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    Die Tribute von Panem - The Hunger Games
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Tribute von Panem - The Hunger Games
    Von Christoph Petersen

    Nachdem sich die „Harry Potter"-Reihe 2001 mit dem Start von „Der Stein der Weisen" auch im Kino zum weltweiten Phänomen entwickelt hatte, verging kaum ein Jahr, in dem nicht zumindest eine Fantasy-Verfilmung mit dem Prädikat „Das neue Harry Potter" beworben wurde. Nur die Teenager-Vampir-Saga „Twilight" hatte das nicht nötig und wurde zum eigenständigen Hit – auch ihr folgten hoffnungsfrohe Trittbrettfahrer. Aber keines der angepeilten Fantasy-Franchises von „Tintenherz" über „Der Goldene Kompass" bis „Mitternachtszirkus" kam über einen ersten Film hinaus. Als die Verfilmung des ersten Teils von Suzanne Collins‘ Fantasy-Trilogie „Die Tribute von Panem" offensiv als „Twilight"-Nachfolger vermarktet wurde, lag die beunruhigte Frage also nahe: Steht uns da etwa ein weiterer Flop ins Haus, bei dem nach dem ersten Film Schluss ist und das Publikum mitten in der Story hängengelassen wird? Aber diese Sorge ist bereits jetzt hinfällig: In den USA hat Gary Ross‘ pessimistische Zukunftsvision „Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele" im Vorverkauf selbst „Twilight" übertrumpft, damit steht schon jetzt so gut wie fest, dass die Trilogie auf jeden Fall zu Ende gedreht wird. Und das ist vor allem deshalb erfreulich, weil sich Collins in ihrer Vorlage mit einer Kompromisslosigkeit selbst an die finstersten Themen heranwagt, die man der Traumfabrik Hollywood gerade in einem Film mit jugendlichem Zielpublikum absolut nicht zugetraut hätte. Aber Ross bleibt dem Ton des Buches treu. Er legt ein ebenso düsteres wie kurzweiliges Sci-Fi-Fantasy-Drama vor und zugleich den vielversprechenden Auftakt zu einer Filmreihe mit Kultpotential.

    Nachdem Nordamerika durch Naturkatastrophen größtenteils zerstört wurde, ist dort das Land Panem entstanden, das aus einem reichen Regierungssitz (dem Kapitol) und zwölf Distrikten besteht. Seitdem sich die Distrikte in einem blutig niedergeschlagenen Aufstand gegen das Kapitol erhoben haben, verlangt der siegreiche Präsident Snow (Donald Sutherland) als Wiedergutmachung und Mahnung einen Tribut: Jedes Jahr werden aus jedem Distrikt ein Junge und ein Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren ausgewählt, die dann im Rahmen der als Medienspektakel inszenierten Hungerspiele gegeneinander antreten. Unter freiem Himmel müssen sich die jugendlichen Tribute solange bekämpfen, bis nur noch einer von ihnen lebt, der dann als ruhmreicher Sieger in seinen Distrikt zurückkehren darf. Als die erst zwölfjährige Primrose Everdeen (Willow Shields) als Tribut des 12. Distrikts ausgelost wird, meldet sich Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) freiwillig, um ihre kleine Schwester zu schützen. Gemeinsam mit dem männlichen Tribut Peeta Mellark (Josh Hutcherson) reist Katniss ins Kapitol, wo die beiden von dem ehemaligen Hungerspiele-Sieger Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) auf den blutigen Wettkampf vorbereitet werden...

    In der ersten halben Stunde konzentriert sich Regisseur Gary Ross („Pleasantville") vor allem darauf, die Welt Panems zu etablieren. Dabei erweist sich das Sci-Fi-Fantasy-Universum als ziemliches Sammelsurium verschiedenster Einflüsse: Wenn sich die Kinder des Distrikts zur Wahl der Tribute zusammenfinden und sich mit ihrem Blut in eine Liste eintragen, erinnert das zum Beispiel an jene Szene aus „Schindlers Liste", in der die Juden aus dem Warschauer Ghetto deportiert werden. Der passende Kontrapunkt dazu ist ein eingespielter Propagandafilm des Kapitols für die Hungerspiele, der visuell an die Körperkult-Inszenierung in Leni Riefenstahls NS-„Olympia"-Film angelehnt ist. Die gewagt-exzentrischen Modeergüsse der Einwohner des Kapitols gemahnen hingegen an die modern-flippigen Rokoko-Variationen aus Sofia Coppolas „Marie Antoinette". Und der erste Auftritt der Tribute vor dem jubelnden Volk ist am ehesten vergleichbar mit dem Aufmarsch der Gladiatoren im alten Rom, wie wir ihn schon in dem einen oder anderen Antiken-Epos gesehen haben.

    Das Herzstück des Films bleiben aber trotz all dieser Bezüge die Hungerspiele. Und die erweisen sich nicht sofort als blutiges Spektakel, sondern zunächst als Sci-Fi-Variante von „Deutschland sucht den Superstar". Weil es für die Tribute von immenser Bedeutung ist, reiche Sponsoren zu finden, die den Teilnehmern während des Wettkampfs kleine Wohltaten - von einer Wundsalbe bis zur Schüssel warmer Suppe - zukommen lassen können, müssen sie wohl oder übel einen Beliebtheitswettbewerb inklusive schmerzhaftem Augenbrauenzupfen und verlogener Frage-Antwort-Runden mit dem schmierigen Moderator Caesar Flickerman (Stanley Tucci) über sich ergehen lassen. Hier springt Regisseur Gary Ross in fünf Minuten vom Körperkult in Nazi-Ästhetik zur futuristischen Medienschelte - eine mutige Verbindung, aber die Satire trifft ihr Ziel punktgenau.

    Sobald die Handlung dann in die Arena (in diesem Jahr ein Waldgebiet voller versteckter Kameras) verlagert wird, fühlt sich der Zuschauer von einem teuren Fantasy-Blockbuster auf einen Low-Budget-Survival-Actioner zurückgeworfen - und das ist durchaus positiv gemeint. Wenn die Jugendlichen sich in den ersten Nächten gegenseitig dezimieren, ist der leicht verwackelte Handkamera-Look überraschend naturalistisch. Während draußen die große, bunte Fantasy-Welt tobt, laufen hier im Wald eben einfach ein paar weitestgehend auf sich gestellte Kids herum und versuchen, sich gegenseitig den Garaus zu machen. Dabei hält die Kamera zwar in den blutigsten Szenen nicht länger drauf als unbedingt nötig, es wird aber auch nichts verharmlost. Ja, hier jagen sich Teenager tatsächlich gegenseitig Speere durch die Brust oder schneiden einander die Kehle durch. Dass diese Sequenzen so intensiv ausfallen, ist zum großen Teil auch Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence („X-Men: Erste Entscheidung") zu verdanken, die das fantastische Treiben immer wieder erdet: Die 2011 für ihre überragende Leistung in „Winter's Bone" oscarnominierte Nachwuchs-Aktrice wirkt stets wie ein starkes, aber bodenständiges junges Mädchen, egal welch absurde Züge das Fantasy-Universum um sie herum auch annimmt. Ihr Co-Star Josh Hutcherson („Die Reise zur geheimnisvollen Insel") kann da erwartungsgemäß nicht ganz mithalten.

    Je mehr der Tribute das Zeitliche segnen, desto seltener werden natürlich die Zusammenstöße der verbliebenen Überlebenden. Aber das Publikum vor den Bildschirmen in Panem will weiter unterhalten werden. Deshalb entwickeln sich die Hungerspiele zunehmend zu einer Art blutiger Variante der „Truman Show". Immer öfter greift der oberste Spielmeister Seneca Crane (Wes Bentley, der Plastiktüten-Filmer aus „American Beauty") von außen ein, indem er zum Beispiel Feuerbälle auf die Kandidaten schießt, um diese zueinander zu treiben. Diese Eingriffe machen den Wettbewerb zwar auf der einen Seite interessanter und visuell abwechslungsreicher, rauben ihm aber auch einen Teil seiner Spannung, weil die Maßnahmen des Spielleiters oft wie aus dem Hut gezaubert und etwas beliebig wirken. Hier wäre es fairer gegenüber dem Kinopublikum gewesen, wenn diese nahezu grenzenlos scheinenden technischen Eingriffsmöglichkeiten vor Beginn der Spiele zum Beispiel in einem Einspielfilmchen kurz erläutert worden wären.

    Die meiste Zeit über denkt man, dass ein Film über die Hungerspiele auch ohne den ganzen Fantasy-Überbau ähnlich gut hätte funktionieren können, aber dann spitzt sich die Kapitol-gegen-Distrikte-Handlung in der letzten Viertelstunde doch noch einmal zu und es wird klar, wofür die ganze Vorarbeit eigentlich geleistet wurde. Außerdem holt Donald Sutherland („Wenn die Gondeln Trauer tragen") aus seiner Handvoll Szenen so viel heraus, dass er sich als machthungriger, über die Maßen zynischer Herrscher perfekt als Bösewicht und Katniss-Widersacher für die kommenden Teile in Stellung bringt. Wir wollen an dieser Stelle natürlich nichts zum Fortgang der Handlung verraten. Aber so viel ist sicher: Wer glaubt, „Tödliche Spiele" sei fast zu düster und brutal für einen Jugendfilm, der wird sich bei den Fortsetzungen „Die Tribute von Panem 2 - Gefährliche Liebe" und „Die Tribute von Panem 3 - Flammender Zorn" noch ganz schön umgucken.

    Fazit: „Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele" unterhält prächtig. Aber am Ende bleibt trotzdem das Gefühl, dass hier vieles noch Vorarbeit für die beiden weiteren Teile der Fantasy-Trilogie ist, die definitiv das Zeug dazu haben, absolut großartig zu werden.

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