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    Morgen das Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Morgen das Leben
    Von Christian Horn

    Mit dem episodisch angelegten Gesellschaftsdrama „Morgen das Leben" legt Regisseur Alexander Riedel („Draußen bleiben"), der bislang Dokumentarfilme inszenierte, sein Spielfilmdebüt vor. Ihm ist ein unaufgeregter Film gelungen, der in drei unabhängigen Erzählsträngen drei Menschen in ihrem 40. Lebensjahr begleitet, die sich in einer Umbruchphase befinden und ihre Leben neu organisieren müssen und wollen. „Morgen das Leben" wurde zwar als Kleines Fernsehspiel fürs ZDF produziert, erweist sich wegen der erzählerischen Aussagekraft der Bilder und dem Verzicht auf die bei Fernsehfilmen üblichen minutiösen Erklärungen aber durchaus als kinotauglich.

    München, heute: Die ehemalige Stewardess Judith (Judith Al Bakri) lebt mit ihrem kleinen Sohn in einer Wohnung am Stadtrand. Mit einem von zu Hause ausgeführten Job als Telefonistin und einem weiteren Heimjob, bei dem Judith Produktverpackungen mit einem Sticker beklebt, hält sich die Alleinerziehende finanziell über Wasser. Ulrike (Ulrike Arnold), die kürzlich von ihrem Freund verlassen wurde, kündigt ihre wenig aufregende Arbeitsstelle beim Sozialreferat, um in einer Massage-Ausbildung einen neuen Lebensimpuls zu finden. Jochen (Jochen Strodthoff) schließlich, ein freiberuflicher Web-Designer, will seine finanziellen Sorgen mit einem Job als Versicherungsvertreter überwinden.

    Wiederholt blickt die Kamera von außen durch Fenster in Wohnungen und reflektiert damit das Wesen des Films, der Judith, Ulrike und Jochen bei der Neuausrichtung ihrer Leben beobachtet. Alexander Riedel heftet sich kommentarlos an die Fersen seiner Protagonisten und zeigt sie bei allerhand tristen und banalen Alltagshandlungen wie langen Autofahrten, Hygiene-Verrichtungen im Badezimmer oder der Nahrungsaufnahme. Auf diese Weise entsteht ein dokumentarischer Eindruck, den Riedel verstärkt, indem er die neuen Arbeitskollegen seiner Hauptfiguren mit tatsächlich im jeweiligen Berufsfeld tätigen Laiendarstellern besetzt. Die Ästhetik unterstützt diesen schnörkellosen Ansatz.

    „Morgen das Leben" kommt fast ohne Musik aus und reduziert den Bilderstrom auf möglichst wenige, durchgängig schön komponierte Kameraeinstellungen. Dass der Film dennoch nie ins Stocken gerät, liegt an der bündigen Montage, die vergleichsweise schnell zwischen den Episoden wechselt und die Erzählung konstant voranschreiten lässt. Das in den Dialogen mehrfach angebrachte Postulat des „Balancing" erfüllt Alexander Riedel im Wechsel der Episoden mit Bravour, wenngleich ihm durch die Knappheit der jeweiligen Szenen in den einzelnen Handlungssträngen ein wenig erzählerische Tiefe verloren geht.

    Andererseits verbindet der stetige Wechsel zwischen den atmosphärisch und inhaltlich kongruenten Episoden die drei Handlungsstränge ganz organisch zu einem schlüssigen Ganzen, das nie in seine Einzelteile zerbricht. Erst am Ende überschneiden sich zwei der Erzählstränge, aber schon davor kommt nie ein Zweifel daran auf, dass die Schicksale von Judith, Ulrike und Jochen zusammengehören. Anders als der thematisch vergleichbare Berlinale-Liebling „Eine flexible Frau", nutzt Alexander Riedel keine theaterhafte und distanzierte Ästhetik, sondern seine Erfahrungen als Dokumentarfilmer, um „Morgen das Leben" als ein Stück deutscher Realität zu inszenieren.

    Bisweilen findet Riedel aber auch Bilder und Situationen, die das dokumentarische Element mit poetischen Einschüben aufbrechen, etwa wenn Ulrike mit ihren Freundinnen in Insekten-Kostümen durch München pilgert. Bilder wie dieses erscheinen beinahe schon zu plakativ, funktionieren aber, weil sie durch den erwähnten „authentischen" Rahmen abgefedert werden. Mit „Morgen das Leben" ist Alexander Riedel ein sehenswertes Gesellschaftsdrama gelungen, das die Untiefen eines Debütprojekts durch die Erfahrungen des Regisseurs im dokumentarischen Bereich gekonnt umschifft. Immer wieder brechen Hoffnungsschimmer die triste Stimmung des Films auf und lassen das Aufbäumen der drei Hauptfiguren beinahe als Aufruf zum Nachahmen lesen.

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