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    96 Hours
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    96 Hours
    Von Carsten Baumgardt

    Welcher Actionfan hat nicht manchmal die Nase voll von gelackten Hollywood-Produktionen, die ihre Integrität für eine Jugendfreigabe zu Markte tragen? Nun gibt es ein einfaches Gegengift: Pierre Morels schnörkellosen, bis an die Schmerzgrenze konsequenten Rache-Thriller „96 Hours“. Der von Frankreichs Kinotausendsassa Luc Besson produzierte Action-Reißer pfeift in Orkanstärke auf politische Korrektheit und lässt seinen Hauptdarsteller Liam Neeson als von der Leine gelassenen Berserker über die Leinwand wüten. Nicht einmal die hanebüchene Story kann dieses rotzige B-Movie-Massaker stoppen.

    Der frühere CIA-Topagent Bryan Mills (Liam Neeson) will in Los Angeles zur Ruhe kommen. Sein Job hat ihn die Ehe mit Leonore (Famke Janssen) gekostet. Bryans einziger Sonnenschein ist seine 17-jährige Tochter Kim (Maggie Grace), für die er ab sofort ein sorgender Vater sein möchte. Doch seine Ex-Frau traut ihm diese Verantwortung nicht zu und macht ihm das Leben schwer. Aber Bryan bleibt hartnäckig. Er versucht, seine Tochter, die dank ihres reichen Stiefvaters (Xander Berkeley) in einer Welt voller Luxus lebt, zu beschützen. Als Kim mit ihrer Freundin Amanda (Katie Cassidy) eine Europareise antreten will, stimmt Bryan nur widerwillig zu. Kaum in Paris angekommen, werden die beiden Teenager von Mitgliedern eines osteuropäischen Mädchenhändlerrings gekidnappt. Sie sollen als Prostituierte abgerichtet und verkauft werden. Bryan sieht rot und düst umgehend nach Frankreich, um die Sache in Ordnung zu bringen. Dazu bleiben ihm 96 Stunden. Danach besteht erfahrungsgemäß kaum noch eine Chance, Kim lebend wiederzusehen. Auf der Suche macht er keine Gefangenen und hinterlässt eine Spur der Verwüstung…

    „I don't know who you are. I don't know what you want. If you are looking for ransom, I can tell you I don't have money. But what I do have are a very particular set of skills; skills I have acquired over a very long career. Skills that make me a nightmare for people like you. If you let my daughter go now, that'll be the end of it. I will not look for you, I will not pursue you. But if you don't, I will look for you, I will find you, and I will kill you.” - Bryan Mills Warnung an die Entführer seiner Tochter

    Obiges Zitat bringt „96 Hours” einfach und präzise auf den Punkt. Außerdem beschert es dem Rachefilm-Genre einen der elektrisierendsten Momente seitdem Mel Gibson in Ron Howards Kopfgeld die Entführer seines Sohnes via Fernsehen offen bedrohte. Diese klare Ansprache an den Boss der brutalen Schlepperbande drückt alles aus, wofür „96 Hours“ steht. Und Liam Neeson (Schindlers Liste, Kinsey, Darkman) ist dabei so überzeugend, dass der Zuschauer nie auch nur den leisesten Zweifel hegt, dass das Ignorieren dieser Drohung der böseste Fehler in der Geschichte von Teenager-Entführungen sein würde.

    „I'll tear down the Eiffel Tower if I have to!”

    Die knapp halbstündige Exposition führt Neeson als eifrig bemühten, aber bisher auf ganzer Linie versagenden Loser-Dad ein. Doch eines ist gewiss: Für seine süße Tochter würde er über Leichen gehen. Und mit seiner Ankunft in Frankreich beginnt der Film in rastlosem Tempo so wild um sich zu beißen, wie es seit langem nicht mehr in dieser Radikalität und Unerbittlichkeit auf der großen Leinwand zu sehen war. Aus dem lieben, überfürsorglichen Daddy Bryan wird eine eiskalte, rasende Furie, die alles, was sich ihr in den Weg stellt, ultrabrutal und kaltherzig umnietet. Regisseur Pierre Morel (Ghetto Gangz, From Paris With Love) inszeniert Neeson wie ein menschgewordenes Erdbeben, das über Paris hereinbricht. Dutzende von Leichen pflastern seinen Weg. Wer dem auch nicht mehr ganz taufrischen Charakterdarsteller Liam Neeson (Jahrgang 1952) diesen einstündigen Amoklauf nicht zutraut, irrt sich gewaltig. Als hätte er nie etwas anderes gespielt, trumpft der Nordire auf, als gäb‘s kein Morgen mehr. Aber schon in Christopher Nolans furiosem Batman Begins zeigte Neeson, dass er sich durchaus auf dem Actionparkett zu behaupten versteht.

    Bei Licht betrachtet ist „96 Hours“ zwar nur ein weiteres Revenge-B-Movie, das sich stilistisch an den Siebziger- und vor allem Achtzigerjahren orientiert, aber seit langem hat kein Filmemacher mehr derart gradlinig ein Leinwand-Inferno entfacht. Wo sich zuletzt Bryans Brüder im Geiste (etwa Jason Bourne in Das Bourne Ultimatum oder James Bond in Ein Quantum Trost) effektvoll in fulminante, atemberaubende Kämpfe stürzten, kommt es in „96 Hours“ nicht einmal zu richtigen Prügeleien. Innerhalb von Augenblicken streckt der humorlose Racheengel seine Gegner nieder und schert sich einen Dreck um etwaige Moral. Wenn es sein muss, wird gefoltert wie zu besten CIA-Zeiten. Oder mal eben die Frau eines vermeintlichen Freundes angeschossen, um den eigenen Absichten Nachdruck zu verleihen. Dieser Bryan Mills ist eine Ein-Mann-Armee und die Suche nach seiner Tochter sein Krieg. „96 Hours“ ist eine furiose One-Man-Show - nämlich die des Liam Neeson. Der Rest des Casts füllt lediglich den Raum um ihn herum aus. „Lost“-Star Maggie Grace (The Fog, Der Jane Austen Club) ist für die Rolle eines 17-jährigen Teenagers eigentlich zu alt, aber die sexy Aktrice erfüllt dennoch wacker ihre Aufgabe, Beschützerinstinkte zu wecken.

    Regisseur Morel inszeniert sein Rache-Massaker so grimmig wie irgend denkbar. Wirklich ernst genommen werden will er aber nicht. Die Story aus der Feder von Luc Besson (Das fünfte Element, Leon – Der Profi) und Robert Mark Kamen (The Transporter 1-3, Kiss Of The Dragon) weidet sich genüsslich an Klischees und überzogenen Annahmen, was durchaus ironische Qualitäten beweist: Los Angeles steht plötzlich für die Heile Welt, während das kultivierte Paris im krassen Gegensatz dazu zum Sündenpfuhl degradiert wird. Dies ist ein schelmischer Tritt in den Allerwertesten, den Besson und Co. sich gegenüber der amerikanischen Filmindustrie nicht verkneifen konnten. In diesem Klima, in dem auch die Osteuropäer nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, spielt Logik eine untergeordnete Rolle. Warum der Pariser Polizei vertrauen, wenn ich die tumben Schergen auch selbst aus dem Weg räumen kann? Immerhin stört sich in der französischen Metropole kaum jemand daran, dass Rächer Bryan Leichenberge wie in einem Videospiel produziert.

    Fazit: „96 Hours“ ist ein beispielhaft gnadenloser und kompromissloser Action-Thriller. Regisseur Pierre Morel begeistert mit einem simpel-sinnfreien, brettharten Albtraum-Inferno. Dank eines hervorragenden Hauptdarstellers, kernig-rasanter Action und eines lustigen Trash-Appeals, der immer mitschwingt, hat der Film das Zeug zum Kulthit.

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