Neben Bart Simpson waren die Ninja Turtles zu Beginn der 1990er für jeden Teenager das Coolste überhaupt. Vor allem die Zeichentrickserie „Teenage Mutant Hero Turtles“ mit den einstigen Comichelden war echter Kult. Wenn man die Nostalgiebrille einmal ablegt, dann gilt dies allerdings weniger für die unabhängig von der Fernsehbearbeitung entstandenen Kinofilme: „Turtles“ ist recht spaßiger Trash, „Turtles II – Das Geheimnis des Ooze“ ist schon weniger spaßiger Trash und „Turtles III“ totaler Schrott. Und genau deshalb ist es an sich auch eine gute Idee, die nach Renaissance-Malern benannten Pizza-Feinschmecker auf die große Leinwand zurückzubringen, denn ein mittelmäßiges Franchise lässt sich schließlich viel leichter aufpolieren als ein Klassiker wie „Ghostbusters“, dessen Qualität sowieso kaum wieder erreicht werden wird. Wie das richtig geht, hat Kevin Munroe bereits 2007 vorgemacht: Sein komplett computeranimierter „TMNT“ ist der bisher klar beste „Turtles“-Film! Wie das hingegen in die Hose geht, zeigen nun Regisseur Jonathan Liebesman („World Invasion: Battle Los Angeles“) und Produzent Michael Bay: Ihr 2014er-Reboot „Teenage Mutant Ninja Turtles“ begeistert mit neuester Performance-Capture-Technik und mit Effekten, von denen die Macher der Original-Trilogie nicht einmal zu träumen wagten, lässt dafür aber zwei für die Turtles unabdingbare Zutaten vermissen: augenzwinkernden Charme und schlagfertigen Witz!
Auch nach vier Jahren an der Journalistenschule darf die TV-Reporterin April O’Neil (Megan Fox) gemeinsam mit ihrem Kameramann Vernon Fenwick (Will Arnett) nur harmlose Beiträge über neue Fitness-Trends für die Kanal-Sechs-Nachrichten beisteuern. Aber das soll sich jetzt ändern, denn April recherchiert auf eigene Faust im Fall der Fußsoldaten, einer Bande, die ganz New York in Angst und Schrecken versetzt. Als April die Gangster an den Docks auf frischer Tat ertappt, wird sie Zeugin, wie die Verbrecher von einem vermummten Vigilanten einer nach dem anderen unsanft in den Fluss befördert werden. Zwar glaubt ihr diese Story niemand, vor allem nicht ihre Chefin Bernadette Thompson (Whoopi Goldberg), aber sie bleibt dennoch am Ball und entdeckt schließlich die mutierten sprechenden Schildkröten Leonardo (Pete Ploszek, Stimme: Johnny Knoxville), Donatello (Jeremy Howard), Raphael (Alan Ritchson) und Michelangelo (Noel Fisher), die in der Kanalisation unterhalb des Big Apple von ihrem Ratten-Sensei Splinter (Danny Woodburn, Stimme: Tony Shalhoub) in Martial Arts ausgebildet wurden...
Die Turtles sind auch nur ganz normale Teenager, die alles, was mit Popkultur zu tun hat, wie ein Schwamm aufsaugen – und so benahmen sie sich Ende der 1980er eben wie superlässige Surfer Dudes. Im Reboot sind sie hingegen mit der New Yorker Hip-Hop-Kultur aufgewachsen und führen sich dementsprechend wie Möchtegern-Gangsta auf. Leider ist dieses passende Update so ziemlich der einzige gute Einfall, den die Drehbuchautoren Josh Appelbaum, André Nemec und Evan Daugherty zu bieten haben: Darüber hinaus präsentieren sie nämlich lediglich einen vollkommen austauschbaren Blockbuster-Plot, dessen rudimentäre Logik nicht einmal ausreicht, um einigermaßen unfallfrei von einer Action-Sequenz zur nächsten überzuleiten: Warum etwa zieht Turtles-Erzfeind Shredder (Tohoru Masamune) in der Szene mit den eingesperrten Schildkröten einfach von dannen, nachdem er Raphael niedergeschlagen hat, aber April und Vernon noch lustig im selben Raum herumturnen? Genau, weil der Film sonst schon nach einer Stunde zu Ende gewesen wäre! Aber die unsinnige Handlung ist längst nicht das größte Problem des Films.
Vielmehr haben die Autoren und ihr Regisseur den Geist der Turtles einfach nicht verstanden – und da spricht jetzt keinesfalls der Nostalgiker in uns, der seine Kindheitshelden heute genauso haben möchte wie vor einem Vierteljahrhundert. Doch wenn man einen Film über mannshohe mutierte Schildkröten dreht, die mit Nunchakus und Ninja-Schwertern herumwirbeln, während sie Pizza mit 99 Käsesorten in sich hineinschaufeln, dann sollte man den Figuren schon mit einem gewissen Augenzwinkern begegnen. Die Grundhaltung von „Teenage Mutant Ninja Tutles“ ist allerdings erschreckend humorlos – zwar gibt es zwischendurch immer wieder eingestreute Oneliner und Gags, aber die wirken inmitten der düsteren Action und der bierernst durchgezogenen Ganz-New-York-wird-vergiftet-Handlung fast schon wie Fremdkörper. Dabei hat ein anderer Blockbuster in diesem Kinosommer jenen augenzwinkernd-selbstreferenziellen Humor, den wir uns auch von einem „Turtles“-Reboot erhofft hätten, bereits zur Perfektion getrieben: James Gunns fantastischer „Guardians of the Galaxy“!
Aber trotz der erzählerischen Defizite und des unpassend ernsthaften Tonfalls ist nicht alles schlecht. Denn auch wenn wohl nur Michael Bay und seine Mitstreiter selbst wissen, was sie mit dem mehr als gewöhnungsdürftigen Neudesign und der unsympathischen Aufrüstung der Turtles im Sinn hatten, sind die Performance-Capture-Animationen der Titelhelden schlicht makellos – in dieser Hinsicht muss sich „Teenage Mutant Ninja Turtles“ nicht einmal vor dem bahnbrechenden „Planet der Affen: Revolution“ verstecken. Die mitunter unnötig wild geschnittenen Action-Szenen sind allesamt ansehnlich, wobei eine haarsträubende Verfolgungsjagd in der Mitte des Films deutlich herausragt: Die ausufernd-schlitternde Hatz einen schneebedeckten Abhang hinunter fühlt sich an wie ein 007-Setpiece auf Crack – von solchen hemmungslosen, einfach nur Spaß machenden Over-the-Top-Sequenzen hätten wir gerne sehr viel mehr gesehen.
Im Gegensatz zu ihren Auftritten in den ersten beiden „Transformers“-Filmen ist Megan Fox diesmal nicht nur dazu da, ihren trainierten Körper in Zeitlupe abfilmen zu lassen: Zwar muss sie einen für einen Familienfilm unpassenden Arsch-Witz über sich ergehen lassen, darf ansonsten aber tatsächlich schauspielern. Und auch wenn die Rolle der rasenden Reporterin ihr nicht viel abverlangt, macht sie trotzdem einen guten Job. Will Arnett hat es da als ihr Sidekick schon bedeutend schwerer – seine Gags sind schon auf dem Papier so unlustig, dass selbst ein Komödienprofi wie der „Arrested Development“-Star die Pointen nicht zum Zünden bringt. Dazu gibt William Fichtner („Lone Ranger“) als Industrie-Magnat Eric Sacks einen öden Bösewicht ab – inklusive der unmotiviertesten Ich-erkläre-euch-jetzt-meinen-teuflischen-Plan-Szene aller Zeiten. Darüber lässt sich indes durchaus noch hinwegsehen, aber dass selbst der Kultschurke Shredder trotz Schweizer-Taschenmesser-Kampfanzug völlig blass bleibt, ist für einen „Turtles“-Film natürlich nahezu unverzeihlich. Da können wir nur hoffen, dass die Macher in einer möglichen Fortsetzung mit den diesmal noch nicht auftretenden Rocksteady und Bebob mehr anzufangen wissen.
Fazit: Die herausragenden Effekte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Reboot der Charme und der Witz eines anständigen „Turtles“-Films völlig abgehen.