Ruggero Deodato, der Regisseur des in Teilen pseudo-dokumentarischen Kannibalen-Schockers „Cannibal Holocaust" aus dem Jahre 1980, war verblüfft, als er plötzlich wegen Mordverdachts verhaftet wurde. Die italienische Justiz glaubte, einen Snuff-Film vor sich zu haben. Erst als Deodato Beweise für die Unversehrtheit der Schauspieler und die Herstellung der Spezialeffekte vorbrachte, wurde die Anklage fallengelassen. Inzwischen hat sich der gemeine Kinogänger längst an das Found-Footage-Genre gewöhnt. In diesem werden angeblich authentische, meist schockierende Aufnahmen eines verschwundenen Filmteams der Nachwelt präsentiert. Werke wie „The Blair Witch Project", „[Rec]" oder „Cloverfield" nahmen sich erfolgreich diesem Schema an. Da verwundert es, dass nicht schon früher jemand auf die wenig originelle Idee kam, mit wackeliger Handkamera eine Dämonen-Austreibung zu bebildern. Bei „Der letzte Exorzismus", dem mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten zweiten Spielfilm des Hamburger Regisseur Daniel Stamm, handelt es sich um einen bemerkenswerten Beitrag zum Genre. Das hat der Film vor allem seiner ironischen Prämisse, den wohldosierten Schock-Momenten und einem überzeugend aufspielenden Cast zu verdanken. Das heiß diskutierte Ende ist hingegen weniger überzeugend geraten.
Cotton Marcus (Patrick Fabian) ist ein Geistlicher, der sich auf Teufelsaustreibungen spezialisiert hat. Da er längst nicht mehr gläubig ist, sieht er seine Aufgabe darin, den Betroffenen eine spektakuläre Show zu liefern, um das, was sie für vermeintliche böse Mächte halten, aus ihren Gedanken zu vertreiben. Zunehmend kommen Marcus jedoch Zweifel an dem betrügerischen Geschäft, zumal ihm die Nachricht, dass kürzlich bei einem Exorzismus ein autistischer Junge sein Leben ließ, arg zusetzt. Er tut sich deshalb mit einem Team von Dokumentarfilmern zusammen, das ihn bei einem letzten Einsatz begleiten soll, um die Methoden seiner Profession offenzulegen. So findet sich der Pastor bald auf der Farm von Louis Sweetzer (Louis Herthum) in Louisiana wieder. Immer wieder wird dort nachts Vieh abgeschlachtet, woraufhin Sweetzers Tochter Nell (Ashley Bell) am nächsten Morgen blutdurchtränkt aufwacht. Scheinbar sind die schwierigen Familienverhältnisse für dieses Verhalten verantwortlich, denn vor drei Jahren verstarb die Mutter, was auch Nells Bruder Caleb (Caleb Landry Jones) nicht verkraftet zu haben scheint. Wie geplant wird der der Exorzismus „erfolgreich" durchgeführt, doch kurze Zeit später verschlimmert sich Nells Zustand plötzlich dramatisch...
Obwohl das Konzept, das den Hollywood Reporter zu dem zynischen Ausspruch „Call it the Linda Blair Witch Project" provozierte, nach kaltem Kaffee klingt, erweist es sich größtenteils als durchaus fruchtbar, zumal die erste Hälfte des Films bestens als vergnüglicher Metakommentar zum Horrorgenre im Allgemeinen und der Mockumentary im Besonderen funktioniert. Obwohl es danach unweigerlich in die üblichen Schock-Gefilde geht, legt das überaus sorgfältig konstruierte Drehbuch hinreichend falsche Fährten, um effektiv zu verunsichern. Dem kommt die Regie von Daniel Stamm entgegen, der es vermeidet, altbekannte Hillbilly-Klischees auszubreiten, sondern stattdessen die Figuren und ihre Probleme verhältnismäßig sensibel zeichnet. Auch wenn die Beteiligung von Produzent Eli Roth („Cabin Fever", „Hostel") die Erwartungen in die konträre Richtung lenken dürfte, wird auf Blutrünstiges weitgehend verzichtet. Im Rahmen der subgenreeigenen Konventionen, die formal souverän durch rauen Cinéma-Vérité-Stil bedient werden, kommt es sogar zu einer kleinen Innovation, die darin besteht, dass das Böse selbst einmal die Kamera in den Händen hält, was für deftigen Grusel sorgt. Einige Anleihen an die Ikonographie von William Friedkins „Der Exorzist" sind unvermeidlich, doch versucht „Der letzte Exorzismus" glücklicherweise gar nicht erst, den Klassiker zu übertrumpfen.
Zu überzeugen vermag auch die aus eher unbekannten Schauspielern zusammengestellte Besetzung. Gerade Patrick Fabian sorgt mit einer charismatischen Melange aus bubenhafter Verschlagenheit und ernsthafter Anteilnahme für hohen Unterhaltungswert, während Ashley Bells Wandlung von der unschuldigen Südstaatenschönheit zur wilden Furie beängstigend real erscheint. Ohne übertriebenes Mienenspiel weiß Caleb Jones die Bedrohlichkeit seiner Figur darzustellen. Der positive Gesamteindruck wird durch eine kaum vorbereitete Schlusswendung gestört, die so zwar umso schockierender daherkommt, jedoch eher holpriger Natur ist, zumal sie aufgrund des Bruchs mit dem vorherigen Geschehen fast aus einem gänzlichen anderen Film zu stammen scheint und mitunter wie eine unbeabsichtigte Parodie wirkt. Sie lässt einige Fragen offen, so dass für Gesprächsstoff nach dem Kinobesuch zweifellos gesorgt sein dürfte, trotzdem hätte man sich eine weniger dissonante Fortführung der Geschichte gewünscht.
Fazit: Bei allem (Internet-)Hype, der ja oft zu überhöhten Erwartungen führt, zählt „Der letzte Exorzismus" trotz Defizite eindeutig zu den gelungeneren Beiträgen des Horror-Genres. Wer sich spektakuläre Gore-Effekte und permanente Schocks erhofft, wird aber enttäuscht. Die Macher setzen nämlich eher auf eine betont altmodische Spannungs-Dramaturgie, was sich im Endeffekt aber als genau die richtige Entscheidung herausstellt.