Mein Konto
    The Yellow Sea
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Yellow Sea
    Von Robert Cherkowski

    In den Händen begabter Macher ist der Gangsterfilm eines der politischen Genres schlechthin, in dem sich stets umissverständlich Zeitgeist, Ideologie und Lebensart seines Ursprungslandes spiegeln. Schon in den Krisenzeiten der 30er Jahre gab Derwisch James Cagney in Genre-Produktionen wie „Chicago - Engel mit schmutzigen Gesichtern" den manischen Harlekin, für den sich der American Dream auf den einfachen Nenner der turbokapitalistischen Selbstverwirklichung auf Kosten anderer herunter brechen ließ. An dieser Formel hat sich nicht viel geändert, auch wenn jede Zeit ihre eigenen Schwerpunkte hatte. So wurde in „Der Pate" zu Zeiten sozialer Umschwünge nicht ohne Ironie auf traditionelle Familienwerte verwiesen und eine väterliche Autoritätsfigur heraufbeschworen, die glaub- und vertrauenswürdiger schien als etwaige Vorbilder aus Politik und Gesellschaft. Egal ob in Brian De Palmas „Scarface" bitterste Kapitalismus-Kritik geübt wurde oder Scorsese mit „GoodFellas" eine der treffendsten Satiren auf ein verdorben-zynisches Spießbürgertum ablieferte: Der Gangsterfilm bleibt ein Wahrheit-kündender Narr unter den Genres. Und das Publikum verehrt seine Filmgangster, zumal sie ein aufregendes Leben auf der Überholspur führen und hinter ihrem gewalttätigen Gebaren in der Regel eine tragische Geschichte steht. Auch das koreanische Kino liebt seine Gangster und neigt dabei zur Idealisierung. Zwar müssen die Protagonisten oft blutige Tode sterben, doch bis es soweit ist, wird im mitreißenden Glamour der eiskalten Engel geschwelgt. Immer? Nicht ganz. Na Hong-jins „The Yellow Sea" beweist, dass es auch ganz anders geht und macht aus dem koreanischen Gangsterfilm eine existenzialistische Parabel über Entbehrung und Überlebenskampf im globalisierten Asien.

    Ku-Nam (Jung-woo Ha) ist ein Pechvogel wie er im Buche steht. Schon zu Beginn scheint es kaum weiter bergab gehen zu können. Nicht nur muss sich der Sohn koreanischer Auswanderer im Elendsbezirk der chinesischen Küstenregion Yangian als Taxifahrer durchschlagen – er steht obendrein bei örtlichen Kredithaien in der Kreide. Eigentlich möchte er es nur seiner Frau gleichtun, die sich schon nach Südkorea abgesetzt hat, doch alles geht schief und Ku-Nam rutscht immer tiefer in den Schuldensumpf ab. Als er frustriert und desillusioniert in eine Schlägerei gerät, wird der bärbeißige örtliche Pate Myung-Ga (Kim Yun-seok) auf ihn aufmerksam. Dieser ist bereit, ihm seine Schulden zu erlassen, wenn Ku-Nam mit einem Flüchtlingsboot nach Seoul schippert und dort einen Mann für ihn tötet. In Seoul angekommen umkreist er sein Ziel tagelang – als er jedoch zuschlagen will, finden sich plötzlich weitere Killer am Tatort ein. Ehe Ku-Nam sich versieht, steht er im Fadenkreuz von Polizei und Mafia. Eine Menschenjagd nimmt ihren Lauf...

    Bis es jedoch soweit ist und sich die Ereignisse überschlagen, lässt sich Regisseur Hong-jin Na viel Zeit. Fast eine Stunde der stolzen 156 Minuten nimmt die Exposition in Anspruch, während das gesamte Figurenkabinett trotzdem erst in der temporeichen zweiten Hälfte offenbart wird. Vielmehr nutzt er die Zeit, das elende Milieu zu porträtieren, in dem sein Verbrechensepos spielen wird. Wo viele moderne koreanische Produktionen auf gestylten Hochglanz setzen, sticht „The Yellow Sea" mit dreckig-ausgewaschenem Look hervor. Egal ob in den Gassen Yangians oder in der Unterwelt von Seoul: Na Hong-jin ist zu jedem Zeitpunkt der sozialen Froschperspektive verpflichtet. Auch nutzt er seinen langsamen Auftakt, um seine beiden Protagonisten ausgiebig zu etablieren. Schon mit seinem Debüt, dem Serienkiller-Thriller „The Chaser" bewies er ein ausgesprochen gutes Händchen für Schauspieler und die Inszenierung exzentrischer Antihelden und charismatischer Bösewichter. Dieses Talent beweist er hier ein weiteres Mal und besetzt die Rivalen aus „The Chaser" erneut – bloß diesmal in vertauschten Rollen.

    Wo Jung-Woo Ha im 2009er Thriller noch den Dirnenkiller im Blutrausch gab, brilliert er hier als Mörder wieder willen, der sich mit jedem Schritt tiefer und tiefer im Netz mafiöser Gewalt verfängt. Fiel ihm der erste Mord noch schwer, wird auch er sich von der Eskalation mitreißen lassen – eine Performance exzessiver Erschöpfung, die dem Film eine unmittelbar physische Note verleiht. Als Antagonist steht ihm mit Kim Yun-seok der Held von einst gegenüber, der hier einen Filmgangster zum Besten gibt, wie man ihn noch nicht gesehen hat. Sein Myung-Ga ist kein kriminelles Mastermind, kein eleganter Souverän, sondern ein völlig unglamouröser Working-Man unter Banditen. Stets in abgewetzten Parkas gekleidet, floddert er sich mit rustikalem Charme seinen Weg durch die gelackte Gangsterszene Seouls. In den ruppigen Ghettos Chinas mag er dank seiner Bauernschläue zum Boss aufgestiegen sein. Für die koreanischen Nadelstreifen-Gangster wird er stets ein Underdog bleiben – eine Rolle, die er nicht ohne Stolz einnimmt. Als er in Seoul aufschlägt und sich in den mafiösen Mahlstrom stürzt, dreht „The Yellow Sea" alle Zeiger auf zwölf und der Bodycount steigt in unerwartete Höhen.

    So lang und voller Respekt vor Tat und Opfer der erste Mord des Films aufgebaut wurde, so indifferent wirkt das brutale Sterben in der zweiten Filmhälfte. Na Hong-jin beschönigt nichts, er zeigt die Auslöschung des Lebens als schmutziges, anstrengendes Handwerk in die Ecke getriebener Menschen in panischen Ausnahmesituationen. Dabei fällt auf, dass mit einer Ausnahme nicht auf Schusswaffen zurückgegriffen wird, das schmutzige Handwerk wird hier mit Messern, Knüppeln und Äxten verrichtet. Die Gewalt in „The Yellow Sea" ist archaisch, schmerzhaft und zu keinem Zeitpunkt durch einen schnellen Schuss abgehakt. Die Körper aller Beteiligten werden dabei exzessiv in Mitleidenschaft gezogen. Und diese ungeheure Physis macht sich bemerkbar. „The Yellow Sea" ist ein Film, der erfahren und erlitten werden will.

    Bei allem Grau in Grau behält Hong-jin Na stets seinen Sinn für tiefschwarzen Humor. Perspektivische Spielereien und ein pointierter Schnitt verschieben die Sicht auf das wüste Treiben immer wieder und heben die skurrilen Spleens ihrer Helden und Schurken hervor. Als Bad-Guy Myung-Ga gerade kein passables Hieb- oder Stichwerkzeug parat hat, um sich einer Übermacht an Feinden zu erwehren, muss eine abgenagte Rinderkeule als Prügel herhalten. Das Lachen bleibt jedoch im Halse stecken, als kurz darauf Schädeldecken unter eben jener zersplittern und das Hirn in rauen Mengen die vergilbten Wände besudelt. Nein, ein Feel-Good-Movie ist „The Yellow Sea" keineswegs. Vielmehr ist hier ein Stück grandioses Gangsterkino mit einzigartig-origineller Bildsprache und emotionalem Punch gelungen. Mit seinem dreckigen Meisterwerk „The Yellow Sea" hat sich Na Hong-jin als einer der aufregendsten Regisseure nicht nur des südkoreanischen Kinos etabliert.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top