Erst vor Kurzem haben wir uns in dem Special „Hollywoods heißeste Jungstars: Durchbruch oder Absturz?" Gedanken darüber gemacht, welche der Nachwuchsschauspieler aus „Harry Potter", „Twilight" oder „High School Musical" es in der Filmwelt auch nach dem Ende ihrer Reihen zu etwas bringen könnten. Daniel Radcliffe hat darin gar nicht gut abgeschnitten. Zu sehr haftet ihm das Image des ewigen Zauberlehrlings an, zu selten konnte er im direkten Vergleich mit seinen Co-Stars Rupert Grint und Emma Watson schauspielerisch glänzen. Hätten wir James Watkins‘ Grusel-Thriller „Die Frau in Schwarz" schon vor dem Erstellen des Specials gesehen, wäre unsere Einschätzung aber zumindest ein wenig positiver ausgefallen. Denn auch wenn der Sprung vom Schüler in Hogwarts zum alleinerziehenden Witwer im ersten Moment etwas gewagt erscheint, vergisst man dann doch recht schnell, dass es Harry Potter höchstpersönlich ist, der sich da auf der Leinwand mit dem Geist einer rachsüchtigen Toten anlegt.
England, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Nach dem Tod seiner Frau muss sich Arthur Kipps (Daniel Radcliffe) alleine um seinen Sohn kümmern, weshalb der Londoner Anwalt seinen Job immer mehr vernachlässigt. Von seinem Boss (Roger Allam) bekommt er noch eine allerletzte Chance – verpatzt er auch die, wird er gefeuert: Arthur soll in ein Dorf im britischen Hinterland reisen, um dort den Nachlass einer verstorbenen Witwe regeln. Was nach einem Routinejob klingt, stellt sich schnell als weitaus kompliziertere Angelegenheit heraus. Die Bewohner des Dorfes hegen nämlich einen starken Aberglauben, laut dem im Anwesen der Verstorbenen der schwarzgekleidete Geist einer Frau umgeht – und immer, wenn jemand die Spukgestalt zu Gesicht bekommt, nimmt sich kurz darauf ein Kind aus dem Dorf auf grausame Art das Leben. Als Arthur schließlich einsieht, dass die Vorkommnisse doch nicht nur mit dem Aberglauben zu erklären sind, bleiben ihm nur noch wenige Tage, bis sein eigener Sohn aus London nachkommen soll, um seinen Vater zu besuchen...
Mit Klassikern wie „Frankensteins Fluch" oder „Dracula" und Stars wie Christopher Lee oder Peter Cushing bestimmten die britischen Hammer-Studios das europäische Horrorkino der 50er und 60er Jahre quasi nach Belieben, bevor die Produktionsfirma nach dem Flop „Tödliche Botschaft" Mitte der 70er Konkurs anmelden musste. Seitdem gab es immer wieder Gerüchte über eine Wiederbelebung, aber erst als der niederländische Produzent John de Mol das Studio 2007 übernahm, kam endlich Schwung in die Sache. Seitdem wurden bereits wieder einige Horrorfilme unter dem Hammer-Banner produziert, darunter etwa der Mystery-Thriller „The Resident" mit Hilary Swank sowie das US-Vampir-Remake „Let Me In". Aber erst mit der Neu-Verfilmung von Susan Hills Gruselroman „Die Frau in Schwarz" kehrt Hammer nun zu seiner wahren Stärke zurück: dem Gothic-Horror.
Nach seinem Regiedebüt „Eden Lake" hätte man James Watkins einen Film wie „Die Frau in Schwarz" gar nicht zugetraut. Schließlich sorgte der Survival-Thriller mit Michael Fassbender eher durch seine radikale Härte als durch seine starken Bildkompositionen für Aufsehen. Aber Watkins legt mit seinem zweiten Spielfilm eine 180°-Wendung hin und setzt auf Atmosphäre statt auf Kunstblut. In guter alter Hammer-Tradition ist das England seines Films regnerisch, düster und nebelverhangen, sind die Gemäuer modrig und voller gotischer Accessoires. Sicherlich ist das alles andere als neu, aber gut kopiert ist noch immer besser als schlecht selbstgemacht und sowieso entpuppt sich „Die Frau in Schwarz" als schwelgerische Hommage an frühere Horrorzeiten. In einigen Szenen kann sich Watkins aber auch von der Vergangenheit des Studios lösen – zum Beispiel in jener wunderschön anzuschauenden und trotzdem extrem spannenden Sequenz, in der Arthur ein vor Jahren im Moor versunkenes Automobil birgt.
Daniel Radcliffe („December Boys") ging mit dieser Rolle ein Risiko ein, das er nach „Harry Potter" auch unbedingt eingehen musste, um sein Image als Kinderstar abzustreifen. Als Adrian Rawlins (der in den Potter-Filmen übrigens Harrys Vater spielt) in einer TV-Verfilmung von 1989 dieselbe Rolle übernahm, war er bereits 31 Jahre alt, Radcliffe verkörpert sie nun schon mit 22. Aber als ob es in dem Alter nicht bereits schwer genug wäre, glaubhaft einen alleinerziehenden Witwer darzustellen, muss er auch noch große Teile des Films ausschließlich mit seiner Präsenz tragen, schließlich schleicht Arthur meist ganz allein durch das halbverfallene Anwesen. Aber Überraschung: Radcliffe macht einen wirklich ordentlichen Job, sicherlich nicht oscarverdächtig, aber das hätte ganz leicht auch richtig in die Hose gehen können. Selbst von seinen hochkarätigen Co-Stars Ciarán Hinds („Dame, König, As, Spion") und Janet McTeer („Tideland") lässt sich Radcliffe nicht unterbuttern – und das, obwohl McTeer in „Albert Nobbs" gerade erst Schauspielikone Glenn Close an die Wand gespielt hat.
Fazit: Mit „Die Frau in Schwarz" lässt Regisseur James Watkins den Geist der Hammer-Studios für eine neue Kinogeneration wiederauferstehen - auch wenn er an die ganz großen Klassiker der legendären Horrorschmiede nicht herankommt.