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    Megalopolis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Megalopolis

    Eines ist sicher: So einen Film habt ihr garantiert noch nie gesehen!

    Von Christoph Petersen

    In den Tagen vor der Cannes-Ausgabe 2024 gab es die Ankündigung, dass das Festival bestreikt werden soll. Als dann ausgerechnet nach der Hälfte von „Megalopolis“, dem wohl meist erwarteten Film des Wettbewerbs, ein Mann mit Standmikrofon auf die Bühne vor der Leinwand trat, erwartete deshalb ein nicht kleiner Teil der Anwesenden im Saal, dass jetzt der Protest losgeht. Aber Pustekuchen. Der Mann war ein Statist, der einen Journalisten bei einer Pressekonferenz des visionären Architekten Caesar Catalina (Adam Driver) spielt. Der Film dort oben, die Live-Performance hier unten – und nach einer knappen Minute war der Spuk auch schon wieder vorbei. Aber das heißt nicht, dass „Megalopolis“ nicht auch abseits dieses überraschenden Stunts alle erdenkbaren Rahmen sprengen würde.

    Francis Ford Coppola hatte die Idee zu seinem Science-Fiction-Epos, das den Niedergang des Alten Rom in einem New York der Zukunft neu verhandelt, bereits Anfang der 1980er Jahre – also gar nicht lange nach seinen bahnbrechenden Meisterwerken „Der Pate“, „Der Pate 2“ und „Apocalypse Now“. Aber das Projekt kam trotz dieser Hits im Rücken nicht zustande. Stattdessen musste Coppola in den Neunzigern nach mehreren Flops (u.a. „One From The Heart“) Auftragsarbeiten wie „Jack“ oder „Der Regenmacher“ annehmen und schließlich sogar einen Teil seines wertvollen Weingutes verkaufen, nur um das Budget von 120 Millionen Dollar selbst vorschießen zu können. Das Ergebnis ist ein Film, der mehr als 40 Jahre lang im Kopf seines genialen Schöpfers gor – und vermutlich dauert es für das Publikum nun ähnlich lange, all das zu verdauen.

    Constantin Film Verleih
    Caesar Catalina (Adam Driver) will, dass die Welt endlich anfängt, sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen.

    Caesar Catalina, der Erfinder des unzerstörbaren neuen Werkstoffs Megalon, plant nicht weniger als die ultimative Stadt der Zukunft. Als Chef der Design Authority liegt es in seiner Macht, ganze Häuserblöcke in New York (bzw. City of New Rome) ohne große Vorwarnung abzureißen, wenn sie nicht in seine Vorstellungen passen. Sein Gegenspieler ist der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), der weiterhin auf Stahl und Beton setzen will und früher einmal als Oberstaatsanwalt gegen Caesar wegen Mordes an seiner eigenen Frau ermittelt hat.

    Der Architekt hat eine heimliche Affäre mit der Nachrichtenmoderatorin Wow Platinum (Aubrey Plaza), die allerdings bald den steinreichen und steinalten Bank-Krösus Hamilton Crassus III (Jon Voight) heiraten soll. Dessen rachsüchtiger Sohn Clodio Pulcher (Shia LaBeouf) wiederum plant eine Karriere als Politiker, bei der ihm die omnipräsenten Stadtentwicklungspläne allerdings nur im Wege stehen. Und Caesar erkennt, dass ausgerechnet die Tochter des Bürgermeisters, Julia Cicero (Nathalie Emmanuel), die Frau seiner Träume ist…

    Geschichte, Philosophie, LSD

    Zwei Tage vor der Weltpremiere von „Megalopolis“ erschien ein Artikel in der britischen Zeitung The Guardian, in dem Crewmitglieder davon berichten, wie sie sich am Set die Frage gestellt haben, ob „dieser Typ überhaupt schon mal einen Film gedreht hat.“ Das ist gegenüber einem Regisseur wie Francis Ford Coppola nicht nur ungemein respektlos – man muss sich auch vielmehr die Frage stellen, ob nicht einfach die Crewmitglieder noch nie zuvor an einem derart visionsgetriebenen Projekt mitgearbeitet haben. Oder anders: Wenn am Set alles einfach nur glattläuft, dann kommt am Ende mit Sicherheit kein „Apocalypse Now“ dabei heraus!

    Wobei der Vergleich mit dem Vietnamkriegs-Meisterwerk trotzdem hinkt, „Megalopolis“ ist nämlich noch mal um ein Vielfaches eigenwilliger und widerborstiger. In der ersten Hälfte versteht man nur sehr lose, worum es überhaupt geht – und auch wenn der Plot in der zweiten Hälfte etwas anzieht, stehen weiterhin die abgefahrenen Einzelmomente im Vordergrund. Mitunter fühlt sich das pausenlose, oft betont abstrakte Ideenfeuerwerk an, als würde man Stanley Kubricks bahnbrechenden „2001: Odyssee im Weltraum“ und die misslungene Leslie-Nielsen-Parodie „2002 – Durchgeknallt im All“ im selben Moment schauen. Oder wie ein besonders ambitioniertes Regietheaterstück, bei dem zuvor alle Zuschauer*innen gemeinsam verabredet haben, pünktlich mit dem Öffnen des Vorhangs einen LSD-Trip einzuschmeißen.

    Was zum Teufel passiert da gerade?

    Die namhaften Schauspieler*innen chargieren innerhalb einzelner Szenen zwischen Shakespeare und Schultheater, die Qualität der Spezialeffekte schwankt ebenfalls auffällig und der Ton wechselt von anspruchsvollen philosophischen Abhandlungen (in einer Szene sogar auf Lateinisch!) zu plattem Pennälerhumor. Wobei wir niemals auf den Auftritt von Jon Voight („Heat“) als römischer Robin Hood mit Riesen-Latte, der seinem rebellierenden Sohn gleich zwei Pfeile in den Allerwertesten schießt, verzichten wollen würden. Sowieso scheint Shia LaBeouf („Herz aus Stahl“) noch am ehesten mit seinem Regisseur auf einer Wellenlänge zu liegen – nennen wir es mal „künstlerisch kompromisslosen Pulp“, der in einer absolut wahnwitzigen Sexszene mit Aubrey Plaza seinen Höhepunkt findet.

    Wobei die romantische Version auch nicht von schlechten Eltern ist, da spielen Caesar und Julia vor dem Beischlaf nämlich erst mal eine Runde „Backe, backe Kuchen“. Man könnte jetzt noch zahllose weitere WTF-Momente aufzählen, zumal Coppola in den 138 Minuten auch mehr verschiedene Stilmittel und Verfremdungseffekte einsetzt als die allermeisten Regisseur*innen in ihrer kompletten Karriere. Vermutlich ist „Megalopolis“ sogar der experimentellste Film seiner Preisklasse, der jemals gedreht wurde – und da liegen langweiliger, prätentiöser Egotrip und visionäre Kulmination eines ohnehin überragenden filmischen Schaffens plötzlich ganz dicht beieinander. Wie ihr auf den Film reagieren werdet, können wir euch deshalb leider nicht vorhersagen – dafür ist er schlicht zu einzigartig.

    Fazit: Visionärer kann ein Film kaum sein – allerdings dürfte diese Vision bei einem beträchtlichen Teil des Publikums vor allem für Frustration sorgen. Wäre „Megalopolis“ wie ursprünglich geplant tatsächlich Anfang der 1980er entstanden, dann hätte er heutzutage sicherlich den Ruf als einer der legendärsten Flops der Kinogeschichte – sowie als unangefochtener Kultfilm! Und im Jahr 2024 wird die Sache wohl nicht großartig anders ausgehen.

    Wir haben „Megalopolis“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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