„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – so klagt Goethes Faust, der zwischen körperlichen und geistigen Verlockungen hin- und hergerissen ist. Selten hat jemand dieses berühmte Sinnbild für den inneren Widerstreit gegensätzlicher Impulse derart wörtlich genommen wie Stephenie Meyer in ihrem Science-Fiction-Roman „Seelen“. Die weltbekannte und hochumstrittene Schöpferin der megaerfolgreichen „Twilight“-Reihe erzählt in ihrem Buch von einer jungen Frau, deren Körper von einer „Seele“ okkupiert wird. Dem außerirdischen Wesen gelingt es jedoch nicht, das menschliche Bewusstsein seines Opfers auszuschalten und so befinden sich Alien und Teenager in ständigem Willenszwist. Die irgendwo zwischen „Die Körperfresser kommen“, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ und diversen Schizophrenie-Dramen angesiedelte Prämisse ist durchaus reizvoll, bietet für eine Verfilmung aber auch erhebliche Herausforderungen - schließlich spielt sich ein Großteil der Konflikte im Kopf der Protagonistin(nen) ab. Hauptdarstellerin Saoirse Ronan meistert diese Aufgabe im gleichnamigen Film nun dennoch hervorragend und „Gattaca“-Regisseur Andrew Niccol bringt seine Stärken in der Darstellung unterkühlt-futuristischer Welten ein. Allerdings gelingt es ihm nicht, den faszinierenden thematischen Ansätzen einen klaren dramatischen Fokus zu geben und wenn er der Vorlage über weite Strecken in die stark an „Twilight“ erinnernden Gefilde eines übernatürlich angehauchten Teenie-Liebesdramas folgt, ist Niccol ganz offensichtlich nicht in seinem Element.
Die Erde wurde von Aliens erobert, die Körper und Geist der Menschen übernehmen, um das Leben dort zu perfektionieren – die Seelen (so heißen die Außerirdischen) verwandeln den Planeten in eine gleichförmige, aber friedliche Welt. Nur wenige Menschen haben noch das eigene Bewusstsein und leisten Widerstand, darunter die junge Melanie Stryder (Saoirse Ronan). Als sie den Invasoren unter Führung einer Sucherin (Diane Kruger) in die Hände fällt, wird ihrem Körper eine Seele namens Wanderer (ebenfalls Saoirse Ronan) eingepflanzt. Die Sucherin will so Melanies Erinnerungen anzapfen, doch das Mädchen wehrt sich heftig gegen die feindliche Übernahme ihres Bewusstseins. Schließlich gelingt es Melanie, den ungebetenen Gast im eigenen Körper dazu zu bringen, mit ihr zu ihrer Familie in die Wüste zu fliehen. Dort treffen sie auf Melanies Freund Jared (Max Irons), ihren kleinen Bruder Jamie (Chandler Canterbury) und ihren Onkel Jeb (William Hurt). Die gehören zu einer kleinen Kolonie von Widerständlern, die sich in einem Höhlensystem verschanzt haben. Sie sehen in dem Neuankömmling zunächst nur einen Feind mit dem Äußeren der geliebten Melanie, doch Wanderer kann sie überzeugen, dass nicht nur deren Körper weiterhin lebendig ist. Schließlich wird auch die außerirdische Besucherin akzeptiert und zu Wanda umgetauft. Sie verliebt sich sogar in den Menschen Ian (Jake Abel), wodurch es zu schweren inneren Konflikten mit Melanie kommt. Und bei all dem ist ihnen die Sucherin auf den Fersen…
Das Wortspiel liegt verführerisch nahe und so mancher Kritiker konnte ihm nicht widerstehen: Für sie ist „Seelen“ ein seelenloses Unternehmen. Tatsächlich bietet der Film zahlreiche Angriffspunkte – von der holprigen Dramaturgie und den teils unbeholfenen Dialogen über einzelne ungeschickte Besetzungsentscheidungen (die verliebten Jungs) bis zu unecht wirkenden Kulissen (die keimfreien Studio-Höhlen) – aber dem stehen viele gute Ideen und spannende Details sowie eine sehr engagierte und in den besten Momenten wahrhaft berührende Darbietung der Hauptdarstellerin gegenüber. Saoirse Ronan, die 2008 mit nur 13 Jahren eine Oscar-Nominierung für ihre Leistung in „Abbitte“ erhielt und sich später in „Wer ist Hanna?“ sogar als Action-Heldin auszeichnete, ist ihrer schwierigen 2-in-1-Rolle jederzeit gewachsen. Sie erschafft zwei klar unterscheidbare Persönlichkeiten fast allein mit ihrer Stimme (dem gemeinsamen Körper von Wanda und Melanie ist durch die silbrig glänzenden Kontaktlinsen sowieso das wichtigste Ausdrucksmittel genommen) und es ist eine kleine Meisterleistung wie sie ihrer außerirdischen Identität nach und nach stärkere menschliche Empfindungen verleiht. Wanderers erwachende Sehnsucht, das unendliche Streunerdasein in den Weiten des Alls für ein endliches Menschenleben aufzugeben, gibt dem Schlussdrittel einige emotionale Kraft – allerdings geht die durch die gezwungen wirkende Finalwendung zu einem erheblichen Teil wieder verloren. Da hilft auch der Zielgeraden-Kurzauftritt von „Sucker Punch“-Star Emily Browning nichts.
Nach der angesprochenen Wendung folgt ganz am Ende noch ein Epilog, der ganz offensichtlich auf eine mögliche Fortsetzung hin angelegt ist (die es nach den enttäuschenden Einspielergebnissen in den USA übrigens kaum geben wird). Und hier gewinnt das Formelhafte und Kalkulierte nicht zum einzigen Mal die Oberhand: Wenn mit Max Irons („Red Riding Hood“) und Jake Abel („Percy Jackson – Diebe im Olymp“) gleich zwei bis zur Ununterscheidbarkeit gutaussehende Jünglinge um Saoirse Ronan buhlen, lassen „Team Edward“ und „Team Jacob“ überdeutlich grüßen. Das notorische „Twilight“-Liebesdreieck wird hier zwar eigentlich zu einer weitaus komplizierteren geometrischen Figur ausgeweitet (schließlich ist der eine junge Mann an Melanie und der andere an Wanda interessiert), aber die in dieser Abwandlung steckenden Möglichkeiten werden nur ansatzweise genutzt und verpuffen zwischen pubertärem Zank (Ronan kämpft aufopferungsvoll mit sich selbst und mit einigen bis zur Lächerlichkeit banalen Dialogzeilen), schmachtenden Blicken der Jungs und Küssen im Regen. Die Teenager-Romanze wirkt in „Seelen“ wie eine Pflichtübung fürs Zielpublikum, den beiden Jungs Jared und Ian wird dabei jedoch nicht einmal ein kleines bisschen Persönlichkeit zugestanden. Obwohl Andrew Niccol anders als in seinem Zukunfts-Thriller „In Time“, wo er ein zum Thema des lebensbedrohlichen Zeitmangels passendes atemloses Tempo vorlegte, in dem erstaunlich actionfreien „Seelen“ eher gemächlich erzählt, bekommt keine einzige menschliche Figur ein wirklich überzeugendes Profil.
Andrew Niccol hat seine Stärken nicht auf dem Gebiet der Liebesgeschichte, aber er versteht sich auf schicke Zukunftsvisionen mit kritischem Touch. Die stahlgrau-sterile Welt, die der Filmemacher hier entwirft, hat einiges von den feinsäuberlich-harmonischen Fernsehgaukeleien in „Die Truman Show“ (für den Niccol das oscarnominierte Drehbuch schrieb) und von dem fanatisch-fatalen Genetik-Perfektionismus der Gesellschaft in seinem Regiedebüt „Gattaca“. Die Seelen haben Krieg, Armut, Verbrechen und Krankheit weitgehend eliminiert, aber die schöne neue Welt ist zugleich ein abstrakter Ort ohne Persönlichkeit und ohne Leidenschaften. Die coole Diane Kruger („Inglourious Basterds“) steht als unbeirrbare Sucherin für die passiv-aggressive Ausweitung der gesellschaftlichen Zwangsbetäubung im Dienste der vermeintlich guten Sache und in den kühl-funktionalen Designs (weiße Einheitskleidung, Möbel wie aus dem IKEA-Musterhaus, chromblitzend-futuristische Lotus Evoras und minimalistische Waffen, die niemanden töten und auf denen die bezeichnende Aufschrift „Peace“ prangt) kann sich die Ironie dieser seelenlos-perfekten Welt genauso entfalten wie ihr Reiz. Denn natürlich wäre es toll, schwerste Verletzungen und Krankheiten durch das kurze Aufsprühen eines sanften Allzweckmedikaments zu heilen und auch der Supermarkt (der einfach nur „Laden“ heißt und in dem es keine Markenlabel und Preisschilder gibt), wo man sich herausholt, was man braucht, ohne dass es etwas kostet, ist eine verlockende Vorstellung.
Fazit: „Seelen“ ist Science-Fiction-Drama und Teenie-Romanze in einem, was Regisseur Andrew Niccol allerdings nicht überzeugend unter einen Hut bekommt. Kurios Misslungenes hält sich mit spannenden Einfällen die Waage – sehenswert ist vor allem die Leistung von Hauptdarstellerin Saoirse Ronan.