Es passiert nicht oft, dass sich Woody Allen einen Korb einfängt. Aufgrund überschneidender Drehpläne verließ Nicole Kidman seine Ensemble-Komödie „Ich sehe den Mann Deiner Träume" und stand stattdessen für John Cameron Mitchells Ehedrama „Rabbit Hole" vor der Kamera. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Allen nach wie vor prestigeträchtig, wie ihr die für „Vicky Cristina Barcelona" mit einem Oscar entlohnte Penélope Cruz sicher bestätigen würde. Die Entscheidung war dennoch richtig - die starken Dialoge von David Lindsay-Abaire, der sein eigenes Broadway-Stück adaptierte, sind eine Steilvorlage für echte Schauspiel-Ambitionen. Und siehe da, so hat Kidman es auch ohne Allens Hilfe zum Geheimtipp für die Oscars 2011 geschafft. Als durch den Unfalltod ihres vierjährigen Sohnes traumatisierte Becca glänzt sie wie seit Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut" nicht mehr, der hier mit einer Einstellung direkt zitiert wird. „Rabbit Hole" ist dabei keineswegs ein Starvehikel. Dafür erspielt sich ein selbstbewusster Aaron Eckhart als ihr Filmpartner zu viel Raum. Beide Rollen stehen für rivalisierende Formen der Trauerarbeit, die von Mitchell angemessen ebenbürtig behandelt werden.
Acht Monate ist es her, seit der vierjährige Danny (Phoenix List) von einem achtlosen Autofahrer erfasst wurde und tragisch verstarb. Acht Monate, seit das Privat- und Eheleben von Becca (Nicole Kidman) und Howie Corbett (Aaron Eckhart) zum totalen Stillstand gekommen ist. Howie versucht, seine Frau durch gemeinsame Besuche bei einer Selbsthilfegruppe aufzutauen, doch die Fronten bleiben verhärtet: Becca will die schmerzhaften Erinnerungen verdrängen während sich Howie an Videoaufnahmen aus glücklichen Zeiten und an das unangetastete Kinderzimmer klammert. Der Graben wird breiter und so suchen beide ihren Trost in anderen Verhältnissen. Becca trifft sich auf einer Parkbank mit dem jugendlichen Unfallfahrer Jason (Miles Teller) und Howies Gruppen-Termine enden auf dem Beifahrersitz seiner Selbsthilfe-Kollegin Gaby (Sandra Oh). Die vorläufige Privatisierung der Trauer verschafft dem taumelnden Paar eine dringend benötigte Atempause. Doch langsam spüren beide, dass sie das dunkle Tal nur gemeinsam durchwandern können...
Nicole Kidman wird als großes Ereignis von „Rabbit Hole" besprochen, und das ist nur fair. Immerhin hat sie das Projekt auch als Produzentin begeistert vorwärts getrieben. In einem Produktionsjahrgang, der bereits klare Karrierehöhepunkte gesehen hat – Natalie Portman in „Black Swan", Colin Firth in „The King's Speech", James Franco in „127 Hours", Jesse Eisenberg in „The Social Network" – wird Kidman allerdings überstrahlt. Anders als diese Filme erzählt „Rabbit Hole" keine einzigartige Lebensgeschichte, im Gegenteil. Regisseur Mitchell und Autor Lindsay-Abaire thematisieren gerade diesen Aspekt: Das Schicksal der Corbetts ist nicht einzigartig. Wir wissen, wir ihr euch fühlt, heißt es immer wieder. Eben nicht! Trauer kann nicht abgewogen und verglichen werden. „Dein Sohn war ein 30-jähriger Heroin-Junkie, meiner war ein vierjähriges Kind, das ist ein Unterschied", wirft Becca ihrer Mutter an den Kopf. „Er war trotzdem mein Sohn", erwidert diese. Recht haben sie beide.
„Rabbit Hole" ist allerdings kein depressiver Film. Denn während die bleischwere Frage verhandelt wird, wessen Trauerstrategie nun ergiebiger sei, löst Mitchell Anspannung in Humor auf, ganz behutsam, nie schrill. Da wirkt sogar die zwischenzeitlich auftauchende Crackpfeife nicht wie aus dem bürgerlichen Suburbia-Setting des Films gefallen. Und das gelingt auch dank eines grandiosen Aaron Eckhart. In „The Dark Knight" musste er laut spielen, um sich zwischen den funkensprühenden Polen Christian Bale und Heath Ledger zu behaupten. Hier arbeitet er wesentlich differenzierter. In einer befreiend komischen Sequenz hält Howie eine Grundstücksbesichtigung ab. Unschuldig tappst die am Hauskauf interessierte Familie in Dannys Kinderzimmer, fragt nach dem Jungen und bekommt eine Antwort, die ihnen mindestens den restlichen Tag versauen dürfte.
Nicole Kidman fallen zwar ein paar Phrasen auf den lieben Gott zu: Was, wenn es ihn doch gäbe? „Dann ist er ein sadistischer Penner!" Der oberflächliche Theodizee-Exkurs ist jedoch schnell vorbei und dann darf Kidman wieder richtig loslegen. Wenn sie ihrer schwangeren Schwester (Tammy Blanchard) feierlich die Babyklamotten des toten Danny überreicht, ist der nächste Trauma-Schluckauf vorprogrammiert. „Rabbit Hole" ist auch deswegen ein so kraftvolles Drama, weil es ein ständiges Scheitern von Alltag beobachtet und trotzdem geduldig weiter nach Heilungschancen fragt. Und wenn Becca nach all der Qual erstmals wieder ein hauchzartes Lächeln zustande bringt, ist das noch lange kein Happy End, wohl aber ein gesundes Lebenszeichen. „Rabbit Hole" ist kein Lehrstück über den Umgang mit dem Tod, was gäbe es da auch zu lehren? Es geht vor allem um die Einzigartigkeit und Würde jeder Trauererfahrung. Mitchell, Kidman und Eckhart haben ein Kleinod der Saison geschaffen.