mehr.
Weil die Geschäfte schlecht gehen, greift der selbstständige Headhunter Clemens Trunschka (Ulrich Tuktur) zur Flasche. Den Ausweg aus allen Problemen verspricht ein Riesenauftrag: Trunschka soll Steve Ringer (Jason Douglas), gegenwärtig Vorstandsvorsitzender eines gigantischen texanischen Ölkonzerns, zum Wechsel an die Spitze einer deutschen Automobilfirma bewegen. Doch wie an den Mann herankommen, ohne dass jemand davon Wind kriegt? Weil Trunschka Ringer bei einer Konferenz in Düsseldorf verpasst, fliegt er ihm nach Houston, Texas, hinterher. Auch dort jagt er die begehrte Führungskraft vergeblich, bis er von dem quirligen amerikanischen Servicetester Robert Wagner (Garret Dillahunt) erfährt, dass der verheiratete Ringer eine heimliche Geliebte hat. Trunschka schmiedet einen fiesen Plan.
Möglicherweise war Headhunting nie so schmutzig und so gefährlich für Leib und Seele wie in diesem Film. Wenn da Trunschka einmal auf dem Teppich seines luxuriösen Hotelzimmers fieberhaft Müllsäcke nach weggeworfenen Akkreditierungskarten durchforstet, um Zugang zu einem Business-Meeting zu erlangen, lässt Regisseur und Autor Bastian Günther die Besessenheit seiner Hauptfigur spürbar werden. Trunschkas Gewerbe ist zwar alles andere als sympathisch, doch der Zuschauer wünscht Trunschkas beruflichen Triumph statt Mitleid mit ihm zu haben. So sehr nehmen ein überragender Ulrich Tukur und das bestechende visuelle Konzept von „Houston“ für das Schicksal des Menschen Clemens Trunschka ein.
Nach vielen Bühnenrollen schelmischer bis abgefeimter Charaktere zwischen Mackie Messer und Marc Anton knöpft sich Tukur in den Film- und Fernsehparts seiner reiferen Jahre bravourös den deutschen Spießer mit Abgründen vor. Mag die Ästhetik des historisch-biographischen Fernsehfilms „Rommel“ auch vor ihrem Gegenstand versagt haben, porträtierte der gefeierte Schauspieler darin doch glaubwürdig den Typ des bornierten Technokraten. In „Houston“ ist nun der spätbürgerliche Businessmann dran: Ständig unterwegs, ohne jemals wirklich anzukommen, zu beschäftigt damit, die Fassade steter Leistungsbereitschaft aufrecht zu erhalten, zerbricht Clemens Trunschka allmählich.
Auf faszinierende Weise spielt „Tatort“-Ermittler Tukur diese Figur. Mit jedem Glas Whiskey, das Trunschka am Hotelzimmerfenster leert, scheint der Blick, mit dem er das Hochhaus-Dickicht von Houston mustert, noch etwas nüchterner zu werden, als könnte der Alkohol die Versagensängste besiegen. Stattdessen verliert sich Trunschka bald in Halluzinationen und imaginiert in einem heruntergekommenen Motel seinen heimischen Schäferhund und das lang ersehnte Treffen mit Ringer.
Obwohl Bastian Günther mit seinem Drehbuch die Härte und Unbarmherzigkeit globaler Wirtschaftsverhältnisse beklemmend authentisch schildert, zögert man, in Trunschka ein Opfer der Umstände zu sehen. Das spricht für die Qualität des Films, schwächt aber den wirtschaftskritischen Ansatz der Geschichte ab. Als Grundproblem Trunschkas wird eine tiefe Einsamkeit erkennbar, die er überwinden könnte, aber nicht will. Statt das Freundschaftsangebot des Amerikaners Robert Wagner anzunehmen, will er am Ende alles allein machen – und versagt im großen Spiel, auf das er sich aus Gier eingelassen hat.
Fazit: Schauspielerisch glänzend und optisch hervorragend, bietet „Houston“ einen fesselnden Einblick in Psyche und Machenschaften globaler Wirtschaftsakteure, bei dem mehr das Einzelschicksal im Vordergrund steht und weniger die Systemkritik.