1993 mauserte sich der Debütroman des ehemaligen Wirtschaftsprofessors Robert James Waller zu einem phänomenalen Überraschungserfolg. Seine Liebesgeschichte zwischen einem einzelgängerischen Fotografen und einer verheirateten Hausfrau und Mutter im Iowa der 1960er Jahre verkaufte sich über 10 Millionen Mal und wurde zum Jahresbestseller Nr. 1. Das von der Kritik nicht gerade freundlich aufgenommene Buch traf unzweifelhaft einen Nerv und sorgte vor allem bei den Leserinnen für erhöhten Taschentuchverbrauch. Selbstverständlich wurde „Die Brücken am Flus" damit auch für eine Verfilmung interessant. Ein erster Drehbuchentwurf ließ nicht lange auf sich warten, der Routinier Bruce Beresford („Miss Daisy und ihr Chauffeur") sollte Regie führen und für die weibliche Hauptrolle war Isabella Rossellini („Blue Velvet") im Gespräch. Nach dem fast schon üblichen Hin und Her wurde der Film schließlich 1995 von und mit Clint Eastwood realisiert – an seiner Seite Meryl Streep. Und so wurde am Ende aus der recht trivialen Vorlage, die die Grenze zum Romantikkitsch mehrmals überschreitet, einer der schönsten Liebesfilme der Neunziger.
Die Geschwister Carolyn (Annie Corley) und Michael Johnson (Victor Slezak) sind aus traurigem Anlass noch einmal in das elterliche Farmhaus in Iowa zurückgekehrt: Ihre Mutter Francesca ist verstorben und die Kinder müssen sich nun um Nachlass und Bestattung kümmern. In den Hinterlassenschaften finden sie einen Brief, der sie zu einem Tagebuch führt. Überrascht und zunächst bestürzt beginnen Carolyn und Michael die Lektüre, denn die Mutter schildert eine außereheliche Affäre, die sie 1965 hatte: Ehemann Richard (Jim Haynie) fährt mit den Kindern für vier Tage zu einer Landwirtschaftsmesse und Gattin Francesca (Meryl Streep) bleibt zurück, um Haus und Hof zu hüten. Als ein grüner Pick-Up vorfährt und der Fotograf Robert Kincaid (Clint Eastwood) nach dem Weg zu einer der überdachten Brücken im Madison County fragt, begleitet die Hausfrau den Fremden zu seinem Ziel. Sie flirten schüchtern miteinander und sie lädt ihn zum Abendessen ein. Unmerklich kommen sich die beiden immer näher. Es folgen vier Tage voller widerstreitender Gefühle und schließlich muss Francesca eine schwere Entscheidung treffen.
This kind of certainty comes but once in a lifetime.
Die einmalige, die alles überstrahlende und lebensverändernde große Liebe – sie steht im Mittelpunkt von Robert James Wallers Roman, er befeuert mit einer archetypischen Konstellation einschlägige Glücksphantasien, die in ihrer Überhöhung stets unwirklich bleiben, aber auch etwas Verführerisches und Faszinierendes besitzen. Mit seinem bemüht poetischen Stil und seinen gestelzten Dialogen kommt Waller formal jedoch kaum über Groschenromanniveau hinaus. Clint Eastwood und seinem Drehbuchautoren Richard LaGravenese („Der Pferdeflüsterer", „P.S. Ich liebe dich") - ein Spezialist für die Aufwertung von trivialen Vorlagen in solide Skripte - ist es gelungen, den Stoff zu einem Kunstwerk zu veredeln und zugleich den emotionalen Kern des Liebestraums zu erhalten. Sie verzichteten auf die schlimmsten sprachlichen Ausrutscher Wallers, aber vor allem haben sie mit der Rahmenhandlung in der filmischen Gegenwart eine entscheidende strukturelle Veränderung gegenüber der chronologisch erzählten Vorlage vorgenommen. Das ohnehin unausweichliche Ende ist so von vornherein klar, die Leitmotive von Verzicht und Verantwortung erhalten eine klarere Kontur und die Perspektive wird zu Francesca verschoben.
The old dreams were good dreams; they didn't work out, but I'm glad I had them.
Der Gegensatz zwischen Pflichtgefühl und Wunscherfüllung, (gesellschaftlichem) Zwang und (persönlicher) Freiheit ist in Eastwoods Film kein melodramatisch reines Entweder-Oder. Für wenige Tage mögen die Liebenden der Welt abhanden gekommen sein, aber die Intensität und Einmaligkeit der Gefühle ist letztlich auch an das Bewusstsein ihrer zeitlichen und räumlichen Begrenzung gebunden. Das erkennt Francesca am Ende ganz klar und Eastwood zeigt dies mit Einstellungen auf Uhren immer wieder nebenbei an. So ist es eine der gemeinsten Szenen, wenn eine Freundin und Nachbarin die so limitierte gemeinsame Zeit der Liebenden unwissentlich weiter beschneidet. Der heimliche Hausgast muss ins obere Stockwerk flüchten und die verheerend Verliebte Normalität vorgaukeln. Diese große Liebe ist eben auch Ehebruch und das Herzzerreißende an diesem Dilemma ist, dass es keinen Ausweg ins dauerhafte Glück gibt. Dabei spielt es keine unwesentliche Rolle, dass Richard durchaus ein guter Ehemann ist, der seine Frau über alles liebt. So gehört nicht nur der Abschied zwischen Francesca und Robert, sondern auch der des Ehepaars voneinander zu den emotionalsten Momenten dieses gerade durch diese Klarsicht berührenden Films. Da fällt auch das ungelenke Porträt des verbohrten Sohnes in der Gegenwartsebene nicht weiter ins Gewicht, auch wenn es leise daran erinnert, dass Eastwood bei der Darstellung von Eltern-Kind-Beziehungen nicht immer den richtigen Ton trifft – wie später auch in „Million Dollar Baby" und in „Gran Torino".
In „Die Brücken am Fluss" kommen all die Tugenden zum Tragen, die Eastwood, der zuvor mit „Erbarmungslos" und „Perfect World" den endgültigen künstlerischen Durchbruch geschafft hatte, das Prädikat eines klassischen Filmemachers eingebracht haben. Ohne überflüssigen Schnickschnack, aber mit Ruhe und Genauigkeit entfaltet er das Drama der Beziehung, dabei darf sein Stil keineswegs als rein realistisch missverstanden werden. Subtile Kamerabewegungen und Musikeinsätze verstärken emotionale Höhepunkte, der erste Kuss zwischen Francesca und Robert erhält durch eine Reihe von Überblendungen zusätzliche Intensität und selbst die Farbauswahl für die Autos scheint einer Dramaturgie zu folgen: Roberts Grün gegen Richards Rot. Im übrigen konzentriert sich Eastwood ganz auf seine Protagonisten, auch die Details werden für die Charakterisierung wichtig. So hilft Robert nicht nur beim Abwasch, sondern ist auch im Gegensatz zu Mann und Kindern rücksichtsvoll genug, nicht die Tür zuzuknallen. Und als sich bei der langen Einstellung vom letzten gemeinsamen Abendessen des Paars eine Fliege ins Bild schleicht, stört das den Regisseur Eastwood nicht weiter, denn ihm ist nur der erreichte Ausdruck wichtig.
„It's not human not to be lonely, it's not human not to be afraid"
Diese Worte schleudert Francesca dem Streuner und Weltenbürger Robert entgegen, als der Druck der Umstände die Euphorie der erwachten Liebe langsam zu untergraben beginnt. Es wirkt fast, als würde sie Eastwoods typische Filmfiguren - diese ganzen Männer ohne Namen und ohne Vergangenheit - allesamt unter Anklage stellen und als Trugbild entlarven wollen. Tatsächlich hat auch dieser Robert Kincaid vieles von einer Fantasiefigur. Auf diesen Traummann werden diesmal besonders die weiblichen Sehnsüchte gerichtet, wenn Francesca ihm beim Waschen zusieht oder sie bei seinen Afrika-Erzählungen dahinschmilzt. Aber dieser scheinbar so perfekte Mann – verständnisvoll und viril, zärtlich und zupackend – ist im Gegensatz zu Dirty Harry und Konsorten nicht nur ein Außenseiter, sondern ein zutiefst verletzlicher Verlorener. Eastwood spielt das absolut uneitel, wenn er durchnässt vom strömenden Regen einen letzten Blick auf Francesca wirft, zeigt er einmal mehr sein oft unterschätztes schauspielerisches Talent.
Während Eastwood so gut wie nie eine darstellerische Technik anzusehen ist, Rolle und Darsteller völlig mühelos in eins zu fallen scheinen, ist Meryl Streep eine zurecht für ihre Wandlungsfähigkeit berühmte Schauspielerin. Kurz gesagt: Eastwood bleibt immer Eastwood und Streep ist nie dieselbe. Das bewahrheitet sich auch hier: Die zweifache Oscarpreisträgerin hat sich von einer alten Bekanntschaft einen italienischen Akzent abgeguckt, ein paar Kilo zugelegt und legt in jeden Blick und in jede Geste eine eigene Bedeutung. Dabei trifft sie wie eine Musikvirtuosin jeden Ton und jede Ausdrucksnuance perfekt, selbst eigene Meisterleistungen wie „Jenseits von Afrika" stellt sie in den Schatten. So werden Francesca und Robert zu einem Traumpaar der Gegensätze und des Einverständnisses in einem Klassiker des Gefühlskinos.