All diejenigen, für die sich ein guter Film (legitimerweise) auch oder vor allem durch seine spannende oder interessante oder überraschende oder originelle und schlüssige Handlung auszeichnet, dürfen an dieser Stelle das Lesen abbrechen und sich anderen Beschäftigungen zuwenden. Denn Michelangelo Antonionis Drama „Zabriskie Point“ ist europäisches Autorenkino par excellence, das sich narrativen Strukturen des Öfteren verweigert – der Erklärbär bleibt zu Hause.
Glücklicherweise nicht zu Hause geblieben ist Antonionis Kameramann Alfio Contini, der neben zahlreichen anderen Produktionen auch für den berühmten „Nachtportier“ verantwortlich zeichnet und mit „Zabriskie Point“ einen visuellen Augenschmaus im Cinemascope-Format auf die Leinwand gezaubert hat. Hier ist Film wirklich Film – das Medium bewegter Bilder, nicht das Medium des Geschichtenerzählens, das Bilder und Sprache benutzt, um sie zu erzählen, hier sind die Bilder nicht das Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck und Ausdruck. Wer immer die Gelegenheit hat, diesen Film in einem Kino zu sehen, sollte dies dringend der DVD vorziehen.
Erwartungsgemäß lässt sich der Plot eines Films, der nicht in Worten spricht, schnell skizzieren. Zwei junge Menschen (Mark Frechette, Daria Halprin) fliehen aus dem Amerika zur Zeit von Vietnamkrieg und Studentenrevolte in die Wüste, um einer korrupten Gesellschaft den Rücken zuzukehren und Anarchie und Freiheit zu entdecken. Finden tun sie dort vor allem auch einander, nur um kurze Zeit später wieder voneinander getrennt zu werden. Es ist hier nicht das übermächtige Schicksal, das die Trennung heraufbeschwört, sondern die Entscheidung, sich der Realität zu stellen und zu handeln. Ob diese Entscheidung jedoch wirklich frei war, oder nicht vielmehr erzwungen von einer übermächtigen (weil technisch und medial vernetzten) Gesellschaft, die ihre Fühler bis in die öden Wüsten auszustrecken vermag, bleibt zumindest fragwürdig. You can run, but you cannot hide.
Das Was und Wie der Bilder lässt sich im Gegensatz nur schwer in Worte fassen. Insbesondere die Gestaltung der Einstellungen im Raum und die oft extreme Spaltung in Links und Rechts in Verbindung mit dem Einsatz von Totalen und Weiten treiben das Auge in eine Form der optischen Reizüberflutung, die der eines Actionfilms diametral gegenübersteht. Nicht das schnelle Aufeinanderfolgen kürzester Sequenzen oder eine unruhige Kameraführung, sondern der schiere Überfluss von Informationen im einzelnen Bild, bieten dem (Kino-)Zuschauer eine Fläche, die den Blick zum Wandern zwingt. Und gerade, als man noch wieder ein bewegtes Detail auf der anderen Seite entdeckt, ist es auch schon wieder verschwunden.
Besonders brennt sich fast buchstäblich die minutenlange und perfekt geschnittene Liebesszene ins Gedächtnis, die inmitten der heißen, goldgelben Landschaft aus Felsen und Staub unterhalb des namengebenden Zabriskie Point, einem Aussichtspunkt im Death Valley Nationalpark, inszeniert ist. Körper und Natur, Haut und Staub verschlingen und verwischen einander und beschwören ein synästhetisches Empfinden herauf, das den Zuschauer den Sand auf der eigenen Haut fast spüren lässt.
Ob es die akrobatisch und kunstvoll geflogen und gefilmten Sequenzen in und um ein Flugzeug, eine hübsche junge Frau im Auto auf der Fahrt durch die Wüste, das pulsierende Los Angeles oder ein spärlich besuchter Diner einfacher und stadtferner Menschen am Rande der Straße ist – der Anblick für sich ist stets ein Genuss. Und dies nicht zuletzt, weil der Film (wie viele andere seiner Zeit) aus heutiger Perspektive zusätzlich als ein nostalgisch anmutendes Zeitzeugnis vergangener Mode und vergangenen Designs erscheint. Einzig in wenigen, langatmigen Szenen verkehrt sich die Freude am Sehen gelegentlich in eine Langeweile beim Immer-noch-sehen-müssen.
Doch hinter der phantastischen Optik verbirgt sich in „Zabriskie Point“ ein zutiefst politisch aufgeladener Film. Auch wenn die zusammenfassende Aussage „Fuck you, America“, die ursprünglich in der letzten Szene von einem Flugzeug an den Himmel gemalt werden sollte, dem Präsidenten der Produktionsfirma MGM wohl doch einen Deut zu deutlich war und so auf dem Schneidetisch geopfert wurde, muss man nicht unbedingt zwischen den Zeilen lesen können, um die zahllosen anti-amerikanischen Seitenhiebe zu registrieren. Vietnamkrieg, Polizeigewalt, Rassismus und Konsumterror werden weniger in spektakulären Szenen, denn durch eine dokumentarische Nüchternheit und eine geschickte Montage kritisiert. Endlose Reihen von Werbeplakaten und Industrieschildern, dekadente Großkonzernvorsitzende, zwei morallose Waffenhändler, die halbseidene Tipps zur Dehnung der Notwehrklausel zum Besten geben und hoffnungslos unangemessene Polizeigroßeinsätze, bei denen die Beamten so schnell zur Waffe greifen, dass nicht mehr von Selbstschutz die Rede sein kann, sind nur einige der zahlreichen Kommentare.
Diese gipfeln in einer Sprengung von Symbolen einer mit kalter Hand geführten Gesellschaft, deren ökonomisch-rationale Ideale in einen Defekt umgekippt sind: Antonioni zelebriert das Zerfetzen von Häusern, Büchern und anderen Gegenständen in minutenlanger Zeitlupe. Doch am Ende wissen wir nicht, ob der glutrote Schimmer auf dem Auto der davonfahrenden Protagonistin tatsächlich den brennenden Trümmern eines in die Tat umgesetzten „Fuck you, America“, oder vielleicht doch nur der untergehenden Wüstensonne zuzuordnen ist – und das ist auch völlig egal. Denn Kategorien wie Traum und Realität, die sich unserem nach Verständnis und Logik schmachtenden Sachverstand stellenweise aufdrängen, sind für „Zabriskie Point“ vermutlich überhaupt nicht maßgebend. Antonioni unterwandert das Prinzip der konsistenten Handlung zugunsten einer atemberaubenden Bewegtbilderwelt und gesellschaftskritischen Aussagen, die nicht fragen, „ob das denn jetzt überhaupt so passiert sein kann“, sondern spricht, ohne zu sprechen – großes Kino.