Die Wachablösung ist längst geschehen. Während Altmeister wie George A. Romero, Wes Craven, John Carpenter oder Dario Argento nur noch Schatten ihrer selbst sind, führt inzwischen eine neue wilde Garde das Gruselkino an. Stürmer und Dränger wie Ti West („The Innkeepers“), Eli Roth („Cabin Feaver“) oder Alexandre Aja („The Hills Have Eyes“) prägen den modernen Horrorfilm und bewegen sich dabei oft stilsicher zwischen Hommage und Innovation. Einer der modernen Meister des Horrors ist der einstige Industrial-Rocker Rob Zombie, der sich zu Beginn des neuen Jahrtausends mit „Haus der 1000 Leichen“ und „The Devil‘s Rejects“ als leidenschaftlicher Fan des Terrorkinos alter Schule etabliert hat. Nach dem umstrittenen „Halloween“-Reboot und der noch umstritteneren Fortsetzung „Halloween II“ meldet sich Zombie nun mit dem surrealen Hexen-Horror „The Lords Of Salem“ zurück, der das Publikum erneut in entschiedene Gegner und leidenschaftliche Fans spalten wird. Und genau das spricht für seinen Film!
Heidi (Sheri Moon Zombie) ist DJ bei einem lokalen Radiosender und hält die Bewohner des verschlafenen Kaffs Salem im Bundesstaat Massachusetts mit Rockmusik bei Laune. Als sie eine Vinyl-Scheibe mit der Aufschrift „ein Geschenk von Lords“ auf ihrem Schreibtisch entdeckt, wird sie neugierig und legt die Platte auf. Allerdings läuft die Scheibe nicht nur rückwärts ab, sie versetzt weibliche Hörer außerdem in eine Trance, die Erinnerungen an lang zurückliegende Qualen heraufbeschwört. Auch Heidi wird fortan von Schreckensvisionen heimgesucht, die sie zunehmend an den Rand eines Nervenzusammenbruches treiben. Es wird immer deutlicher, dass die „Lords“ keineswegs nur eine Rockgruppe sind, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Teufel im Bunde stehen…
Es ist erstaunlich, dass Rob Zombies schrille Okkultismus-Sause gerade einmal 1,5 Millionen Dollar gekostet hat - denn „The Lords Of Salem“ sieht fantastisch aus! Stimmungsvoll beschwört Rob Zombie den Geist vergangener Jahrzehnte herauf und beweist einmal mehr ein sicheres Händchen dafür, Tradition und Moderne unter einen Hut zu bekommen. Zombie kennt seine Vorbilder in und auswendig und tut uns den Gefallen, sie nicht zu ernst zu nehmen. Gleichzeitig gibt er aber dem Zuschauer das Gefühl, dass das Geschehen jederzeit auch aufs Bösartigste eskalieren könnte. Zudem versteht es Zombie, genügend kleine Variationen in die Standards des Horrorkinos (beginnt mit einer schwarzen Messe im Prolog) einzuschmuggeln und so das Interesse des Horror-erfahrenen Publikums zusätzlich zu befeuern.
So steht dann auch nicht wie üblich ein Sympathieträger im Zentrum des Geschehens, sondern eine Figur, die mit ihren ganz eigenen Dämonen zu kämpfen hat: Als Ex-Junkie ist Heidi eigentlich auch schon ohne satanische Attacken mit ihrem Leben heillos überfordert. Leider muss man aber konstatieren, dass weder Zombie ein begnadeter Schauspielführer ist, noch seine Gattin Sheri Moon Zombie eine besonders talentierte Schauspielerin. Die Folge sind immer wieder wirre Momente, in denen man nie genau weiß, ob dieses Maß an Absurdität gerade gewollt ist, oder ob Zombie als Regisseur einmal mehr die Zügel schleifen lässt und dem Overacting seiner Frau freien Lauf lässt.
Während Heidi den Geheimnissen der mysteriösen Band nach und nach auf die Spur kommt, zieht sich die Schlinge langsam zu: Die Inszenierung wird fiebriger, der Klangteppich dröhnender und das Tempo bedrückender - bis schließlich der Hammer fällt und „The Lords Of Salem“ die Grenzen des Erzählkinos endgültig hinter sich lässt. Der verstörende Bildersturm, den Zombie im Finale entfesselt, erinnert in seinen besten Momenten an Stanley Kubricks „Shining“ und in seinen schwächeren an ein doofes Metal-Video aus den frühen 1990ern. Kein Licht ohne Schatten: Vom monumentalen Horror-Mindfuck bis zu billigen Schockeffekten (gekreuzigte Babys mit pochenden Gehirnen, dämonische Priester mit bunten Gummi-Penissen) ist alles dabei. All das mag man genial oder völlig daneben finden, aber eines ist sicher: Zombie wagt und gewinnt mit einem Film, der vieles ist, aber nie berechenbar und definitiv nicht gewöhnlich. Wer ohne viel Vorwissen über den Regisseur und seinen formalen und inhaltlichen Stilwillen in diesen Film geht, wird mehr bekommen als er erwartet – und das ist Versprechen und Warnung zugleich.
Fazit: Mit „The Lords Of Salem“ stellt Rob Zombie erneut unter Beweis, dass er kein Interesse daran hat, Filme von der Stange zu drehen. Stattdessen riskiert er lieber, beim Beschreiten neuer Wege auch mal zu scheitern. Trotz einiger Schönheitsfehler geht diese Rechnung erneut auf - „The Lords Of Salem“ ist faszinierende Horrorkost irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn.