Eine allenfalls zweitklassige Besetzung, ein moderates Budget von etwa 30 Millionen Dollar und eine Geschichte, die zunächst nach einer x-beliebigen Gross-Out-Comedy der Gehirnkonfektionsgröße small klingt: Warum sich Todd Phillips‘ Junggesellenparty-Komödie „Hangover" aber in den USA trotzdem zum Sensationshit entwickelt hat, ist nicht schwer zu erklären: Der Film ist schlichtweg das Lustige, was Hollywood seit Jahren hervorgebracht hat. Mit einer atemberaubenden Dichte an Lachern eroberte das rasende Buddy-Movie schnell das Prädikat eines Kultfilms.
Doug (Justin Bartha) steht kurz vor dem größten Tag seines Lebens. In 48 Stunden will er in Los Angeles seine bildhübsche Freundin Tracy (Sasha Barrese) heiraten. Doch eine pompöse Hochzeit verlangt zwingend auch nach einer krachenden Junggesellenparty. Also plant Doug mit seinen besten Kumpeln Phil (Bradley Cooper) und Stu (Ed Helms) ein rauschendes Besäufnis in Las Vegas. Der Vierte im Bunde, Dougs zukünftiger Schwager Alan (Zach Galifianakis), ist mehr Ballast, den das Trio eher aus gutem Willen mitschleppt. Bereits die Anfahrt im antiken Liebhaber-Mercedes von Alans Vater Sid (Jeffrey Tambor) leitet die triumphale Sauftour standesgemäß ein. Nachdem die luxuriöse Residenz im Penthouse eines erstklassigen Hotels bezogen ist, kann es endlich losgehen. Alan packt die Pulle Jägermeister aus, es wird sich zugeprostet und... Schnitt! Der Morgen danach: Das Hotelzimmer ist ein Trümmerhaufen. Phil, Stu und Alan haben den Kater ihres Lebens. Im Badezimmer faucht ein Tiger und Bräutigam Doug ist einen Tag vor der Hochzeit spurlos verschwunden. Das Schlimmste ist jedoch, dass sich das Trio an absolut nichts mehr erinnern kann. Um Doug aufzuspüren, gehen die drei den Spuren der Verwüstung nach, die sie in der Nacht zuvor hinterlassen haben. Eine davon führt zu der Prostituierten Jade (Heather Graham), die der eigentlich bereits verlobte Stu nämlich dummerweise im Suff geehelicht hat. Aber was hat es mit dem Huhn, dem Baby, Black Doug (Mike Epps) und dem Polizeiauto auf sich? Warum ist Mike Tyson (Mike Tyson) so sauer und was hat den nackten Chinesen Mr. Chow (Ken Jeong) im Kofferraum zu einer tobenden Furie werden lassen?
Mit den ausgesprochen launigen Road Trip (2000), Old School (2003) und Starsky und Hutch (2004) hat sich Todd Phillips einen guten Namen als Komödien-Regisseur erworben. Nachdem alle drei Filme zu Hits avancierten, war die Enttäuschung beim mittelprächtigen Flop Der Date-Profi (2006) dann einigermaßen groß. Doch nun meldet sich Phillips mit einem unerwarteten Geniestreich zurück und liefert nach einer längeren Flaute gleich sein Meisterstück ab. „Hangover" macht alles richtig, was eine Komödie richtig machen kann. Der Film hält zunächst einmal sein hohes Tempo ohne Durchhänger über die komplette Distanz und ist zum Brüllen komisch. Dabei ist er keineswegs so schlicht gestrickt, wie die Story vielleicht vermuten ließe. Vielmehr ist der episodenhaft angelegte „Hangover" überraschend clever und zum Teil geschickter konstruiert als mancher Thriller. Dazu wartet der Film mit brachialen, aberwitzigen Storytwists auf, die sich gewaschen haben. Ganz nebenbei streut Phillips noch ironische Verweise auf Filme wie Rain Man oder A Beautiful Mind ein.
Und immer beweist der Regisseur das richtige Gespür für die Atmosphäre seiner Las-Vegas-Farce, die stets Gefahr läuft, over the top zu kippen, aber dennoch nie aus der Spur springt, weil die Charaktere trotz galoppierenden Wahnsinns die nötige Bodenhaftung bewahren. Dazu ist die Kameraarbeit von Lawrence Sher (Trauzeuge gesucht!, Glück in kleinen Dosen) exzellent, die überbordende Vitalität der Spieler-Metropole Las Vegas erschlägt den Zuschauer förmlich, bleibt dabei aber dennoch elegant. Besonders erfreulich ist es, dass sich Phillips nicht hat erweichen lassen und nicht vor dem kommerziell berüchtigten R-Rating (in den USA ab 17 Jahren) zurückgeschreckt ist. Der politisch zumeist hochgradig unkorrekte Humor von „Hangover" ist im besten Sinne erwachsen, hart und derb. Es gibt keine Furzgags, dafür aber nackte Tatsachen, wenn es nötig ist - zum Beispiel eine entblößte Brust von Heather Graham (Boogie Nights, From Hell) oder das beste Stück von Zach Galifianakis (Love Vegas, Into The Wild) im Einsatz.
Wer beim Blick auf die starfreie Besetzung Bedenken anmeldet, tut dem Cast Unrecht. Obwohl das Hauptdarsteller-Quartett schon länger im Geschäft ist, sind die Gesichter bei den Massen noch unverbraucht, was sich demnächst besonders bei Bradley Cooper ändern wird: Der Beau aus Philadelphia ist The Next Big Thing in Hollywood. Nach Rollen in den Hits Er steht einfach nicht auf Dich und Der Ja-Sager ist der serie,Alias-Star demnächst in Verrückt nach Steve, Valentine's Day, Fall 39 und A-Team zu sehen. Cooper übernimmt die Führungsrolle im Cast und glänzt mit jeder Menge Charisma. Ebenso wie seinen Mitstreitern Ed Helms („The Office", Evan allmächtig, Mensch, Dave!) und Zach Galifianakis kommt ihm das präzise Drehbuch des Duos Jon Lucas und Scott Moore (Der Womanizer, Mein Schatz, unsere Familie und ich) entgegen. Alle drei Charaktere haben das Zeug zu Kultfiguren. Besonders schön ist die Zeichnung des Lehrers Phil, weil dieser mühelos vom arroganten Lebemann in Las Vegas zum routinierten Vater und Ehemann mutiert, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Der rigoros unter dem Pantoffel seiner Freundin (Rachael Harris) stehende Zahnarzt-Spießer Stu ist zwar in seiner Entwicklung mehr oder weniger berechenbar, wird aber von dem „The Office"-Mimen Helms so grandios gespielt, dass dieser kleine Makel im Endeffekt kaum eine Rolle spielt. Alan ist der einzige, der in die Nähe einer Karikatur gerät – dafür steht der bärtige Bär aber auch für knochentrockene, schräge Gaga-Gags haarscharf am Rande des Irrsinns.
Justin Bartha (Das Vermächtnis der Tempelritter, Das Vermächtnis des geheimen Buches) fällt als verloren gegangener Bräutigam die undankbarste Rolle zu. Im Schatten des verzweifelten Suchtrios muss Bartha kleinere Brötchen backen und hält lediglich als MacGuffin für die Handlung her. Andere nutzen ihre kurzen Leinwandauftritte erheblich besser: Ken Jeong (Vorbilder?!, Ananas Express) legt in seiner Episode im Comic-Relief-Stil einen denkwürdigen Aufritt als nackter Chinese hin, Heather Graham steuert eine Menge unschuldigen Charme bei und Mike Tyson ist zwar ein mieser Schauspieler, aber da der Ex-Box-Champ eh sich selbst spielt, fällt das nicht ins Gewicht. Gewichtiger ist da schon seine Interpretation des Phil-Collins-Klassikers „In The Air Tonight", die erreicht nämlich beinahe Weltklasse.
Fazit: „Hangover" ist die Komödien-Überraschung des Jahres 2009 und perfekt bis in den grandiosen Abspann. Todd Phillips‘ US-Smash-Hit verbindet den Kult eines The Big Lebowski mit dem wüsten Schrotflintencharme eines Fear And Loathing In Las Vegas und ist dabei so unkorrekt-leicht wie Die Hochzeits-Crasher. Kurzum: „Hangover" hat alles, was ein Kultfilm braucht. Am Ende bleibt nur eine Frage: Was ist bloß mit dem Huhn?
Kleiner Tipp: Wer die Gelegenheit dazu bekommt, sollte sich unbedingt die Originalversion im Kino anschauen. Die deutsche Synchronisation ist zwar bemüht, trifft aber nicht den richtigen Ton der US-Version, so dass „Hangover" in der übersetzten Fassung Wortwitz und Atmosphäre einbüßt.