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    Godard trifft Truffaut - Deux De La Vague
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Godard trifft Truffaut - Deux De La Vague
    Von Christian Horn

    Vom Mythos aus betrachtet haben Jean-Luc Godard und François Truffaut († 1984) das moderne Kino beinahe im Alleingang geschaffen. Seite an Seite mit einigen anderen Protagonisten der Nouvelle Vague revolutionierten die beiden vormaligen Filmkritiker und Freunde ab 1958 das Filmemachen: Prototypisch für die neue, aus dem Geist des italienischen Neorealismus geborene Inszenierungsweise, die „mit der Kamera auf die Straße" ging, sich selbst thematisierte und konventionelle Regeln des Filmemachens hinterfragte, stehen Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn" (1959) und Godards „Außer Atem" (1960). In seinem Dokumentarfilm „Godard trifft Truffaut" porträtiert der französische Regisseur Emmanuel Laurent nun die persönliche Geschichte und Freundschaft der beiden, die zu Beginn ihrer Beschäftigung mit dem Kino fruchtbare Blüten trug und im Zuge der 68er Bewegung unwiderruflich zerbrach. Dabei liegt der Fokus nur in zweiter Linie auf der privaten Beziehung zwischen Jean-Luc und François, da der Film stets auch die Gesellschaft der Sechziger und die Geschichte der Nouvelle Vague mitreferiert (der Originaltitel „Deux De La Vague" passt also). Wer die Eckdaten jener Filmbewegung bereits im Vorfeld kannte, verlässt „Godard trifft Truffaut" allerdings ohne großartige Erkenntnisgewinne – schön anzusehen und eingängig aufbereitet ist der Dokumentarfilm trotzdem.

    François Truffaut kommt aus einer Pariser Arbeiterfamilie, wohingegen Jean-Luc Godard aus großbürgerlichen Verhältnissen in der französischen Schweiz stammt. Als Kritiker beim fundierten Filmmagazin „Cahier du Cinéma" trafen die beiden aufeinander und entdeckten ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Kino: Treffpunkt war nicht nur die Redaktion, sondern von Beginn an auch die ehrwürdige Pariser Cinemathek unter der Leitung von Henri Langlois, wo sie unter anderem die Filme von John Ford („Der Schwarze Falke"), Alfred Hitchcock („Psycho") und Ingmar Bergmann („Das Gesicht") sahen. „Godard trifft Truffaut" zeichnet kurze Porträts der beiden Cinephilen, wobei deren Freundschaft eine dramaturgische Rolle spielt, und schreitet die frühe Filmlaufbahn der Kameraden in chronologischer Folge ab. Der wesentliche Erzählzeitraum der Dokumentation erstreckt sich mit ein wenig Vorlauf vom Mai des Jahres 1957, als Truffaut und sein junger Hauptdarsteller Jean-Pierre Léaud für Truffauts Debüt „Sie küssten und sie schlugen ihn" enthusiastisch in Cannes gefeiert wurden, bis in den Mai des Jahres 1968, als das Filmfestival von Cannes im Tumult endete und die unterschiedlichen politischen Positionen von Truffaut und Godard deutlich hervortraten.

    Emmanuel Laurent stützt seine stets mit Fakten aus dem Off unterfütterte Erzählung auf zeitgenössische Zeitungsartikel, Interviews, Fotografien und Archivaufnahmen, die etwa die umfassende mediale Geburtsstunde der Nouvelle Vague im Mai 1957 plastisch und eingängig bebildern. Klassische Zeitungsartikel wie Truffauts trotzige Kampfschrift „Eine gewisse Tendenz im französischen Film" (Cahier du Cinéma, 1954), ein Manifest, in dem Truffaut zugleich die Grundpfeiler der Autorentheorie konturierte, stehen neben einem Streifzug durch das Medienecho zu den ersten Filmen der Nouvelle Vague, die von Begrüßung und Skepsis bis hin zu schroffer Ablehnung („Außer Atem") reichen. Mit Bedacht gewählte Ausschnitte aus wichtigen Werken jener Tage – neben den erwähnten etwa „Schießen Sie auf den Pianisten" (1960), „Die Verachtung" (1963), „Die süße Haut" (1964) oder „Elf Uhr Nachts" (1965) – vermitteln ein erstes Bild von dem Gegenstand, der Truffaut und Godard verband.

    In ihren schlechtesten Momenten erinnert diese Form der filmischen Aufbereitung mit ihren Pressetexten, dem Kommentar und den dezenten Zooms auf Standbilder, bisweilen an ein DVD-Extra. Doch dank der analytischen Aufbereitung des Materials und den vielen Informationen und Hinweisen gerade für Neulinge auf dem Gebiet, hat „Godard trifft Truffaut" durchaus seine Vorzüge. Ein Wermutstropfen bei der Auswahl der Quellen ist allenfalls der weitgehende Verzicht auf den in Buchform komplett dokumentierten Briefverkehr zwischen Truffaut und Godard – lediglich der bissige Brief, in dem Jean-Luc seinem Bon ami François die Freundschaft kündigt, findet samt Antwort eine knappe Erwähnung. Als Ersatz verweist der Film in einer hübschen Zusammenschau auf die Filmszenen, in denen sich Truffaut und Godard gegenseitig zitieren (eine andere Form des Dialogs) – etwa auf die Szene aus „Eine Frau ist eine Frau" (1961), in der Jean-Paul Belmondo die in einer Bar sitzende Jeanne Moreau fragt: „Wie geht es Jules und Jim?"

    Wie erwähnt spielt die persönliche Geschichte von François Truffaut und Jean-Luc Godard nicht die Hauptrolle, sondern stellt eher einen roten Faden dar. In gestraffter Form liefern Emmanuel Laurent und sein debütierender Drehbuchautor Antoine de Baecque zunächst biografische Skizzen der Protagonisten: Truffaut landete im Erziehungsheim, schwänzte der Legende zufolge regelmäßig die Schule, um heimlich ins Kino zu schleichen, und landete kurzzeitig im Gefängnis, weil er unglücklich von der Armee desertierte; Godard studierte an der Sorbonne, entwickelte sich im Lauf der Sechziger zum radikalen Gesellschaftskritiker und verlor dabei immer offensiver – ganz im Gegensatz zu Truffaut – den Kontakt zum Publikum. Auf den stilistischen Merkmalen der Nouvelle Vague liegt das besondere Augenmerk von „Godard trifft Truffaut" ebenfalls nicht – hier unternimmt Laurent aber zumindest eine einführende und kenntnisreiche Bestandsaufnahme.

    Reges Interesse schenkt der Film zunehmend den politischen und historischen Rahmenbedingungen der Sechziger, an denen die Bande zwischen Truffaut und Godard zerriss: Im Grunde befürworteten beide die gesellschaftliche Veränderung, Godard vertrat seine Ansichten jedoch deutlich radikaler. Hier findet „Godard trifft Truffaut" einen treffenden Videomitschnitt vom Filmfestival in Cannes 1968. Während draußen die Arbeiter und Studenten protestieren, werden die Rufe zum Abbruch des Festivals auch unter den Teilnehmern immer lauter. Truffaut und Godard stellen sich an die Spitze der Gruppe, die einen vorzeitigen Abbruch der Veranstaltung fordert. Eine Plenumsdiskussion zeigt die beiden im Gespräch mit einer größeren Gruppe: Während Godard einige Zweifler brüsk als „Arschlöcher" bezeichnet, steht Truffaut, der ja eigentlich derselben Meinung ist, im Angesicht der Schärfe ein wenig bedröppelt daneben.

    In einer Rolle als „Scheidungskind" tritt Jean-Pierre Léaud in Erscheinung. Als Alter Ego von Truffaut, mit dessen Antoine-Doinel-Zyklus (u.a. „Geraubte Küsse") er berühmt geworden ist, drehte Léaud auch regelmäßig mit Godard (u.a. „Masculin-Feminin"). Für Léaud, der mit beiden arbeiten wollte, Truffaut aber mehr zu verdanken hatte, wurde die Situation zu einer kleinen Zerreißprobe – auch hierfür nimmt sich der als Einführung in und neuer Blick auf die Nouvelle Vague mit nur wenigen Abstrichen bestens geeignete „Godard trifft Truffaut" Zeit. Zum Glück muss der Zuschauer keine Partei ergreifen, sondern kann in aller Ruhe beide Auteurs schätzen. Aber um den politischen Gegensatz zwischen Truffaut und Godard – der das Ende einer tiefen Freundschaft markierte – prägnant zusammenzufassen, hat FILMSTARTS.de wieder einmal die Filmgeschichte besucht und zwei treffende Zitate aufgeschrieben, die der Erinnerung des Autors gemäß im Film unerwähnt bleiben: Während Truffaut forderte, im Film müsse man „schöne Frauen schöne Dinge tun lassen", erklärte Godard: „Um einen Film zu machen, genügen eine Waffe und ein Mädchen."

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