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    Liebe Mauer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Liebe Mauer
    Von Andreas Staben

    „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe, Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“ Diese Sätze stehen am Anfang einer von SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 auf einer Pressekonferenz verlesenen Erklärung. Hinter den schmucklosen Worten verbarg sich faktisch nicht weniger als die Öffnung der Mauer. Der Rest ist vieldiskutierte Geschichte. In diesen Tagen ist die historische Wende vor 20 Jahren auf allen medialen Kanälen ein Dauerthema, da steht das Kino natürlich nicht zurück. Peter Timms Ost-West-Romanze „Liebe Mauer“ bietet fast pünktlich zum Jubiläum einen zuweilen beklemmenden und oft komischen Blick auf die Wendezeit, der sich trotz einiger Misstöne angenehm vom Einerlei aus Jubelreportagen und Bestandsaufnahmen-Talkshows abhebt.

    Im Herbst 1989 zieht Franzi (Felicitas Woll, „Berlin, Berlin“, Abgefahren) nach Berlin, um in der noch geteilten Stadt ein Studium zu beginnen. Ihr BAföG reicht nur für eine Altbauwohnung in Blickweite der Mauer, direkt an einem Grenzübergang. Als sie hört, dass Lebensmittel im Osten spottbillig sind, macht sie ihren ersten Ausflug in die Hauptstadt der DDR. Beim Rückweg entgleiten ihr direkt hinter dem Schlagbaum die Einkaufstüten und aus einem Impuls heraus eilt ihr der Grenzsoldat Sascha (Maxim Mehmet, Männerherzen, Fleisch ist mein Gemüse) zu Hilfe. Mit gezogenen Waffen fordern ihn seine Kollegen zur Rückkehr auf, während zwischen Franzi und ihm die Funken sprühen. Es beginnt eine eigentlich unmögliche Liebesgeschichte, bei der Franzi mit Saschas Kumpelfreundin Uschi (Anna Fischer) die Identität wechselt, um länger bei ihm im Ostteil bleiben zu können...

    Regisseur und Autor Peter Timm ist selbst Anfang der 70er Jahre aus der DDR ausgewiesen worden und musste seinen zweijährigen Sohn zurücklassen. Seine persönlichen Erfahrungen fließen immer wieder in sein Werk mit ein, wobei Timm dem Regime von Honecker und Konsorten genauso wie der Ostalgie nach der Wiedervereinigung mit Filmen wie „Meier“, „Go Trabi Go“ und „Der Zimmerspringbrunnen“ bevorzugt einen komödiantischen Spiegel vorgehalten hat. Auch in „Liebe Mauer“ setzt der ehemalige Kabarettist in erster Linie einen komischen Tonfall ein, obwohl die Ausgangslage ganz und gar nicht zum Lachen ist. So gerät der absichtlich missverständlich betitelte Film einige Male aus der Balance, wenn Todernstes wie der gewalttätige Ausfall eines DDR-Offiziers gegen eine Demonstrantin nur noch als dramaturgischer Vorwand erscheint.

    Bei Franzis erstem Ausflug in den Osten etabliert Timm sehr schön die willkürlichen Methoden des SED-Staates und seiner Grenzsicherung. Mit barschem Tonfall, bürokratischer Rhetorik und bösen Blicken wird die junge Studentin empfangen, die nichts von Zwangsumtausch und anderen Einschränkungen ahnt. Der Antagonismus des Kalten Krieges wird an dem eindrucksvollen Set (die Mauer wurde für den Film in Halle wiederaufgebaut) nebenbei auf den Punkt gebracht: Im Osten prangt ein riesiges Banner zum 40. Geburtstag der DDR, während auf der anderen Straßenseite im Westen ein Reisebüro mit einem Foto der Freiheitsstatue wirbt. Dass die hier durchaus spürbare Beklemmung aufgegeben wird, und Timm den Film in Richtung einer Farce treibt, bei der die Stasi-Schergen mit ihrer entmenschlichten Diktion und ihren hanebüchenen, aber existenzbedrohenden Machenschaften mehr und mehr zu Knallchargen werden, kann als atmosphärischer Bruch empfunden werden, ist aber letztlich konsequent – und gibt Thomas Thieme (Das Leben der Anderen, Der Baader Meinhof Komplex) als Major Kutzner die Gelegenheit zu einer Glanzleistung entlarvender Verbohrtheit. Und gerechterweise bekommen im letzten Drittel der Verwechslungskomödie auch westliche Geheimdienste ihr Fett weg.

    Die Tragik, die für viele Leute in den Umwälzungen lag, kommt in „Liebe Mauer“ naturgemäß etwas kurz. Und leider wirkt sie, da wo sie angedeutet wird, auch aufgesetzt - etwa wenn Sascha die Vorzüge der DDR von der Arbeitsplatzsicherheit bis zur Kinderbetreuung geradezu herunterrasselt. So überzeugt Karl Kranzkowski (Die Wolke, Rauchzeichen) zwar als Saschas linientreuer Vater, aber wenn ihm sein Leben und seine Überzeugungen unter den Füßen weggerissen werden, dann liegt in seinem traurigen Blick eher die Verheißung eines ganz anderen Films als eine in diesem erzählerischen Umfeld greifbare Emotionalität. Und das große Gefühl bleibt leider auch bei der zentralen Liebesgeschichte weitgehend auf der Strecke, vor lauter Tempo und Wendungen kommt das Romantische der grenzüberwindenden Liebe etwas kurz. Auch die durchaus sympathischen Protagonisten Woll und Mehmet bleiben im Vergleich zu einigen Nebendarstellern eher blass. Wenn Franzi und Uschi kaum glaubwürdig verkleidet und sich notdürftig verstellend auf beiden Seiten der Mauer reihenweise die Autoritäten an der Nase herumführen, dann ist Peter Timm dagegen in seinem Komödienelement. Besonders Anna Fischer (Fleisch ist mein Gemüse, Lichter) hat sicht- und hörbar Spaß an ihrer Rolle, in der sie hemmungslos drauflos sächseln darf.

    Als die Kellnerin Charly (Katja Danowski, Ganz nah bei Dir, Herr Lehmann) dem Pärchen im Ostberliner Restaurant die Frage „Schwein oder Schwein?“ stellt, spielt sie damit nicht auf Peter Timms Vergangenheit mit Rennschwein Rudi Rüssel an, sondern gibt den Gästen die Wahl zwischen Schnitzel und Kotelett, womit sie das komplette Speisenangebot zusammenfasst. Der herrische Tonfall im DDR-Dienstleistungsgewerbe ist hier der Gegenstand einer irritierenden Realsatire, bei der der anspruchsvolle Kunde, zumal wenn er Vegetarier ist, auch schon mal als Aufrührer im Knast landen kann. Wenn Charly sich dann aber noch als Hobby-Poetin und Seelentrösterin versucht („Kalter Krieg und heiße Herzen – das bringt Schmerzen“), dann wird es bisweilen arg seicht. Die von Peter Timm in „Liebe Mauer“ angerührte Genre-Mischung geht zwar längst nicht immer auf, bietet aber mit ihrer amüsanten kleinen Geschichte ein gelungenes Alternativprogramm zur allerorts zelebrierten großen Historie zum Mauerfalljubiläum.

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