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    Live!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    0,5
    katastrophal
    Live!
    Von Andreas R. Becker

    Menschen sind dumm und wollen nichts weiter als Sex, Mord und Totschlag. Einiges an dieser Formel ist sicher nicht erst seit den Erkenntnissen Sigmund Freuds nicht von der Hand zu weisen. Wenn es um die Gestaltung von Fernsehprogrammen geht, wird sie aber wie ein ungeschriebenes und absolutes Gesetz behandelt. Zumindest, wenn man den vielen, unreflektierten Mediensatiren glauben darf, die seit Jahren (Jahrzehnten?) dieselbe Platte spielen. Ein neuer Film auf diesem Misthaufen hirnverbrannter Einwegprodukte ist der Streifen „Live!“ von Bill Guttentag. In der Hauptrolle versucht sich sexyhexy Eva Mendes (Training Day, Hitch), an der Rolle der Katy. Als quotengeile Medientussi mit angeschweißtem Starbucks-Becher will diese ihrem TV-Sender eine Show andrehen, in der sich arme Seelen in Aussicht auf fünf Millionen Dollar an einem russischen Roulette beteiligen. Freiwillig, ganz echt und „live!“, versteht sich. Viel mehr als eine selbstherrliche Kostümpuppe gibt Mendes allerdings nicht her. Irgendwann, nachdem der Ärger beim Zuschauen die Langweile besiegt hat, fängt man deshalb an zu grübeln. Zum Beispiel darüber, ob Regisseur und Produzenten sich vom Appeal der Halblatina den Kopf haben weichspülen lassen, damit sie in der Rolle als ausführende Produzenten ein von Modefirmen gesponsortes PR-Filmchen für sich machen konnte, das von jeglicher inhaltlichen oder ästhetischen Last gänzlich befreit werden konnte.

    Gefühlte, vermutlich wirkliche, 80 Prozent des Films beobachtet der Zuschauer Katy dabei, wie sie in langweiligen und schlecht ausgeleuchteten Locations herumstolziert und -labert. Ihre Kleidung wechselt etwa doppelt so schnell wie die Schnittfrequenz, wobei dann auch schonmal logische Anschlussfehler entstehen: Eben noch im Flur in beige, jetzt schon auf der Showbühne – pardon, Konferenzraum – in flieder. Dank einer Extraportion Überdynamik und Bauernschläue schafft sie es natürlich im Handumdrehen und mit fadenscheinigster Flachrhetorik, selbst den härtesten Zweiflern in Form von Senderanwälten und -geschäftsführern ein Grinsen beim Gedanken an Ruhm und Geld ins Gesicht zu zaubern.

    Optisch darf man sich das in einer gewöhnungsbedürftigen Mischung aus Doku- und Hochglanzfilm vorstellen. Die Gewöhnung tritt aber leider einfach nicht ein: Zum einen, weil insbesondere die charakterbefreite Schickimicki-Inszenierung von Mendes so makellos aussieht, dass sie für einen Dokumentarfilm zu wenig authentisch, und alles andere drum herum eher billig daherkommt. Zum anderen, weil insbesondere zum Ende hin der meist unsichtbare Dokumentarfilmer, der Katys vermeintlichen Weg zu Ruhm und Ehre mit Wackelkamera festhält, kommentarlos verschwindet. So bleibt der Betrachter bis zum Schluss gefühlsmäßig irgendwo in der Mitte dieser inkonsequenten Inszenierung hängen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, dass Regisseur Bill Guttentag für „Twin Towers“ (2003) und „You Don’t Have To Die“ (1989) bereits zwei Mal mit dem Oscar für eine Kurzdokumentation ausgezeichnet wurde. Schuster, bleib bei deinen Leisten - wie ein inszenierter Doku-Spielfilm aussehen kann, wenn er richtig gemacht wurde, hat die charmante und wunderbar gespielte Hundebesitzer-Satire „Best in Show“ gezeigt, die ein Schattendasein im Ramsch-DVD-Regal fristet.

    Ein regelmäßig wiederkehrender Bestandteil von echten Dokumentarfilmen ist natürlich das Interview. Manchmal muss man es etwas kürzen oder so geschickt zusammenschneiden, dass weder Spannung des Films, noch Essenz des Gesagten leiden. Welch Glück für den, der interviewartige Sequenzen in einen Spielfilm integriert und von Beginn an freie Hand hat, langweilige Stellen zu vermeiden. Auf diese Idee ist Guttentag, der auch das Drehbuch von „Live!“ verfasste, leider nicht gekommen. So quält man sich drei Viertel des Films durch das schier endlose Genöle von Katy und ihre monologartigen Gespräche mit irgendwelchen Fernsehfuzzis, immer auf der Suche nach dem nächsten Befürworter. Dabei offenbaren sich auch merkwürdige Inkonsistenzen in der Anlage ihres Charakters, der eigentlich prinzipientreu nach dem Motto „straight & tough“ aufgebaut ist. So beschwert sie sich einerseits über die angstgesteuerte Medienindustrie, achtet aber selbst doch als brave Amerikanerin im Schnitt darauf, dass bloß kein Nippel rausrutscht. Mag Absicht gewesen sein, merkt man aber nicht.

    Im Schatten der überzogenen Bildschirmpräsenz von Eva Mendes kommt leider auch keine der farblosen Nebenrollen zur Geltung. Es darf aber mit Berechtigung bezweifelt werden, ob sie es auch ohne Schatten getan hätten. Das betrifft sowohl Katys Kollegen im Sender, als auch die späteren Kandidaten der Sendung. Diese repräsentieren entweder in schmerzhafter Detailtreue ein Klischee, oder stellen ein unglaubwürdiges Konstrukt dar: Californian Surferboy vs. Neofeministische Ex-Playmate-Künstlerin. Natürlich: Da der Film davon ausgeht, dass das Fernsehen nur solche Klischees zeigt und reproduziert, entbehrt die Auswahl nicht einer gewissen Logik. Und sobald es im US-Fernsehen nicht mehr um Serien geht, die mitunter auf erstaunlich widersprüchliche und vielschichtige Charaktere als Zugpferd setzen, ist die Reproduktion von Klischees zweifelsohne an der Tagesordnung. Leider geht die Kritik, die „Live!“ an dieser Tatsache aller Wahrscheinlichkeit nach üben wollte, in einer Mischung aus Desinteresse und Angewidert-Sein angesichts solch stumpfer, hyperamerikanischer Menschen unter.

    Obwohl für die USA vielleicht noch etwas zutreffender als für Europa, geht Guttentag von einem derart überholten Bild von Sendeanstalt und Fernsehzuschauer aus, dass es fast wie eine Beleidigung erscheint. Was fehlt, sind ein feiner und ironischer Umgang mit den Klischees und eine wie auch immer geartete Stellungnahme. Stattdessen wird auf allen Ebenen mit der Brechstange gearbeitet, und das auch noch ziemlich unbeholfen. Deshalb ist das Gefühl bis zuletzt unentschieden, ob der Film nun affirmativ oder kritisch gemeint sein soll, obwohl der Verstand dringend auf letzteres deutet (wenn er am Ende des Films nicht schon längst selig schlummert). Achja: Da es sich hier um eine Mediensatire handeln soll, und nicht nur wissen.de weiß, dass sich es sich bei einer Satire um eine „mit Ironie und scharfem Spott menschliche Schwächen und Laster geißelnde Dichtung“ handelt, die zumeist auch wenigstens teilweise mit Humor zu tun hat, sollte noch angemerkt sein: Dieser Film ist nicht komisch.

    Die ewig selbe Leier noch einmal filmisch zu kommentieren, ist eine Sache. Sogar eine, die sogar durchaus gelingen und im besten Fall neue Perspektiven aufwerfen kann, wenn Konzept und Umsetzung stimmen. Wer unbedingt sehen möchte, was dabei herauskommt, wenn beide auf ganzer Linie versagen, sollte sich jetzt schleunigst in die Videothek seines Vertrauens begeben.

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