Die Filmstarts-Kritik zu Im Alter von Ellen

Manche erinnern sich vielleicht an den US-amerikanischen Steward Steven Slater, über den im Sommerloch 2010 kurzzeitig berichtet wurde, weil er das Flugzeug, von den Passagieren völlig entnervt, über die Nottreppe verließ und sich damit eine Kündigung einhandelte. Die Protagonistin aus „Im Alter von Ellen", von Beruf ebenfalls eine Flugbegleiterin, beginnt ihre Odyssee auf ähnlich radikale Weise, wenngleich sie die Maschine weniger spektakulär über die Passagiertreppe verlässt. Pia Marais („Die Unerzogenen") begleitet die Frau in der Folge bei ihrer ziellosen, von zufälligen Begegnungen gesteuerten Flucht, wobei die vielen skurrilen Situationen in der Zusammenschau mitunter forciert und beliebig erscheinen.

Als ihr Freund Florian (Georg Friedrich, „Contact High") gesteht, dass er ein Kind von einer anderen Frau erwartet, fällt Ellen (Jeanne Balibar, „Bonjour Sagan") aus allen Wolken. Merklich in sich gekehrt tritt die Stewardess einen Flug nach Afrika an, doch noch vor der geplanten Rückreise – ein Gepard auf der Landebahn verzögert den Start – schmeißt sie ihren Job hin. Zurück in Deutschland driftet sie durch die Gegend, ohne recht zu wissen, wie sie ihr neues Leben ausrichten soll. Bei einer Gruppe von Tierschutzaktivisten, die in einem Wohnkollektiv organisiert sind, findet sie Unterschlupf und lernt den jüngeren Karl (Stefan Stern) kennen, mit dem sie eine Affäre beginnt. Parallel unternimmt Florian den Versuch, Ellen für sich zurückzuerobern...

Pia Marais zeigt ihre Protagonistin, der Jeanne Balibar eine großartige Präsenz verleiht, häufig in Bildern, die ihre Verletzbarkeit aufzeigen: wie ein Embryo zusammengerollt in der Badewanne, in weiblichen, sanft-weißen Oberteilen oder bei halb scheuen, halb offensiven Kommunikationsversuchen. Das Gefühlsleben der Frau ist durch den Betrug des (Ex-)Freundes und die dadurch eingeläutete Neuorientierung aus der Balance geraten – wobei die Trennung mehr Anlasser als Motor der Ausnahmesituation ist. Nach außen hin verbirgt Ellen diese Verunsicherung zwar, spürbar wird sie letztlich aber vor allem in der entrückten Ziellosigkeit, mit der sie sich durch den Film bewegt. Pia Marais findet hierfür ein sehr treffendes Bild: Gemeinsam mit den Tierschützern kapert Ellen einen LKW, der lebende Hühner transportiert, doch die befreiten Hühner laufen - von der neuen Freiheit sichtlich überfordert – lediglich ziellos durch die Gegend. Rechnet man heraus, dass die Tiere weitaus hektischer handeln als die phlegmatische Ellen, sind sie nichts anderes als ein Spiegelbild von ihr.

Dass Ellens Reisestationen nie vorhersehbar und meist mit skurrilen Begebenheiten angereichert sind, ist Fluch und Segen zugleich. Es ist ein Vorteil, weil „Im Alter von Ellen" so niemals langweilig wird. Wenn Ellen aus heiterem Himmel und ohne erkennbare Motivation den Aktivistin Karl heiratet, ist der Zuschauer aber hingegen viel zu sehr mit möglichen Erklärungsversuchen für Ellens Verhalten beschäftigt, als das er sich in der Handlung verlieren könnte. Ein weiteres Problem und letztlich der Stolperstein des Dramas ist die Tatsache, dass Ellens Krise keinerlei verlässliche Zuspitzung erfährt. Bald dominiert vielmehr eine zunehmende Beliebigkeit, ein zwar unterhaltsames, letztlich jedoch unbefriedigendes Herumstochern in der dramaturgischen Prämisse des Films.

Ein solcher Ansatz kann auch lohnend sein – schwierig wird es jedoch, wenn sich der Plot, der eigentlich gar kein richtiger Plot ist, und die Figuren, die eher Skizzen bleiben, in den Vordergrund drängen und die Bühne so weder für eine experimentelle Erzählweise noch für eine dementsprechende Inszenierung freigeben. Die ästhetischen und auf den Moment konzentrierten Bilder sowie die Darbietung von Jeanne Balibar, die ihre Figur trotz der Beliebigkeit der Handlung konsequent unter Spannung hält, sorgen letzten Endes dafür, dass „Im Alter von Ellen" nicht gänzlich enttäuscht.