Ist es ethisch zu verantworten, einen Film in die Kinos zu bringen, der Verständnis für einen Mann aufbringt, der einen bereitwilligen Menschen schlachtet, ihm den Penis abschneidet, diesen in der Pfanne brät und verspeist - und am Ende sagt, sein Schlachtopfer habe es so gewollt? Diese kontrovers diskutierbare Frage muss jeder für sich allein beantworten. Will ich das sehen? Mich möglicherweise in die kranke Psyche eines Kannibalen versetzen? Immerhin hat das in Das Schweigen der Lämmer funktioniert. Wer keine Bedenken hat, ist zumindest schon mal richtig, in Martin Weisz’ Psycho-Drama „Rohtenburg“. Das Ganze hat aber selbst dann einen großen Haken. Der Film ist von vorn bis hinten ein cineastisches Debakel.
Die junge Amerikanerin Katie Armstrong (Keri Russell) studiert Kriminalpsychologie in Deutschland und interessiert sich brennend für den Fall des Kannibalen Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann), der vor einigen Jahren per Internet ein williges Schlachtopfer suchte, um dies zu töten und anschließend zu zerstückeln und zu verspeisen. Katies Nachforschungen spielen ihr irgendwann das Videoband in die Hände, auf dem Hartwin den Mord an seinem Opfer Simon Grombek (Thomas Huber) festgehalten hat.
Die reale Tat des Kannibalen Armin Meiwes ereignete sich im März 2001 auf einem alten Gutshof im nordhessischen Rotenburg-Wüstefeld. Meiwes schnitt dem damals 43-jährigen Diplomingenieur Bernd Brandes aus Berlin den Penis ab, erstach und zerstückelte ihn, aß sein Opfer danach zu Teilen auf. Der Kannibale gestand die Tat und wurde zu achteinhalb Jahren Haft wegen Todschlags verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil allerdings auf, die Staatsanwaltschaft verlangt lebenslänglich, was das Landgerichts Frankfurt als Urteil im Jahr 2006 bestätigte. Eben dieser Meiwes verklagte die „Rohtenburg“-Produktionsfirma Atlantic Streamline auf Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Aber bereits hier nimmt das Unheil seinen Anfang. „Inspiriert von wahren Ereignissen“, so die offizielle Lesart des Verleihs, ist eine große, unappetitliche Mogelpackung - schließlich wird der Fall Meiwes bis in die Details nachgespielt. Die Klage wurde vom Landgericht Kassel abgewiesen, der Film kann in die Kinos kommen. Die PR kann dem Senator Filmverleih nur recht sein.
Was soll die Leute also ins Kino locken? Eines der spektakulärsten Tötungsdelikte der bundesdeutschen Geschichte - und zugleich das wohl widerwärtigste. Das ist nicht verwerflich, schließlich gelang Romuald Karmakar 1995 mit dem Kammerspiel-Drama „Der Totmacher“ (mit einem brillanten Götz George) eine sorgsame Aufarbeitung der Geschichte des Massenmörders Fritz Haarmann, der 24 Jungen getötet hatte. Doch das, was Videoclip-Regisseur Martin Weisz und Drehbuchautor T.S. Faull hier bieten, hat im Kino nichts zu suchen. Als psychologischen Hintergrund für die Perversion ihres Kannibalen Oliver Hartwin (aka Armin Meiwes) führen sie äußerst plakativ eine garstige Mutter und den Konsum von Slasher-Videos an. Das war’s. Mehr Tiefgang ist nicht drin. Warum das Opfer Simon Grombek von der Pein getrieben wird, sich so behandeln zu lassen, wird nicht erklärt. Es ist halt so. Er hat das Verlangen danach. Ende. Einen emotionalen Zugang zum Zuschauer erreichen die grobkörnigen, schmutzigen Bilder nie. Auch nicht, wenn’s schließlich auf die Schlachtbank geht. Dazu war die Vorstellung zuvor zu dürftig, um sich der Illusion hinzugeben, hier passiere mehr als schlechtes Schauspiel.
Die Dialoge sind platt und hölzern, der Versuch, ein subtiles Porträt zu entwerfen, scheitert. Dazu kommen mäßige Darstellerleistungen, selbst Thomas Kretschmann (King Kong, Der Pianist) steht auf verlorenem Posten. Was um alles in der Welt Deutschlands derzeitiger Hollywood-Export Nummer eins in diesem Machwerk zu suchen hat, ist ein absolutes Rätsel. Thomas Huber (Aeon Flux, „Der große Bellheim“, „Lindenstraße“) kommt als Opfer einen Tick besser weg, sein Spiel wirkt nicht ganz so statisch, wie das von Kretschmann. Sie können sich bei Debüt-Autor Faull bedanken, der oft einfältige Dialoge als Vorlage liefert. Des Schlechten nicht genug. Die Rahmenstory der amerikanischen Studentin wirkt völlig fehl am Platz. Mit einem bestenfalls pathetischen, aber teils peinlichen Off-Kommentar veredelt Keri Russell (Mission: Impossible III, An deiner Schulter) die Szenerie. Die Unsinnigkeit dieser Figur kulminiert an der Schlussszene, in der sich Katie das Video anguckt. Sie hat alles darüber gelesen, will dieses Band unbedingt sehen und wundert sich anschließend gar schrecklich, dass die Vorführung keine spaßiges Homeentertainment ist. Dieser Charakter dient allein dazu, die Handlungsstränge Vergangenheit und Gegenwart zusammenzuführen, wenn dem Betrachter aber die Dämlichkeit der Studentin bei ihrer klischeetriefenden Suche von der Leinwand entgegenspringt, kann dies nicht Sinn der Sache sein.
Ein besonderes Schmankerl hat das übrigens komplett spannungsfreie und inhaltsarme Psychogramm-Versuch eines Killers noch auf Lager. Weil Produzent Marco Weber weitsichtig für den Weltmarkt produzierte, ist „Rohtenburg“ in Englisch gedreht – allerdings bis auf Keri Russell auch mit deutschen Darstellern, die sich mit ihren holprigen bis verheerenden Akzenten abmühen müssen. Das sorgt für viel unfreiwillige Komik, wenn sich die Akteure durch ihre Sätze holzen - dem deutschen Publikum bleibt dies zum Glück erspart, da das Machwerk synchronisiert wird. Zugute zu halten ist „Rohtenburg“ eigentlich nur eines: Auch wenn die PR-Maschinerie voll auf den Sensationsfall Meiwes ausgerichtet ist, verweigert der Film selbst dem Publikum eine effekthascherische Voyeur-Orgie. Das rettet „Rohtenburg“ aber nicht vor der Bedeutungslosigkeit. Eine der berühmt-berüchtigten „Weltpremieren“ auf einem Privatsender wäre wesentlich angebrachter gewesen.
Der für den 9. März 2006 geplante deutsche Kinostart zu dem Kannibalen-Film "Rohtenburg" ist gerichtlich gestoppt worden. Der in Kassel ansässige 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt entschied, dass die Persönlichkeitsrechte des realen "Kannibalen von Rotenburg" schwerer wögen als die Kunst- und Filmfreiheit. Obwohl Armin Meiwes mit seiner beispiellosen Tat ein großes Medieninteresse hervorgerufen habe, bedeute dies nicht, dass er sich zum Gegenstand eines unterhaltenden Horrorfilms machen lassen muss, so das Gericht in seiner Begründung. Der 44 Jahre alte Meiwes fühlt sich von der fiktionalen Verarbeitung seines Kriminalfalls in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Am 26. Mai 2009 hob der Bundesgerichtshof (BGH) ein Verbot in letzter Instanz auf.