Der Hype-Begriff „Bio" bezieht sich nicht immer nur auf Fragen des fairen Konsums, sondern beschreibt auch ein Lifestyle-Konzept, das mehr das eigene Wohl als das von Umwelt und Kleinbauern in den Mittelpunkt rückt – Bioprodukte, so die zugrundeliegende Motivation, „schmecken einfach besser". Umso wichtiger ist es also, sich zu vergegenwärtigen, warum man sich in Wirklichkeit bei seinen Kaufentscheidungen mit den Aspekten Ökologie und Nachhaltigkeit beschäftigen sollte. Bertram Verhaag Dokumentation „Gekaufte Wahrheit - Wissenschaft im Magnetfeld des Geldes", die über die Hintergründe von Genmanipulation bei Nahrungsmitteln und die Verwicklungen von Wirtschaft und Wissenschaft informieren möchte, gehört zu einer Reihe von Filmen, die über die eigentliche Essenz des Labels „Bio" aufklären. So hat auch Coline Serreau erst kürzlich mit „Good Food, Bad Food" überzeugend auf die Notwendigkeit ökologischer Landwirtschaft hingewiesen. So positiv diese Bemühungen auch zu bewerten sind: Aus filmischer Sicht ist das Unterfangen, das komplexe Ineinandergreifen von Wirtschaft und Ökologie transparent zu machen, stets mit Problemen behaftet. Abstrakte Zusammenhänge helfen eben nicht unbedingt dabei, ansprechendes Bildmaterial zu finden. Das ist ein Problem, mit dem auch schon „Good Food, Bad Food" zu kämpfen hatte. Bertram Verhaag jedoch löst die Aufgabe, seine Recherche auch entsprechend zu illustrieren, ziemlich souverän - so ist „Gekaufte Wahrheit" eine kurzweilige Angelegenheit, auch wenn ihr ein wenig am Ende ein wenig der Biss fehlt.
Im Gespräch mit Wissenschaftlern geht Bertram Verhaag der Frage nach, welche Risiken genmanipulierte Lebensmittel für den Konsumenten mit sich bringen. Bei seinen Recherchen wird deutlich, dass viele Hintergründe und Aufklärungsbemühungen gar nicht an die Öffentlichkeit dringen konnten, weil Forscher von Wirtschaft und Politik unter Druck gesetzt wurden. Ist die Wissenschaft also wirklich frei und nur der Wahrheitsfindung verpflichtet? Der Regisseur lässt Betroffene zu Wort kommen und legt die bestürzenden Verflechtungen im Genmanipulationsgeschäft seit den 90er Jahren offen.
Die Dokumentation funktioniert also auf zwei Ebenen: Zum einen als Wissenschaftsdoku über Gentechnik in der Landwirtschaft, zum anderen aber auch als metawissenschaftliche Betrachtung jener Prozesse, die eine interessengebundene Wahrheit überhaupt erst hervorbringen. Umso schwieriger muss es gewesen sein, einen filmischen Zugang zu finden. Vertram Verhaag jedoch trotzt dem Abstraktionsgrad seines Stoffes auf vielfältige Weise: Archivbilder, Splitscreen-Sequenzen und schnelle Schnitte schaffen Bewegung und Abwechslung, auch wenn nicht alle Strategien der Bebilderung wirklich inhaltsbezogen sind. So erscheint die Dokumentation zwar stellenweise etwas bemüht, kann sich aber dafür der Aufmerksamkeit des Zuschauers über die komplette Länge sicher sein.
Der Filmemacher tut zudem gut daran, die Anzahl seiner Protagonisten zu begrenzen. Wo „Good Food Bad Food" noch mit einer überwältigenden Vielzahl von Stimmen zum Thema oft mehr für Verwirrung als für Klarheit sorgte, setzt Bertram Verhaag nun auf die ausführlichen Erklärungen einer Handvoll Experten und Betroffener. Zudem nimmt er sich die Zeit, auch die biographischen Hintergründe der jeweiligen Sprecher nachzuzeichen, eine Methode, die angesichts des propagierten Skeptizismus folgerichtig erscheint: So erfährt der Zuschauer nicht nur die Haltung der Experten zum Thema, sondern auch, welche Geschichte und welches Interesse der jeweiligen Position zugrundeliegt.
Natürlich kann sich Bertram Verhaag auch auf die Wirkmacht der zusammengetragenen Fakten verlassen, denn die Dreistigkeit der Eingriffe von Wirtschaft und Politik in die Sphäre der Wissenschaft ist wirklich verblüffend. Kaum zu glauben, dass der Ölmulti BP tatsächlich die renommierte Berkeley-Universität mit 500 Millionen Dollar „unterstützt" – dafür jedoch auch ein weitreichendes Mitspracherecht in Forschungsangelegenheiten erhält. Ebenso unglaublich scheint die Tatsache, dass Monsanto genmanipuliertes Getreide vertreibt, das eine spezielle Resistenz ausgerechnet gegen das hauseigene Herbizid aufweist und so eine doppelte Abhängigkeit für Landwirte schafft.
So fesselnd die Thematik auch ist, Bertram Verhaag verpasst trotzdem zu einem gewissen Grad, Nadelstiche zu setzen und seiner Dokumentation so etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Das mag der ambitionierten Verschränkung der beiden Inhaltsebenen geschuldet sein, die auf Kosten einer klare Pointierung geht. Andererseits ist es erfreulich, dass Bertram Verhaag aktivistisches Pathos außenvorlässt und so sicher auch Zuschauer zum Nachdenken anregt, die ansonsten bei der bloßen Erwähnung des Begriffs „Bio"sofort das Gesprächsthema wechseln.