Walt Disneys „John Carter" ist ein wahrer Quell für Superlative. Es gibt auch andere Filme, die ganze Dekaden oder mehr in der Entwicklungshölle Hollywoods schmoren, aber die Qualen, die „John Carter" dort durchlitten hat, sind beispiellos. Bereits 1931 unternahm Zeichentrick-Spezialist Bob Clampett erste Versuche, Edgar Rice Burroughs‘ legendäre elfteilige Science-Fiction-Buchreihe zu verfilmen, kam aber nicht über Testaufnahmen hinaus. Es sollte bis ins Jahr 2009 dauern, ehe Mark Atkins mit „Princess of Mars" tatsächlich die erste Verfilmung herausbrachte. Doch der billige Schnellschuss der Abkupfer-Schmiede The Asylum ist kaum der Rede wert, zumal wenn Disney fast zeitgleich ein kolportiertes astronomisches Produktionsbudget von 250 Millionen Dollar für Andrew Stantons Realfilm-Debüt „John Carter" zur Verfügung stellt. Mit diesem Sümmchen tummelt sich das Werk unter den fünf teuersten Filmen aller Zeiten, entsprechend groß ist der Druck, der auf Stanton und seinem Science-Fiction-Actioner lastet. Dem hält der „Findet Nemo"-Regisseur insofern stand, indem er kompromisslos seiner eigenen Sicht auf den Stoff treu bleibt. Sein „John Carter" ist ein oft wirrer, aber enorm spaßiger 3D-Actionfilm mit Trash-Appeal, der sicherlich kontroverse Reaktionen hervorrufen wird, aber dem Ton der 100 Jahre alten Pulp-Vorlage von Edgar Rice Burroughs gerecht wird.
Arizona, 1881: Bürgerkriegs-Veteran John Carter (Taylor Kitsch) hat mit der Armee abgeschlossen, zu sehr schmerzt ihn der Verlust seiner Frau, die in den Wirren des Krieges umkam. Deshalb weigert er sich auch, gegen die Indianer zu kämpfen. Doch ehe sich Carter versieht, findet er sich plötzlich auf dem Mars wieder, Barsoom in der Sprache der einheimischen Wesen! Dort trifft der völlig perplexe Carter bald auf die Rasse der Tharks, grünliche Kreaturen, die ihn kurzerhand versklaven. Immerhin kann der Erdenmensch die Marsianer mit seinen neu hinzugewonnen Fähigkeiten beeindrucken, denn er ist durch die veränderten Schwerkraftbedingungen in der Lage, riesige Sprünge zu vollführen - und den Einheimischen zumindest in dieser Hinsicht überlegen. Schließlich gewinnt Carter das Vertrauen des Thark-Anführers Tars Tarkas (Willem Dafoe) und will dies nutzen, um aus der Gefangenschaft zu fliehen. Dabei gerät er zwischen die Fronten eines Krieges um die Vorherrschaft auf Barsoom, in dem das Volk von Helium den Zodangans unter der Führung von Sab Than (Dominic West) gegenübersteht. Than, der von den allmächtigen Therns protegiert wird, fordert Dejah Thoris (Lynn Collins), Prinzessin von Helium, zur Frau, um das brutale Gemetzel um die Macht zu beenden. Doch Dejah widersetzt sich. Als Carter seinerseits auf die schöne Prinzessin trifft, verliebt er sich auf der Stelle. Er wird in die Schlacht verwickelt und spielt mit seinen „Superkräften" eine wichtige Rolle...
Das Hauptproblem von „John Carter" offenbart sich schon beim Lesen der vertrackten Inhaltsangabe. Wer da warum gegen wen kämpft, ist über die gesamte Dauer des über zweistündigen Films nicht einfach zu durchschauen, obwohl sich Stanton und seine Autoren auf das erste Buch aus der elfteiligen Vorlage beschränken. Irgendwann lichtet sich zwar die Verwirrung und die Fronten bekommen schärfere Konturen, aber so besonders wichtig ist es am Ende sowieso nicht, wer da gerade auf wen einhaut. Dramaturgie und Dialoge spielen in „John Carter" eine sekundäre Rolle, entscheidend sind vielmehr die opulenten Schauwerte und der schräge Charme des ungehobelten Erzählens. Das kennzeichnete schließlich auch schon das Wirken von „Tarzan"-Autor Edgar Rice Burroughs, der sich in seinen Pulp-Science-Vorlagen, dem sogenannten Barsoom-Zyklus, nonchalant von Cliffhanger zu Cliffhanger und von Buch zu Buch hangelte.
Man muss sich „John Carter" nicht sehr genau anschauen, um eine große Bandbreite unterschiedlicher Referenzen zu erkennen: von „Krieg der Sterne", „Avatar" und „Der Herr der Ringe" über „Planet der Affen", „Dune" und „Conan" bis hin zu „Cowboys & Aliens". Aber es sind nicht die „John Carter"-Macher, die sich bei den genannten Filmen (und es ließen sich noch Dutzende mehr nennen) bedienen, sondern vielmehr zeugt die eindrucksvolle Liste von dem starken popkulturellen Einfluss von Edgar Rice Burroughs‘ Vorlage. So ist „John Carter" also keineswegs ein wüst zusammengeklautes Zitate-Flickwerk, sondern als erste ernsthafte Filmversion des „Barsoom"-Zyklus gleichsam die Mutter aller Sci-Fi-Epen! Erst Andrew Stanton fühlte sich, bestärkt durch die heutigen technischen Möglichkeiten, berufen, die so detailintensive und überbordende Mars-Welt von Burroughs auf die Leinwand zu bringen. Dabei ist sein Werk keineswegs so effektlastig ausgefallen, wie sich vielleicht vermuten ließe und auch die Animations-Vergangenheit des Regisseurs ist dem Film nicht unbedingt anzusehen – „John Carter" hat eine angenehm natürlich wirkende physische Unmittelbarkeit und die Technik gewinnt nie die Oberhand.
Wer eine Viertelmilliarde Dollar im Rücken hat, kann sich richtig austoben bei der Erschaffung fremder Welten - und das macht Pixar-Regisseur Andrew Stanton („Wall-E") ausgiebig. Die Mars-Plateaus, die er mit seinen Effektspezialisten entwirft, sind schlicht atemberaubend und kommen in 3D hervorragend zur Geltung. Der Detailreichtum ist beeindruckend, besonders die Grünlings-Kreaturen der Tharks sind hervorragend animiert und integriert. Ebenso spektakulär fällt John Carters Duell mit den berühmten weißen Riesenaffen aus und auch die Schlachten bieten überwiegend grandioses Augenfutter. Carters riesige Luftsprünge dagegen wirken trotz ordentlicher Effektarbeit gelegentlich fast schon lächerlich, zumal sie im Verlauf der Handlung immer groteskere Züge annehmen.
Mit der Besetzung von Taylor Kitsch („Battleship", „The Bang Bang Club") traf Regisseur Andrew Stanton eine ordentliche Wahl. Der Jungstar strahlt genug Männlichkeit aus, um sich von Teenie-Schwarm-Kalibern wie Robert Pattinson, Taylor Lautner oder Zac Efron abzuheben, ist aber auch kein aufgepumpter Muskelprotz der B-Movie-Klasse. Er spielt seinen John Carter grimmig und ernst, während seine Kollegen immer ein wenig Ironie durchblicken lassen. Kitsch harmoniert gut mit seiner Partnerin, der leichtgeschürzten Amazone Lynn Collins („Der Kaufmann von Venedig", „Number 23"), mit der er bereits in „X-Men Origins: Wolverine" zusammenspielte. Bei beiden ist hier pure Physis gefordert, wobei Collins beherzt die Phalanx der männlichen Figuren durchbricht und eine sexy „Prinzessin Leia" mit Kick-Ass-Attitüde gibt. Sie ist die ideale Verkörperung des pulpigen Grundtons, der den Film durchzieht und damit das Prunkstück der Besetzung. Die Nebendarsteller können da nicht ganz mithalten. Mark Strong („Sherlock Holmes") macht das Beste aus seiner limitierten Rolle als gottgleicher Ober-Schicksals- und Weltenlenker Matai Shang, während „The Wire"-Legende Dominic West mit einigen holprigen Dialogen zu kämpfen hat, aber wenigstens herrlich fies ist.
Fazit: Das Science-Fiction-Epos „John Carter" wird so manchen Kinogänger irritieren, denn Regisseur Andrew Stanton nimmt Edgar Rice Burroughs‘ Pulp-Literatur-Vorlage ernst und so versprüht sein Spektakel einen trashigen Charme, der nur scheinbar in Widerspruch zu dem exorbitanten Budget von 250 Millionen Dollar steht. Stanton nutzt seine kreative Freiheit und die beachtlichen Mittel zu einem wüsten interplanetaren Schlachtengemälde, das trotz einiger Mängel eine Menge Spaß macht.