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    Bystanders
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bystanders
    Von Christoph Petersen

    Es ist schon interessant, wie sehr der mediale Umgang mit bestimmten Themen in den verschiedenen Kulturen variiert. Sowohl in Deutland als auch – sogar noch stärker – in Südkorea erregt Gewalt an Schulen großes öffentliches Interesse. Gerade seitdem Handyvideos von Brutalitäten und Demütigungen in Mode gekommen sind, gibt es im deutschen Fernsehen kaum noch ein Boulevardmagazin, in dem dieses populäre Thema nicht ausgiebig ausgeschlachtet wurde – ein künstlerischer Umgang mit diesem vielsagendem Phänomen in Kino oder Film ist hingegen kaum zu erwarten. Etwas ganz anderes ist in Südkorea, wo gesellschaftliche Abgründe schon immer eine reichhaltige Fundgrube für das florierende Genrekino darstellten, der Fall: In Im Kyung-soos Thriller „Bystanders“ werden zum Beispiel düstere Themen wie Schulgewalt und übertriebener Leistungsdruck geschickt in eine spannende Serial-Killer-Story integriert.

    Der rätselhafte Fall, in dem Polizistin Chu (Shin Eun-kyung) und ihr Partner Kim (Eric Moon) ermitteln, scheint aussichtslos. Zunächst wurde Schulstreber Inwoo in aller Öffentlichkeit abgestochen. Und nur wenige Tage später stürzte sein bester Freund Kangtae von einem Hochhaus – in seinem Magen fand sich ein Zettel, auf dem er zugibt, Inwoo getötet zu haben. Eigentlich eine klare Sache: Kangtae kam mit der Schuld, seinen Freund umgebracht zu haben, nicht klar und beging Suizid. Das Problem bei dieser Theorie ist nur, dass auch in Inwoos Gedärmen ein Zettel gefunden wird, auf dem er zugibt, Kangtaes Selbstmord nur vorgetäuscht und ihn in Wahrheit heruntergestoßen zu haben. Und auch die weiteren Nachforschungen bringen kaum Licht in das Dunkel, führen sie die Ermittler doch gerade zu dem Mitschüler der beiden, der vor über einem Monat bei einem Autounfall ums Leben kam…

    Die erste Besonderheit, die einem bei „Bystanders“ ins Auge fällt, ist die ungewöhnliche Charakterisierung der Protagonistin Chu. Gleich bei ihrem ersten Auftritt, bei dem sie sich in der U-Bahn als Hintern-Grabscherin präsentiert, wird klar, dass es sich bei ihr keinesfalls um eine klassische Kino-Ermittlerin handelt. Vielmehr kommt sie zunächst als zickig-sympathische Rebellin, die sich mit ihrem ganz eigenen muckschen Charme über Chefs und Regeln hinwegsetzt, daher, die man eher in einer Teenie-Comedy als in einem harten Cop-Thriller erwarten würde. Später wird ihr Charakter auch noch durch ihre ausgesprochen differenziert dargestellte Beziehung zu ihrem Neffen, den sie als allein erziehende Tante betreut, mit ernsteren Tönen angereichert, die aus ihr trotz aller hippen Komik auch eine sehr tragische Figur machen.

    Die erste halbe Stunde von „Bystanders“ glänzt mit einer ausführlichen, sehr abwechslungsreichen Einführung des komplexen Falls und der ähnlich komplexen Charaktere. So kommt der Zuschauer trotz der komplizierten Ausgangslage schnell in den Film hinein. Leider kann Kyung-soo diese klare dramaturgische Linie in der zweiten Hälfte nicht immer durchhalten. Stattdessen verliert er sich zwischenzeitlich in ausgiebigen Rückblenden oder überraschenden Zeitsprüngen. Zwar kann man sich selbst am Schluss wieder auf alles einen passenden Reim machen, trotzdem ist es nahezu unabwendbar, zwischendurch auch kurz mal den roten Faden zu verlieren. Da diese – weil der Film auch so genug zu bieten hätte – unnötige Komplexität aber die einzige offensichtliche Schwäche des Films ist, lohnt es sich fraglos dennoch, auch bei vereinzelter Orientierungslosigkeit am Ball zu bleiben.

    In der Eröffnungssequenz sieht man Inwoo im strömenden Regen über eine Brücke taumeln. Dabei ist die Kamera von oben auf das Geschehen gerichtet und Inwoo verschwindet wiederholt unter aufgespannten Regenschirmen. Diese Bilder versprechen Großes, was die Inszenierung von „Bystanders“ angeht – und auch wenn solche gelungen kunstvollen Einstellungen im weiteren Verlauf nicht unbedingt an der Tagesordnung sind, muss man doch anerkennen, dass der Film für einen Polizeithriller ansprechend abwechslungsreich in Szene gesetzt ist. So gibt es an „Bystanders“, der mit seiner ungewöhnlichen, rauen Hauptfigur und seiner ausgeklügelten Fallkonstellation fast ein wenig an eine süd-koreanische Variante eines Romans von Henning Mankell erinnert, außer der übertriebenen Dramaturgie in der zweiten Hälfte insgesamt wenig auszusetzen. Und weil er wirklich schwierige Themen geschickt anzupacken versteht, kann er sich darüber hinaus sogar noch ein paar Pluspunkte verdienen: “Who In This Country Ever Remembered A Second?“

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