Es gibt Filme, die eignen sich kaum für ein Remake und sollten deshalb von der Recycling-Maschinerie Hollywoods unangetastet bleiben. Park Chan-wooks „Oldboy“ ist so ein Werk und seine ansehnliche Fangemeinde hat sich entsprechend wortgewaltig gegen eine US-Neuauflage des südkoreanischen Thriller-Meisterwerks gewehrt – vergeblich. Das zunächst vorgesehene Duo Steven Spielberg/Will Smith schmiss zwar von den Anfeindungen genervt das Handtuch, aber dafür machte sich Indie-Filmer Spike Lee mit Josh Brolin als Hauptdarsteller daran, das kultige Rache-Drama zu amerikanisieren. Gleichzeitig bleibt er in vielen wesentlichen Punkten sehr nah am koreanischen Vorbild, wodurch er den direkten Vergleich geradezu herausfordert. Dabei schneidet das Remake schon allein deshalb nicht besonders gut ab, weil für alle Kenner von Parks Werk der Überraschungsfaktor wegfällt, der das erstmalige Sehen des Originals zu einer unvergesslichen Erfahrung machte. Trotz einiger für Hollywood-Verhältnisse durchaus ungewohnter Gewaltspitzen erreicht das letztlich wenig eigenständige Remake zudem nie die brutale Intensität des Vorbilds. Lees gut gespielter neuer „Oldboy“ ist dennoch ein solider und durchaus spannender Thriller – insbesondere für jene Zuschauer, die weder den Film von 2003 gesehen noch die ursprüngliche Manga-Vorlage gelesen haben.
1993: Der Werbemanager Joe Doucett (Josh Brolin) ist ein versoffenes Arschloch, das seine Mitmenschen nach Strich und Faden ausnutzt. Der schwere Alkoholiker vernachlässigt Frau und Tochter und gräbt jeden Rock an, der es nicht bis drei auf die Bäume schafft. Als er eines Tages aus einem Vollrausch erwacht, befindet sich Doucett in einem von der Außenwelt abgeschirmten Hotelzimmer – ohne Ausgang. Wer ihn dort eingesperrt hat und täglich mit Essen und Trinken versorgt, weiß der Gefangene nicht. Ebenso unklar ist ihm, warum er auf so brutale Weise eingekerkert wurde, Kontakt zur Außenwelt besteht nur durch einen Fernseher. Aus dem TV muss er schließlich auch erfahren, dass seine Frau ermordet wurde und man ihm die Schuld in die Schuhe schiebt. Nach jahrelanger Isolation lässt Doucett vom (täglich gelieferten) Alkohol ab und beginnt ausdauernd zu trainieren – bis er schließlich nach insgesamt 20 Jahren Eingesperrtsein plötzlich in die Freiheit entlassen wird. Außer sich vor Wut sinnt er auf Aufklärung und Rache. Zunächst läuft er aber der engagierten Sozialarbeiterin Marie Sebastian (Elizabeth Olsen) über den Weg. Sie hat Mitleid mit dem gebrochenen Mann und hilft ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Doucett versucht derweil, seine Peiniger zu finden…
Regisseur Spike Lee („Malcolm X“, „Inside Man“) und sein Drehbuchautor Mark Protosevich („I Am Legend“) haben sich nach eigener Aussage mehr an der Manga-Vorlage von Garon Tsuchiya und Nobuaki Minegishi orientiert als am ersten Film und betonten im Vorfeld, dass es ihnen um eine Neuinterpretation des Stoffes gehe. Solche Äußerungen wirken allerdings wie ein Ablenkungsmanöver, wenn man bedenkt, dass Lee und Co. Parks wesentliche Veränderungen gegenüber dem Buch mit nur einer Ausnahme für ihren „Oldboy“ übernommen oder variiert haben. So hat sich abgesehen von eher nebensächlichen Details (die Dauer der Gefangenschaft erhöht sich von zehn Jahren im Manga über 15 Jahre bei Park hier schließlich auf 20 Jahre) und der wohl unvermeidlichen Verlegung der Handlung in die USA wenig Substanzielles geändert. Lee erkundet auf den Spuren Parks dunkle Leidenschaften und seelische Abgründe, dabei traut er sich allerdings nicht so weit vor wie sein koreanischer Kollege. So glauben die Remake-Macher, ihrem (US-)Publikum Erklärungen für das düster-nihilistische Geschehen an die Hand geben zu müssen: Der Protagonist bekommt also eine faktenreiche Vorgeschichte und ein psychologisches Profil. Dies fällt allerdings so negativ aus (er ist ein Säufer, ein Sexist, ein mieser Vater und Ehemann), dass der Betrachter kaum eine emotionale Bindung zur vermeintlichen Identifikationsfigur Joe Doucett aufbauen kann und diese zusätzliche Distanz erweist sich als kontraproduktiv.
Die angesprochene Psychologisierung verschiebt den erzählerischen Akzent trotz der großen Ähnlichkeiten an der Oberfläche deutlich. Wo das Original mit Kompromisslosigkeit beeindruckte und eine unglaubliche archaisch-mysteriöse Wucht entfaltete, agiert Spike Lee mit angezogener Handbremse - das zeigt sich auch bei der Gewaltdarstellung. Er setzt einige wohldosierte Exzesse, die nach amerikanischen Maßstäben recht rüde ausfallen, aber niemals die brutal-perfide Schockwirkung der südkoreanischen Version erreichen - trotz eingeschlagener Schädel, Folter und Verstümmelungen. Das liegt vor allem daran, dass die Hollywood-Gewalt des US-„Oldboys“ eher comichafte Züge trägt, während Park gnadenlos fies an die Nieren ging (Stichwort: Zähne herausreißen!). Lees Brutalitäten wirken allzu kalkuliert und nicht so sehr wie ein unvermeidlicher Bestandteil eines konsequent pessimistischen Welt- und Menschenbildes. Das liegt allerdings nicht an Josh Brolin („No Country For Old Men“), der sich voll reinhängt. In einer intensiven Tour de Force als von Selbstzweifeln angefressener, orientierungsloser Racheengel gibt er der so einseitig negativ angelegten Figur Joe Doucett doch noch Herz und Seele und verleiht dem Film etwas Tiefe. Sehr gut harmoniert Brolin zudem mit der hochtalentierten Nachwuchsaktrice Elizabeth Olsen („Martha Marcy May Marlene“), die es absolut plausibel wirken lässt, dass ihre Marie sich ausgerechnet auf den rätselhaften Doucett einlässt und die gerade in den freizügigen Sexszenen beachtlichen Mut beweist.
Die Auftritte von Sharlto Copley („District 9“) wiederum, der von Hollywood immer nur dann geholt wird, wenn einer Figur der Wahnsinn aus allen Poren quillen soll, sind hier deutlich gelungener als sein nerviges Gastspiel als platt-grunzender Berserker in „Elysium“. Der Südafrikaner strahlt etwas abseitig Mysteriöses aus, was zur erzählerischen Funktion der Figur passt, die sich als das entscheidende Teilchen in der Puzzlestruktur erweist. Allerdings ist das Rätselvergnügen, das eine der großen Stärken des Originals war, hier getrübt, denn auch Unwissende können den fiesen Twist schnell erahnen, weil die Inszenierung zu offensichtlich darauf hinsteuert – und auch das Warum wirkt im westlichen Kontext etwas deplatziert und als Motiv weniger überzeugend als bei Park Chan-wook. Ähnliches gilt auch für die theatralischen Kampfeinlagen: Joe Doucett martert sich wie einst Karategott Bruce Lee durch ganze Horden von Gegnern - was auf amerikanischem Boden im Jahr 2013 etwas befremdlich anmutet. Und wenn Original-Regisseur Park Chan-wook für das apokalyptische Finale selbstbewusst ins Mythische abdriftet, kann Lee gar nicht mehr mitgehen. Die mutig-radikale Überhöhung in die Sphären des Wahnsinns fehlt seinem vergleichsweise milden amerikanischen „Oldboy“-Aufguss genau wie der lakonische Ton und die brettharte Konsequenz.
Fazit: Spike Lee gelingt mit seinem Action-Drama „Oldboy“ ein gefälliges Remake, dem aber die unerbittliche Schlagkraft des südkoreanischen Originals abgeht.