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    Fitzcarraldo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Fitzcarraldo
    Von Carsten Baumgardt

    Ein Film, der Berge versetzt. Das ist ein Projekt ganz nach dem Geschmack des Regie-Exzentrikers Werner Herzog. Deshalb ließ sich der Münchner 1981 auch trotz nahezu unüberwindbarer Probleme nicht von der Umsetzung seines berauschend photographierten Urwald-Epos' „Fitzcarraldo" abbringen. In grandiosen Bildern schildert Herzog in der vierten Zusammenarbeit mit seinem Leibschauspieler Klaus Kinski die Geschichte eines großen Traumes. Dass „Fitzcarraldo" angesichts der Produktionsgeschichte überhaupt fertiggestellt wurde, gleicht einem filmischen Wunder. Die vierjährigen Mühen haben sich für alle Beteiligten jedoch ausgezahlt. „Fitzcarraldo" ist meisterhaftes Kino, ein visuelles Kunstwerk und vielleicht das letzte große Abenteuer des deutschen Films.

    Iquitos um 1900: In einer grotesken Urwald-Szenerie von verrotteten Bretterbuden auf schlammigem Boden, bevölkert von fast nackten Einwohnern und Schweinen, will der naive Phantast Brian Sweeney Fitzgerald (Klaus Kinski), genannt Fitzcarraldo, seinen großen Traum verwirklichen. Mit einem spektakulären Eisenbahnprojekt ist er grandios gescheitert, aber durch die Liebe zur Oper findet er Kraft für seine Vision. Fitzcarraldo möchte ein Operhaus direkt im Urwald errichten. Und der von ihm vergötterte Star Enrico Caruso soll zur Premiere singen. Da Fitzgerald jedoch pleite ist, muss er zu Geld kommen. Mit Unterstützung seiner Freundin, der Bordellbesitzerin Molly (Claudia Cardinale), kauft er ein scheinbar wertloses Stück Land. Dort stehen zwar 14 Millionen Kautschukbäume, die er industriell ausbeuten will, aber das Gelände ist so unzugänglich, dass sich bisher keiner in dieses Gebiet gewagt hat. Fitzcarraldo kauft dem reichen Kautschukbaron Don Aquilino (Jose Lewgoy) ein altes Dampfschiff ab, lässt es herrichten und macht sich mit seiner Crew auf eine Reise ins Ungewisse. Sein kühner Plan, den er seiner Mannschaft verheimlicht: Um das Zielgebiet zu erreichen, will er das Schiff von wilden Indianern per Muskelkraft und riesiger Seilwinden über einen Berg schleppen lassen...

    Die abenteuerliche Entstehungsgeschichte von „Fitzcarraldo" ist mindestens so interessant wie der Film selbst. Das machte sich Regisseur Les Blank zunutze und drehte über die Produktion den mit dem BAFTA-Award prämierten Dokumentarfilm „Burden Of Dreams". Insgesamt benötigte Herzog - der nach seiner „Heimatfilmphase" („Jeder für sich und Gott gegen alle", 1974; „Herz aus Glas", 1975; „Nosferatu - Das Phantom der Nacht", 1978; „Woyzeck", 1978) wieder zu seinen Wurzeln im Urwald zurückkehrte - vier Jahre, um das Mammutwerk, entgegen aller Widerstände zu stemmen. Allein drei Jahre nahmen die Vorplanungen in Anspruch. Zunächst wollte die 20th Century Fox den Film produzieren, bestand aber darauf, dass die Überquerung des Berges in einem Studio gedreht wird, um die Risiken überschaubar zu halten. Deshalb sprang der „On Location"-Fanatiker Herzog ab und produzierte den Film mit seinem Bruder Lucki Stipetic selbst. Wie in allen seinen Filmen drehte Herzog nur an Originalschauplätzen - koste es, was es wolle. Doch die Produktion erwies sich schnell als Katastrophe. Niemand außer Herzog selbst war zunächst davon überzeugt, dass es überhaupt möglich sei, das große Flussschiff unter realen Bedingungen über den steilen Berg zu ziehen. Dazu kamen damals heftige Attacken der Presse, die ihm Menschenrechtsverletzungen gegenüber den indianischen Statisten und Arbeitern vorwarfen. Einer Prüfung durch Amnesty International hielten diese Vorwürfe jedoch nicht stand. Aber es passte zu dem Exzentriker Herzog, der sein Projekt immer über alles andere stellte. Er trieb seine Crew gnadenlos voran.

    Als ob diese Probleme nicht genug wären, erwies sich seine Wahl der ursprünglichen Schauspieler als fatal. Zunächst war Jack Nicholson für die Rolle des Fitzcarraldo vorgesehen, aber er sprang kurzfristig ab. Sein Ersatz Jason Robards („Spiel mir das Lied vom Tod", „Philadelphia" „Magnolia") brach nach der Hälfte der Dreharbeiten zusammen und bekam von seinem Arzt Drehverbot. Nur Dank einer Drehausfallversicherung konnte die Produktion überhaupt fortgeführt werden. Herzog bat seinen Weggefährten Klaus Kinski, einzuspringen. Und der war zwar zunächst eingeschnappt, weil er nicht gleich gefragt wurde, ließ sich aber überreden. Ansonsten hätte Herzog nach eigener Aussage den Fitzcarraldo zur Not selbst gespielt. Der neuen Komponente Kinski fiel die Rolle von Mick Jagger zum Opfer. Sein Part als Fitzcarraldos närrischer Kompagnon wurde komplett aus dem Drehbuch entfernt, obwohl Jaggers Leistung nach Meinung Herzogs großartig war. Aber sie passte nicht mehr zu dem Fitzcarraldo à la Kinski. Mario Adorf, der den Kapitän Orinoco Paul spielte, stieg ebenfalls während der Dreharbeiten aus und wurde von Paul Hittscher ersetzt. Neben den schwierigen Produktionsbedingungen im peruanischen (und brasilianischen) Urwald, wo Herzog bereits 1971 „Aguirre, der Zorn Gottes" gedreht hatte, erschwerten die täglichen Tobsuchtsanfälle des Wahnsinnigen Kinski die Arbeit. Herzog war wohl der einzige Regisseur, der dessen unglaubliches schauspielerisches Potenzial für die Leinwand in vollem Maße nutzbar machen konnte. Auf eine Frage eines Reporters nach dem Grund ihrer Zusammenarbeit, antwortete Kinski einmal: „Because he's crazy. And so I am... that's why." Herzog ergänzt: „It's a perfect combination of the mad people, of the mad men." Trotz ihrer ausgeprägten Hassliebe ist die Zusammenarbeit dennoch immer fruchtbar gewesen.

    „Fitzcarraldo" kann als das zentrale Werk der Kooperation zwischen Herzog und Kinski (daneben: „Aguirre, der Zorn Gottes", „Nosferatu - Das Phantom der Nacht", „Woyzeck", „Cobra Verde") angesehen werden. Die Hauptfigur des Brian Sweeney Fitzgerald fügt sich nahtlos in die Reihe der großen Herzog'schen Leinwand-Antihelden ein. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich der Wahnsinn Kinskis im Film in Grenzen hält. Nur in einer grandios gespielten Szene muss Kinski den Irren rauskehren. Besessen von der Idee, ein Opernhaus zu errichten, besteigt Fitzcarraldo einen Kirchturm und schreit permanent: „Ich will meine Oper! Ich will meine Oper!" Hier zeigt sich, wie gut die aufgezwungene Wahl Kinskis als Hauptfigur war. In Herzogs wunderbarer Kinski-Dokumentation „Mein liebster Feind" ist ein Ausschnitt der selben Szene mit dem Duo Jason Robards/Mick Jagger zu sehen - und jeder merkt, wie viel kraftvoller und eindringlicher die Version Kinskis ist. Ansonsten nimmt sich der leidenschaftliche Egomane zurück, lässt sogar in einigen Passagen so etwas wie Humor erkennen. Kinski glänzt wie in allen Herzog-Produktionen besonders über seine unvergleichbare Mimik. Doch im Gegensatz zu seinem Don Lope de Aguirre ist Fitzcarraldo nicht gefährlich, sondern nur ein naiver Träumer. Und „nur Träumer können Berge versetzen", lässt Drehbuchautor Herzog Fitzcarraldo sagen. Das könnte auch als Motto für die gesamte Produktion gelten. Der restliche Cast, angeführt von Claudia Cardinale („Spiel mir das Lied vom Tod") und Jose Lewgoy („Cobra Verde"), ergänzt das Spiel Kinskis wunderbar.

    Die Stärken des Films liegen wie immer bei Herzog auf der optischen Ebene. Er nimmt sich Zeit, insgesamt zweieinhalb Stunden, um seine epische Wucht zu entfalten. Er ist ein Regisseur, der über Bilder eine ganze Geschichte erzählen kann. Die Stimmungen, die von den Schauspielern nuanciert auf die Leinwand gebracht werden, sind der Ereigniswert von „Fitzcarraldo". Dazu perfektionierte Herzog den Einsatz von Musik, die wieder von Popol Vuh beigesteuert wurde. Neben den Klängen von Enrico Caruso, der aus dem Grammophon erschallt, sind es diese sakralen Klänge Popol Vuhs, die in Verbindung mit den majestätischen Bildern ein bewusst provoziertes Pathos erschaffen. Jeder Film muss ein Bild haben, an das sich jeder für immer erinnert, sagte Herzog einmal. Bei „Aguirre" war es die phantastische Anfangssequenz, in der sich die spanischen Eroberer eine 1.000 Meter, fast senkrecht abfallende Andenschlucht entlang quälen, in „Fitzcarraldo" gibt es gleich mehrere dieser Kopfbilder. Das Motiv, in dem Kinski mit wirrem Blick vor dem halb über den Berg geschleppten Schiff steht, ist eines dieser unauslöschlichen Momente. Das Bild wurde übrigens auch als Kinoplakat verwendet.

    Viele hatten Herzog mit dem Projekt „Fitzcarraldo" Größenwahn vorgeworfen und nur darauf gewartet, dass sich der hochgradig ambivalente Filmemacher das erste Mal richtig übernommen hatte. Doch dem fertigen Film ist seine abenteuerliche Produktionsgeschichte in keiner Szene anzumerken. Es muss eine Genugtuung gewesen sein, dass Herzog seine Kritiker mit dem Triumph „Fitzcarraldo" mundtot machen konnte. Der Film ging als visuelles Meisterwerk in die Geschichte ein und zählt zweifelsfrei zu den Klassikern des deutschen Films. Dazu wurde das Werk von der internationalen Kritik gefeiert. Herzog gewann 1982 in Cannes den Regiepreis sowie den Deutschen Filmpreis in Silber. Zudem gab es unter anderem Nominierungen für den Golden Globe, den renommierten britischen BAFTA-Award und für den besten Film in Cannes.

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