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    Lippels Traum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Lippels Traum
    Von Andreas Staben

    In Büchern wie Die unendliche Geschichte oder Tintenherz hat die Beschwörung des Zaubers des Lesens und Erzählens überaus populären Ausdruck gefunden. Die Macht der Phantasie lässt Realitätsgrenzen überschreiten und zuweilen ist sie sogar lebensrettend wie bei jenen Geschichten aus 1001 Nacht, mit denen die geschickte Erzählerin Scheherazade immer wieder den Aufschub ihrer Hinrichtung erreicht. Diese abenteuerlich-geheimnisvollen Märchen aus dem Morgenland nutzt der renommierte Kinderbuchautor Paul Maar in „Lippels Traum“ als Sprungbrett zwischen den verschiedenen Erfahrungswelten eines elfjährigen Jungen und verschränkt Erlesenes mit Erlebtem. Für Lars Büchels Kinderfilm schrieb der Schriftsteller nun wieder einmal selbst das Drehbuch, das ändert aber nichts daran, dass „Lippels Traum“ im Kino trotz aufwändiger Bebilderung genau jene Magie abgeht, die sein eigentliches Thema ist.

    Philipp (Karl Alexander Seidel, Operation Walküre), der von allen nur Lippel genannt wird, versteht sich blendend mit seinem alleinerziehenden Vater, dem Koch Otto Mattenheim (Moritz Bleibtreu, Der Baader Meinhof Komplex, Das Experiment). Als dieser für eine Woche beruflich nach New York muss, fällt die Trennung dem Jungen äußerst schwer. Zu allem Überfluss erweist sich die neue Haushälterin Frau Jakob (Anke Engelke, Der Wixxer) als rechter Drachen, der Lippel mit allerlei Regeln und den ungeliebten Tomaten schikaniert. Zum Glück hat der Vater ein spannendes Geschenk hinterlassen, ein dickes Buch mit Geschichten aus 1001 Nacht. Die Lektüre befeuert Lippels Träume und der Junge findet sich in einer morgenländischen Märchenwelt voller Gefahren wieder, in der er seinem Vater, der bösen Frau Jakob, dem Konrektor Färber (Uwe Ochsenknecht, Männer, Die Bluthochzeit) sowie seinen neuen Mitschülern Amide (Amrita Chemah) und Arslan (Steve-Marvin Dwumah) in anderen Rollen wiederbegegnet. Wird er die Intrigen am Königshof vereiteln können und kann er Frau Jakob wieder loswerden?

    Für die zweite Verfilmung des 1984 entstandenen Buchs (mit der 1991er Version von Karl-Heinz Käfer war der Autor unzufrieden) tat sich Paul Maar erneut mit dem Produzenten Ulrich Limmer (Schtonk!, Der Räuber Hotzenplotz) zusammen. Das Duo hatte mit „Das Sams“, Sams in Gefahr und Herr Bello bereits drei von Maars Büchern erfolgreich auf die Leinwand gebracht. Nachdem das Team bisher durch Ben Verbong (Es ist ein Elch entsprungen, Ob ihr wollt oder nicht) als Regisseur ergänzt wurde, der viel Sinn für die schrulligen Eigenarten und die besondere Behäbigkeit der Geschichten zeigte, wurde die Inszenierung diesmal Lars Büchel (Erbsen auf halb 6, „Jetzt oder nie – Zeit ist Geld“) anvertraut. Der geht mit etwas forscherem Zugriff an die Sache heran, was leider auf Kosten der Einfühlung geht. Vor allem der Wechsel zwischen den Erzählebenen wird zumeist etwas mechanisch durch Äußerlichkeiten motiviert, die komplexe Gefühlswelt des Elfjährigen wird leider nicht konsequent thematisiert.

    Die in der Geschichte angelegte Reflexion über die Bewältigung kindlicher Ängste durch Träume und Phantasien muss alleine schon wegen der unterschiedslos auf Effekt und Spannung inszenierten Realitätsebenen an der Oberfläche stecken bleiben. So ist Frau Jakob auch in der Haushälterinnen-Wirklichkeit die Verkörperung des Hinterhältig-Bösen, eine wahre Hexe also. Büchel unterstreicht dies mit der Wahl entsprechender Kameraperspektiven und Beleuchtung. Dabei ist eine strenge Aufpasserin, die den Kakao mit Haut serviert auch ohne diese Mätzchen (die durch Anke Engelkes bemüht-sardonische Darstellung noch einmal verstärkt werden) ein völlig nachvollziehbares Schrecknis aller Kinder. Aber Frau Jakob legt Märchen-Grausamkeit an den Tag und verdient sich eine entsprechend fiese Rache der Kinder. Der Jubel der kleinen Zuschauer soll mit fragwürdigen Mitteln erkauft werden, die hier präsentierte Unversöhnlichkeit des Umgangs ist aber ganz sicher kein gutes Beispiel.

    Der vermeintliche Traum infiziert die vermeintliche Wirklichkeit in einem solchen Maße, dass die Unterscheidung fast überflüssig wird. Das ständig verregnete Passau wirkt ebenso dramatisch überhöht wie die Wüste und die Paläste des Orients (die in Bayern entstandenen Aufnahmen sind dabei sogar meist stimmungsvoller als die Bilder aus Marokko). Durch die unzureichende Verankerung in der kindlichen Wirklichkeit wird letztlich auch die Wirkung der phantasievollen Elemente gemindert. Und wenn sich am Ende ein Herzenswunsch erfüllt und die romantische Verbindung des Vaters mit der netten Serafina (Christiane Paul, Die Welle, „Im Juli“) angebahnt wird, dann ist das leider nur der zwangsläufige Schlusspunkt einer einfallslosen Dramaturgie und nicht der Triumph der kindlichen Vorstellungskraft.

    Trotz der grundsätzlichen Einwände ist „Lippels Traum“ ein meist kurzweiliger und durchaus abwechslungsreicher Film. Die sympathischen Kinderdarsteller und die einfühlsam agierenden Moritz Bleibtreu und Christiane Paul sorgen für Bodenhaftung, skurrile Gastauftritte von Edgar Selge (Reine Geschmackssache), Eva Mattes (Woyzeck, Schattenwelt) und Uwe Ochsenknecht als Lehrer-Originale für komische Höhepunkte. Doch die unendlichen Wunder der Phantasie offenbaren sich hier nicht: Mit dieser Erzählung hätte Scheherazade wohl kaum ihr Leben retten können.

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