Als sich der deutsche Geophysiker Alfred Wegener zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gedanken darüber machte, wie sich wohl die uns bekannten Kontinente gebildet haben könnten, hatte er eines ganz sicher nicht auf der Rechnung: Scrats unbändigen Appetit auf Eicheln. In „Ice Age 4 – Voll verschoben" hat ein Missgeschick des paläontologisch nicht verbürgten Säbelzahnhörnchens, unumstrittener Publikumsliebling der eiszeitlichen Animationsreihe, wahrhaft weltbewegende Folgen. Beim Versuch, ein Objekt seiner Begierde zu sichern, bricht die Erdkruste auf, der Unglücksrabe und die Eichel stürzen in die Tiefe. Und während Scrat bei der Jagd nach der Nuss den Erdkern heftig ins Rotieren bringt, beginnt sich an der Oberfläche der Urkontinent Pangäa mit großem Getöse in verschiedene Teile aufzuspalten – das ist der furiose Auftakt zur dritten Fortsetzung der populären „Ice Age"-Saga um Mammut Manni, Faultier Sid und Säbelzahntiger Diego, die 2002 ihren Anfang nahm. Auch bei ihrem vierten Leinwandauftritt, der unter der Regie von Michael Thurmeier und Steve Martino („Horton hört ein Hu!") entstand, verbreiten die drei so verschiedenen Urzeitgenossen, deren Patchwork-Herde nach und nach angewachsen ist, reichlich gute Laune. Allerdings mehr mit haarsträubenden Eskapaden als mit der um sie herum gestrickten Story, die schon im Vorgängerfilm „Ice Age 3 - Die Dinosaurier sind los" ein Schwachpunkt war.
Zu Beginn ist die Welt für Sid, Manni und Diego noch in Ordnung. Na ja, zumindest halbwegs. Sid freut sich über ein überraschendes Wiedersehen mit seiner leiblichen Familie, muss aber schnell feststellen, dass der Kurzbesuch nur dazu dient, um ihm die zänkische Oma aufs Auge zu drücken. Manni ist zwar immer noch glücklich mit seiner Ellie, liegt dafür aber ständig im Clinch mit seiner inzwischen ins Teen-Alter gekommenen Tochter Peaches, die sich gegen die strengen Regeln ihres überprotektiven Vaters auflehnt. Diego scheint dagegen vollauf zufrieden mit seiner Rolle als Beschützer der Herde. Doch die bleibt nicht von den durch Scrat ausgelösten globalen Erschütterungen verschont. Ein sich plötzlich auftuender Erdspalt trennt Diego, Manni und Sid samt Oma vom Rest der Gesellschaft. Von einer Flutwelle erfasst, treiben die vier schließlich auf einer Scholle im Meer – und versuchen, einen Weg zurück zu den Ihren zu finden. Auf ihrer gefahrvollen Odyssee bekommen sie es unter anderem mit einer vielköpfigen, bunt zusammengewürfelten Piratencrew zu tun...
Bisher haben alle „Ice Age"-Filme ein großes Publikum gefunden. Den dritten Teil wollten allein in Deutschland rund 8,7 Millionen Zuschauer sehen. Was soll man da erzählerisch groß herumexperimentieren, werden sich die Verantwortlichen gefragt haben. Tatsächlich gibt die Irrfahrt des Unglücks-Quartetts – rein unter Story-Aspekten betrachtet – nicht viel her. Auch der zweite Handlungsstrang, in dem sich Peaches in einen feschen Artgenossen verguckt und dabei ihre innige Freundschaft zu einem putzigen Maulwurfsigel namens Louis aufs Spiel setzt, ist nur wenig ausgearbeitet. Und natürlich werden wie in bisher jeder „Ice Age"-Folge das Thema Familie ganz großgeschrieben und wortreich beschworen, wobei immerhin auch unwahrscheinliche Wa(h)lverwandtschaften geknüpft werden. Erzählerisches Neuland betreten die Filmemacher aber nur in Bezug auf die Theorie der Plattentektonik...
Sehenswert ist „Ice Age 4 – Voll verschoben" trotz der kleinen erzählerischen Defizite allemal. So haben die Animatoren der Blue Sky Studios erneut erstklassige Arbeit geleistet. Wenn etwa Monsterwellen schwappen, Rieseneisblöcke abbrechen und Felsformationen bröckeln oder sich verschieben, schaut das sehr eindrucksvoll aus - besonders in 3D. Überhaupt scheint der visuelle Einfallsreichtum der Bildgestalter kaum Grenzen zu kennen. Das fantasievoll von einem Eisberg abgespaltene Piratenschiff ist lediglich ein Beispiel dafür. Aber dafür dass der Spaß nicht zu kurz kommt, sorgen keineswegs in erster Linie die vielen gelungenen Action-Sequenzen. Als das wahre Salz in der Eiszeit-Suppe erweist sich einmal mehr die Fülle an witzig-skurrilen Ideen, die über die maue Story hinwegtröstet. Dazu zählt unter anderem eine hübsche, wenn auch naheliegende Anspielung auf Homers Epos „Odyssee", die das Regie-Duo Michael Thurmeier und Steve Martino geschickt in die Handlung eingebunden hat. Stichwort: Sirenen.
Problematisch wird's erst wieder bei den Figuren. Der Hauptgrund: Es sind diesmal einfach zu viele. Sie alle sorgen zwar auf ihre Art für Kurzweil, einige von ihnen sind aber auch rasch wieder vergessen. Von den Neuzugängen stechen hauptsächlich drei hervor: Der affenartige Piratenchef Utan als die bislang finsterste und furchterregendste Gestalt im „Ice Age"-Universum; die kesse Freibeuterin Shira, die ihrem Artgenossen Diego das Leben erst schwer macht und dann romantisch versüßt; schließlich noch Sids zahnlose Großmutter, die sogar ihrem liebenswert dösbaddeligen Enkel, dem in der deutschen Version Otto mit seiner unverwechselbaren Stimme wie gewohnt eine Extraportion Witz verleiht, wiederholt die Schau stiehlt. Doch selbst die schräge Oma ändert nichts an der Tatsache, dass Hörnchen Scrat mit seiner unablässigen Jagd nach der Eichel in puncto Humor eine Klasse für sich bleibt – bis zu einer absolut irrsinnigen letzten Aktion.
Fazit: „Ice Age 4" hat zu wenig Story und zu viele Figuren, aber was viel wichtiger ist: Er macht enormen Spaß. Der vierte Teil der Urzeit-Saga ist vor allem wegen seiner erprobten Mischung aus irrwitziger Situationskomik und turbulenter Action prima Familien-Unterhaltung.