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    3096 Tage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    3096 Tage
    Von Carsten Baumgardt

    Wie gehe ich als Filmemacher mit realen Taten um, die so grausam sind, dass allein der Gedanke daran, diese in Kinobildern sehen zu müssen, einen erschaudern lässt? Es ist durchaus umstritten, ob und wie solche Gräuel in einem Spielfilm nachgestellt werden sollten. Schnell wird in solchen Fällen etwa der Vorwurf laut, das Leid der Opfer werde auf unlautere Weise für Unterhaltungszwecke ausgebeutet. Solche Stimmen mag es auch bei „3096 Tage" geben, allerdings ist Sherry Hormanns Entführungsdrama nicht nur sehr zurückhaltend inszeniert, sondern auch durch das Einverständnis und die Mitwirkung des Opfers Natascha Kampusch selbst legitimiert. Ein allgemeines Interesse darf angesichts des beispiellosen medialen Echos auf das mehr als achtjährige Martyrium der jungen Österreicherin als gegeben angenommen werden, aber am Ende entscheidet Kampusch ganz allein, ob sie es für sinnvoll hält, ihre Geschichte im Kino erzählen zu lassen. Ihre gleichnamige Autobiografie und lange Gesprächen mit Regisseurin Hormann sowie mit Bernd Eichinger, der die Verfilmung vor seinem Tod 2011 angeschoben hatte, bilden die Basis für den Film „3096 Tage": ein nüchternes Psycho-Drama, das so wenig reißerisch und so behutsam wie möglich inszeniert ist, wobei Hormann nicht immer gelingt, die durchaus gegensätzlichen Ziele der Multiplextauglichkeit und der Realitätsnähe auszubalancieren.

    Wien, März 1998: Auf dem Weg zur Schule wird die zehnjährige Natascha Kampusch (Amelia Pidgeon, später: Antonia Campbell-Hughes) von dem arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil (Thure Lindhardt) in einen Lieferwagen gezerrt und entführt. In seiner Wohnung in der Wiener Vorstadt hat Priklopil in monatelanger Vorarbeit ein nur wenige Quadratmeter großes Kellerverlies errichtet, in dem er das Mädchen fortan gefangen hält und erst nach Jahren überhaupt ans Tageslicht lässt. Der Entführer verlangt kein Lösegeld, sondern erfüllt sich vielmehr eine Kontrollphantasie („Gehorche, gehorche, gehorche!"), unter der Natascha Kampusch zu leiden hat. Nahrungsentzug und Demütigungen wechseln sich mit persönlichen Belohnungen ab, die Natascha sich erschleichen muss. Als das Mädchen die Pubertät erreicht und langsam erwachsener wird, zwingt sie Priklopil schließlich mit einem Kabelbinder an sich gebunden zum Sex...

    Am 23. August 2006 beginnt für die damals 18-jähige Natascha Kampusch ihr zweites Leben. Sie nutzt einen kurzen unbeobachteten Moment zur Flucht aus ihrer Gefangenschaft. Noch am selben Abend schmeißt sich ihr Peiniger Wolfgang Priklopil vor einen Zug der Wiener S-Bahn und verstirbt - nachdem er sich zuvor einem Bekannten anvertraut hatte. Was das junge Mädchen in den achteinhalb Jahren ihrer Gefangenschaft durchgemacht hat, ist inzwischen durch ihre Medienauftritte und ihre Autobiografie „3096 Tage" bekannt. Natascha Kampusch hat sich dafür entschieden, sich die Last von der Seele zu schreiben – mit einer Auslassung. Über den Aspekt „Sexualität" schwieg sie in ihrem Buch beharrlich, um sich den letzten Rest Privatsphäre zu bewahren. Doch diesen Widerstand hat sie mittlerweile aufgegeben und eingewilligt, dass das Thema in Sherry Hormanns Kinoversion „3096 Tage" explizit aufgegriffen wird - nach eigener Aussage wollte Kampusch feindseligen und verharmlosenden Stimmen entgegentreten, die ihre Erlebnisse als „Spaziergang" dastehen ließen. Und gerade in der Szene, in der Priklopil eine teilnahmslos-schockerstarrte Kampusch vergewaltigt, schmerzt „3096 Tage" am meisten.

    Als Produzenten-Tycoon Bernd Eichinger („Der Untergang, „Der Baader Meinhof Komplex") am 24. Januar 2011 überraschend an einem Herzinfarkt verstarb, stand sein Wunschprojekt „3096 Tage", für das er sogar zu einem Regie-Comeback bereit gewesen wäre, vor dem Aus. Eichinger hatte erst ein etwa 50-seitiges Fragment des Drehbuchs fertiggestellt. Doch seinem langjährigen Mitstreiter Martin Moszkowicz („Das Parfum", „Der Gott des Gemetzels") gelang es, „3096 Tage" wieder in die Spur zu bringen. Ruth Toma („Emmas Glück", „Liebesluder") schrieb das Drehbuch fertig und Natascha Kampusch sagte ihre volle Kooperation zu. Schließlich wurde mit Sherry Hormann eine Regisseurin gefunden, die zwar überwiegend auf locker-romantische Stoffe wie „Irren ist männlich" und „Frauen sind was Wunderbares" abonniert ist, aber mit dem biografischen Drama „Wüstenblume" bereits bewiesen hat, dass sie ein schwieriges Thema sensibel für ein breites Publikum aufbereiten kann.

    Es ist dem Film anzusehen, dass die Macher sich um eine möglichst sensible Darstellung der Ereignisse bemüht haben. Regisseur Hormann verzichtet auf jede reißerische Überspitzung, aber auch auf allzu große naturalistische Deutlichkeit. Sie mag dem Publikum ganz offensichtlich nicht zu viel zumuten, so sind zwar die Ereignisse, um die es hier geht, schockierend und verstörend, der Film selbst ist das allerdings selten. Natascha Kampusch unterstreicht dies mit ihrer Interviewaussage, dass es in Wirklichkeit alles noch viel dramatischer und schlimmer gewesen sei als das, was auf der Leinwand zu sehen ist. Die durchaus nachvollziehbare Zurückhaltung Hormanns hat allerdings auch zur Folge, dass die tatsächlichen Abgründe der unmenschlichen Tat nur zu erahnen sind. So folgt die Regisseurin auch nicht Bernd Eichingers ursprünglichem Plan, den Film als reines Zwei-Personen-Stück anzulegen. Zwar liegt der Fokus ganz klar auf den beiden Hauptpersonen Kampusch und Priklopil, aber gelegentlich bricht Hormann aus der Klaustrophobie der Isolation aus, um ihren Film nicht in Tristesse zu ersticken. Besonders intensiv ist „3096 Tage" allerdings, wenn Kameramann Michael Ballhaus („GoodFellas", „The Departed") in beklemmenden Bildern die bedrückende Enge in Kampuschs winzigem Kellerverlies einfängt und spürbar macht.

    „3096 Tage" ist die möglichst genaue Abbildung des von Natascha Kampusch geschilderten Kampfs ums tägliche Überleben. In diesem Rahmen entwirft Sherry Hormann ein psychologisch stimmiges Porträt ihrer beiden Hauptfiguren. Auf der einen Seite steht der verklemmte Muttersöhnchen-Spießer Priklopil mit seiner Fototapete und seinen Platzdeckchen in der Küche, der hinter seiner bürgerlichen Kaffeeklatsch-Fassade kranke Phantasien auslebt. Er hat die Kontrolle und die Macht. So bezeichnet er Natascha einmal als sein Wesen, das er erschaffen habe. Er entzieht seinem Opfer die Nahrung und drangsaliert es nach Belieben und doch wird deutlich, dass Kampusch die stärkere und intelligentere Persönlichkeit ist. Ihre Überlebensstrategie besteht daraus, sich mit der Situation zu arrangieren. Das führt zu ungewöhnlichen familiär-vertrauten Momenten, etwa wenn Täter und Opfer gemeinsam zum Skilaufen in die Berge fahren.

    Bei einem so intensiven Stoff voller emotionaler Extreme und menschlicher Abgründe kommt es entscheidend auf die Schauspieler an. Die Britin Antonia Campbell-Hughes („Albert Nobbs", „Bright Star") gibt als ältere Natascha Kampusch eine psychologisch ausgefeilte Darbietung, selbst wenn die junge Frau (Jahrgang 1982) für den Part der 14- bis 18-Jährigen zu alt wirkt. Bei Amelia Pidgeon als jüngere Natascha kommt nie das Gefühl auf, dass sie eine Rolle spielt, ihr Auftreten ist sehr natürlich. Der bewusst teilnahmslos wirkende Däne Thure Lindhardt („Illuminati", „Into The Wild") wiederum zeigt eine treffend undurchschaubare Mischung aus irritierender Normalität und unterschwelliger Grausamkeit. Die Wirkung der darstellerischen Leistungen wird allerdings durch die Produktionsentscheidung geschmälert, „3096 Tage" mit internationalem Cast und in englischer Sprache zu drehen. Die Besetzung der österreichischen Rollen durch Nicht-Österreicher sorgt für eine Entwurzelung der Sprache und damit auch der Figuren. Das feine Hochdeutsch der Synchronfassung wirkt in der Wiener Umgebung fremd und geradezu künstlich. In einem Film, in dem sonst so viel Wert auf akkurate Details und Wahrhaftigkeit gelegt wird, ist diese der vermeintlich besseren internationalen Vermarktbarkeit geschuldete Verwässerung, umso bedauerlicher.

    Fazit: Sherry Hormanns Verfilmung der Natascha-Kampusch-Biografie „3096 Tage" ist ein moralisch korrektes und routiniert inszeniertes Psycho-Drama mit einigen intensiven Höhepunkten und ohne sensationslüsterne Entgleisungen.

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