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    Mute
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Mute
    Von Jens Balkenborg

    Das Jahr 2018 beginnt bei Netflix sowohl im Film- als auch im Serien-Sektor mit einer regelrechten Science-Fiction-Offensive: Nach der vierten Staffel der Anthologieserie „Black Mirror“ ging kürzlich die Cyberpunk-Orgie „Altered Carbon“ an den Start und am 12. März 2018 erscheint „Auslöschung“ von „Ex Machina“-Regisseur Alex Garland. Da passt Duncan Jones’ „Mute“ gut ins Portfolio. Nach der von der Kritik überwiegend nicht sehr wohlwollend aufgenommenen Videospiel-Verfilmung „Warcraft: The Beginning“ kehrt der britische Regisseur mit „Mute“ zu seinen Wurzeln zurück, denn sein neuer Film ist der zweite Teil einer sehr losen Trilogie, die mit Jones‘ furiosem Debüt „Moon“ ihren Anfang nahm. Für seine tough inszenierte Noir-Thriller-Vision einer dystopischen Zukunft versammelt der Regisseur viele schillernde Figuren, aber deutliche erzählerische Mängel sorgen dafür, dass „Mute“ trotzdem nicht so richtig zündet.

    Berlin im Jahr 2052: Barkeeper Leo Beiler (Alexander Skarsgård), Kind traditioneller Amischer und seit einem Unfall in der Jugend stumm, fristet ein bescheidenes Dasein. Sein Leben dreht sich ganz um seine große Liebe Naadirah (Seyneb Saleh), mit der er in einem Nachtclub arbeitet. Leo tritt hier, sehr zum Leidwesen seines Chefs, gerne auch als Naadirahs Beschützer auf. Doch die junge Frau verschweigt Leo etwas und verschwindet plötzlich spurlos. Bei seiner Suche nach ihr gerät Leo immer tiefer in den Berliner Untergrund mit seinen zwielichtigen Gestalten - unter ihnen auch die Militär-Chirurgen Cactus Bill (Paul Rudd) und Duck Teddington (Justin Theroux), bei denen alle Fäden zusammenzulaufen scheinen...

    Duncan Jones beschreibt „Mute“ als Herzensprojekt. Lange blieb das Drehbuch, das er gemeinsam mit Michael Robert schrieb und das von Damon Peoples überarbeitet wurde, wegen Finanzierungsproblemen in der Schublade liegen, ehe Ende 2016 dann endlich die Dreharbeiten in Berlin und im Studio Babelsberg in Potsdam beginnen konnten. Dabei ist „Mute“ in keiner Weise eine Fortsetzung von „Moon“. In beiden Filmen erzählt Jones zwar von einer düsteren Zukunft und es gibt im neuen Film auch Anspielungen auf das Schicksal der von Sam Rockwell grandios gespielten „Moon“-Hauptfigur Sam Bell, etwa wenn im Hintergrund einer Einstellung das Graffito „Free the 156“ zu erkennen ist. Alles in allem erzählt „Mute“ aber eine völlig neue Geschichte in einem völlig neuen Setting. Keine Spur mehr vom Independent-Kammerspiel des Vorgängers: Jones fährt große Geschütze auf und etabliert mit einem exponierten world building ein Berlin der Zukunft, das aussieht wie eine Mischung aus „Blade Runner“ und „Babylon Berlin“ (das tatsächlich zum Teil in den gleichen Babelsberger Kulissen gedreht wurde). Hier treffen fliegende Autos, düstere Hochhaustürme und bunte Neonreklamen auf Bordelle mit Holzvertäfelung und klassische Landhäuser.

    Dieser visuell zelebrierte Anachronismus ist ein zentrales Leitmotiv des Films. Denn Jones und Robert rücken nicht etwa die dystopische Technokratie ins Zentrum, wie man es aus „Blade Runner“ oder aus „Altered Carbon“ kennt, sondern die klassisch anmutende Geschichte einer verlorenen Liebe. Und auch die als faszinierender Querkopf angelegte Hauptfigur Leo ist angenehm unangepasst in dieser modernen Welt: ein Amischer, der sich (wenn überhaupt) nur das älteste Handymodell schenken lässt und am liebsten in seiner Holzwerkstatt schnitzt und malt. Und als er ein Fortbewegungsmittel braucht, stiehlt er einen alten Mercedes und nicht etwa ein fliegendes Auto. Dieser Cocktail von Themen und Ansätzen wirkt oft frisch und ungewöhnlich, allerdings gelingt es den Filmemachern nicht, die ambitionierten Ideen in eine ebenso frische Erzählung zu kanalisieren. Nach einem süßlichen Anfang, der die Liebe zwischen Leo und Naadirah zeigt – „Es ist wie ein Märchen“, sagt sie einmal – gestaltet sich die folgende Suche nach der Verschwundenen recht zäh. Diese dramaturgische Holprigkeit wird der Film fortan nicht mehr los.

    Leos Streifzug durch die schillernde Dunkelheit mit ihren futuristischen Paradiesvögeln hat zuweilen fast etwas von einer Nummernrevue, das eigentliche Ziel der Suche gerät dabei manchmal fast schon zur Nebensache und der Protagonist wird zur Nebenfigur. Denn dass Jones und Robert im Verlauf der Handlung verstärkt zweigleisig fahren und neben dem stummen Helden immer mehr auch die beiden Chirurgen ins Zentrum rücken, erweist sich als weiteres Manko: Das verrückte und ambivalente Duo ist zwar entscheidend für die Geschichte und wird von Paul Rudd („Ant-Man“) mit Pornobalken und Justin Theroux („The Leftovers“) mit Hippie-Matte herrlich exzentrisch gespielt, aber gerade wird der ohnehin schon blasse Held Leo noch blasser. So entpuppt sich der Part als undankbare Aufgabe für den Darsteller Alexander Skarsgård („Legend Of Tarzan“), der die in der Figur angelegte Tragik letztlich auch nur ansatzweise zum Ausdruck bringen kann.

    Fazit: Duncan Jones entwirft in „Mute“ eine spannende anachronistische Zukunft, schöpft das Potential des Stoffes aber erzählerisch nicht annähernd aus.

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