Als Steven Soderbergh bei der Berlinale im Februar 2013 seinen Wettbewerbsbeitrag „Side Effects“ präsentierte, bekräftigte der erst 50-jährige Filmemacher seine frühere Ankündigung, dass der Psycho-Thriller sein letzter Kinofilm gewesen sei. Der Oscar-Preisträger (für „Traffic“), der sich sowohl im populären Star-Kino („Ocean’s Eleven“, „Magic Mike“), als auch bei allen Arten von Arthouse-Filmen („Che“, „Solaris“) und experimentellen Mini-Produktionen („The Girlfriend Experience“, „Schizopolis“) zu Hause fühlt, war zu frustriert von seinen Erfahrungen mit dem Hollywood-System: Trotz der im Vergleich lächerlich geringen Produktionskosten von fünf Millionen Dollar und obwohl er Stars wie Matt Damon und Michael Douglas im Gepäck hatte, war es dem renommierten Regisseur nicht gelungen, ein Studio zu finden, das sein Projekt „Liberace - Zuviel des Guten ist wundervoll“ realisieren und in die Kinos bringen wollte. Für die Entscheider in der vermeintlichen Traumfabrik sei das Biografie-Drama über den homosexuellen Pianisten und Entertainer Liberace „zu schwul“ gewesen. Erst bei dem für herausragendes Qualitätsfernsehen wie „The Wire“ und „Die Sopranos“ bekannten Bezahlsender HBO stieß Soderbergh auf Gegenliebe und so wurde aus „Liberace“ eben ein TV-Film. Die Verantwortlichen des Filmfestivals in Cannes störte dieses Label indes überhaupt nicht. Sie erkannten die Klasse und das Kino-Format des stylish-unterhaltsamen 70er-Jahre-Dramas und nahmen es völlig zu Recht in ihren Wettbewerb auf.
1977. Der junge Tierpfleger Scott Thorson (Matt Damon) ist bereit, die Welt zu erobern und sich seinen Traum zu erfüllen, Veterinär zu werden. Doch dann kommt alles anders: Als sein Freund Bob Black (Scott Bakula) ihn bei einem Las-Vegas-Trip mit dem berühmten Pianisten und Entertainer Liberace (Michael Douglas) bekannt macht, verfällt der Showbiz-Paradiesvogel dem jungen, knackigen Scott auf den ersten Blick. Aus Imagegründen hält Liberace jedoch geheim, dass er schwul ist - wer das behauptet, wird umgehend erfolgreich verklagt. Der steinreiche Entertainment-Multimillionär engagiert den geschmeichelten, bisexuellen Scott als persönlichen Assistenten. Schnell werden die beiden ein Liebespaar. Liberaces Exzentrik ist maßlos, was sich nicht nur in seinen protzigen Anwesen widerspiegelt. Er verordnet Scott gleich mehrere Gesichtsoperationen, sein Lustknabe soll ihm ähnlich sehen. Mehr und mehr fühlt sich der junge Mann ausgenutzt, er verfällt Alkohol und Drogen, was die Beziehung zu Liberace schwer belastet.
Das politische Klima in den USA ist derzeit an vielen Fronten stark aufgeheizt. Eines der viel und heftig diskutierten Reizthemen ist die Gleichstellung von Homosexuellen: Heirat, Adoption, steuerliche Gleichbehandlung – das sind Rechte, um die Schwule und Lesben hart kämpfen mussten und müssen, bei einem erheblichen Teil der amerikanischen Bevölkerung ernten sie damit auch heute noch Ablehnung und Unverständnis. Aber im Vergleich zu den 70er Jahren wurden zumindest einige Fortschritte gemacht. Um das Klima der Diskriminierung und Ausgrenzung zu verstehen, das in der Handlungszeit von „Liberace“ herrschte, muss man sich nur vor Augen führen, dass die Homosexualität erst 1973 aus dem Krankheitskatalog der American Psychiatric Association gestrichen wurde – vor diesem Hintergrund erscheint die Haltung Liberaces mehr als nachvollziehbar, sich zeitlebens nie zu seiner Homosexualität zu bekennen. Der begnadete Wunderpianist und spätere Entertainer ging zum Schutz von Ruf und Karriere ganz im Gegenteil mit Hilfe der besten Anwälte gegen entsprechende Gerüchte in der Presse vor. Dieser innere Zwiespalt und das Doppelleben, das er mit sich brachte, geben Soderberghs Film die dramatische Grundspannung und prägen die schwierige Beziehung der zwei Hauptfiguren ganz entscheidend.
Steven Soderbergh widmet sich in seinem Drama den fünf Jahren, in denen Liberace mit dem fast 40 Jahre jüngeren Scott Thorson zusammenlebte und stützt sich dabei auf dessen Biografie „Liberace“. Dabei werden aus dem Star und seinem heimlichen Liebhaber dramaturgisch gleichberechtigte Hauptfiguren, wer in ihrer Beziehung jedoch den dominanten Part innehat, wird bereits nach wenigen Szenen deutlich: Dieser Wladziu Valentino Liberace, genannt Lee, ist ein Exzentriker der obersten Preisklasse. Ein flamboyanter Charmeur, der sich selbst auf groteske Weise überhöht, was alle anderen ertragen und hinnehmen müssen: sein zahlreiches Hauspersonal, sein Management und nicht zuletzt sein Lover. Liberace bezahlte die Rechnungen und nahm sich das Recht heraus, alles zu bestimmen – bis zu seinem AIDS-Tod 1987, dem ein erbitterter Rechtsstreit mit Thorson vorausging. Michael Douglas, der mit Soderbergh bereits den gemeinsamen Welterfolg „Traffic“ feierte, dreht in der Rolle des egozentrischen Party-Matadors ganz groß auf. Unwahrscheinliche Frisuren, extravagante Outfits und pompöse Goldklunker an den Händen verleihen ihm eine spezielle Aura, die Douglas mit seinem eigenen Star-Appeal noch verstärkt. So wird aus Liberace eine überlebensgroße, dominante Persönlichkeit und entsprechend stellt auch Michael Douglas zunächst seinen Partner Matt Damon in den Schatten, der Scott Thorson am Anfang ganz zurückhaltend als „menschliches Accessoire“ anlegt.
„Liberace“ beginnt als rabenschwarze Camp-Komödie mit selbstironischen und satirischen Zügen. Soderbergh führt uns in das skurrile, super-kitschige Siegfried-und-Roy-auf-Ecstasy-Party-Universum des Liberace ein - eine vor Detailreichtum sprühende quietschbunt-geschmacklose 70er-Jahre-Bühne für ein hochgradig amüsantes Spektakel, das von Michael Douglas dominiert wird, aber in dem auch Nebendarsteller wie Dan Aykroyd („Ghostbusters“) als Liberaces umtriebiger Manager und Rob Lowe („Wayne’s World“) als absurd durchgelifteter Schönheitschirurg Glanzpunkte setzen können. Erst nachdem Liberaces Püppchen Thorson immer unzufriedener wird und schließlich sogar aufbegehrt, wechselt Soderbergh ganz langsam und ohne dass es zu einem Bruch kommt den Erzählton. Die amüsanten Momente werden weniger, bis sie schließlich komplett zugunsten des toughen Dramas verschwinden und da kann sich dann auch Matt Damon stärker profilieren, der den im Abwärtsstrudel taumelnden, enttäuschten Loverboy nuanciert trotzig porträtiert. Er driftet in den Drogenmissbrauch ab, ist permanent eifersüchtig auf den von anderen jungen Männern umschwärmten Liberace und versucht sich abzunabeln. Die Aussichtslosigkeit seines Bestrebens steht allerdings von vorneherein außer Zweifel, was Thorson eine besondere Tragik verleiht. Der spannungsreichen Intensität seiner Beziehung zu Liberace tut es dabei auch keinen Abbruch, dass den Stars in den Liebes- und Sexszenen nicht allzu viel Körpereinsatz abverlangt wird.
Fazit: Mit „Liberace - Zuviel des Guten ist wundervoll“ verabschiedet sich Regisseur Steven Soderbergh würdevoll von der großen Filmbühne. Seine scharfsinnig beobachtete Studie über Einsamkeit, Starruhm und gescheiterte Liebe ist eine gelungene Mischung aus hochamüsanter Komödie und tragischem Drama, in der das ausgezeichnete Starduo Michael Douglas und Matt Damon mit mutigen Auftritten der Homophobie Hollywoods entgegen tritt.